CSU: «Keine Zeichen und Symptome – und das so schnell wie möglich»
Bericht:
Reno Barth
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Die chronische spontane Urtikaria (CSU) wird durch ein komplexes Geschehen rund um die Mastzelle charakterisiert, an dem zahlreiche Mediatoren und Zytokine beteiligt sind. Damit bieten sich Angriffspunkte für eine Vielzahl von Biologika – von denen mehrere allerdings in klinischen Studien scheiterten. Seit Jahren zugelassen und in Verwendung ist lediglich Omalizumab. Zwei weitere Biologika könnten in nächster Zeit hinzukommen.
Eine Sitzung im Rahmen des EADV-Kongresses in Paris war dem 2024 unerwartet verstorbenen Dermatologen und Wissenschaftler Prof. Dr. med. Marcus Maurer gewidmet, der bis zu seinem Tod das Institut für Allergieforschung an der Berliner Charité leitete und einer der international führenden Urtikariaexperten war. «Fast alles, was wir in den vergangenen 15 Jahren über Urtikaria gelernt haben, beruht auf den Forschungen von Marcus Maurer», sagte dazu Prof. Dr. med. Martin Metz, Maurers Nachfolger an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Maurers Verdienste liegen nicht nur in der Erforschung der pathophysiologischen Hintergründe der Erkrankung. «Er hat uns Ärzte immer daran erinnert, was diese Krankheit für die Betroffenen bedeutet», so Metz.
Die juckenden Quaddeln stören den Schlaf und können entstellend sein. Spontan auftretende Angioödeme können hinzukommen. Dies führt zu einer massiv eingeschränkten Lebensqualität und zu Angst und Depression. Im ungünstigsten Fall endet das mit Suizid. Generell ist Urtikaria mit erhöhter Mortalität assoziiert. Und in einer im Hinblick auf verschiedenste Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht etc. adjustierten Analyse bleibt als Treiber der erhöhten Sterblichkeit der Suizid, wie eine Kohortenstudie aus dem Jahr 2025 zeigt, als deren Seniorautor Maurer noch aufscheint. Das ist in den meisten Fällen das Ergebnis falscher Behandlung, so Metz. Denn die Daten zeigen auch, dass nach wie vor ein zu hoher Anteil der Urtikariapopulation mit oralen Kortikosteroiden behandelt wird, was mittelfristig mit einer erheblich erhöhten Mortalität verbunden ist.1
Wenn Autoimmunität und Autoallergie zusammenkommen
Die Pathophysiologie der chronischen spontanen Urtikaria (CSU) war vor 20 Jahren noch rätselhaft, erläuterte Metz. Man wusste zwar, dass es sich um keine Allergie handelt, das Gesamt-IgE jedoch bei den meisten Betroffenen erhöht ist. Mehr als 30% der Urtikariapatienten zeigen zudem auch Hinweise auf ein Autoimmungeschehen mit IgG-Anti-Thyreoperoxidase- (TPO)-Autoantikörpern.2 Urtikaria ist daher auch häufig mit Hashimoto-Thyreoiditis vergesellschaftet. Ausgehend von diesen Befunden konnte mittlerweile ein komplexes pathophysiologisches Modell der CSU entwickelt werden.3 In der Folge gelang es, auch erhöhte IgE-Anti-TPO-Titer bei Urtikaria nachzuweisen. Auf Basis dieser Daten und auf Initiative von Maurer wurde Omalizumab in der Behandlung der CSU in einer klinischen Studie untersucht. Mit spektakulären Ergebnissen: In einer hinsichtlich der Präsenz von IgE-Anti-TPO vorselektierten CSU-Population verschwanden bei 70% der Patienten die Quaddeln vollständig.4 Diese Ergebnisse konnten in einer Phase-III-Studie bestätigt werden.5
Dies führte nicht nur zur Zulassung von Omalizumab in der Indikation CSU, sondern auch zu einem gesteigerten wissenschaftlichen Interesse an Auto-IgE, also Typ-1-Autoimmunität im Allgemeinen. Auto-IgE-Antikörper wurden in der Folge bei einer Reihe von Autoimmunerkrankungen, von der rheumatoiden Arthritis über Hashimoto-Thyreoiditis und das bullöse Pemphigoid bis zur multiplen Sklerose, nachgewiesen.6
Das Autoimmungeschehen bei der CSU hat sich mittlerweile allerdings als komplexer herausgestellt. Zusätzlich zur durch IgE-Antikörper vermittelten Typ-1-Autoimmunität («autoallergy») spielt nämlich auch offenbar die Typ-2b-Autoimmunität mit IgG-Antikörpern eine Rolle. Zusätzlich wird das Geschehen durch Faktoren wie Stress, Ernährung, Infektionen oder Medikamente moduliert. Damit kommen Neuropeptide, Pseudoallergene, das Komplementsystem und Bakterien ins Spiel. Man nehme heute an, so Metz, dass diese Faktoren ihrerseits über das Membranprotein MRGPRX2 direkt an der Mastzelle wirksam werden.7 Damit könnte sich ein neues Ziel für Therapien anbieten.
Nur komplettes Ansprechen normalisiert die Lebensqualität
Prof. Dr. med. Ana Giménez-Arnau von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona wies auf ein 2011 publiziertes Konsensuspapier hin, das die zu diesem Zeitpunkt relevanten Wissenslücken zur Theorie und zum Management der CSU zusammenfasste. Darunter waren unter anderem das Verständnis der natürlichen Ursachen, die Diagnostik unterschiedlicher Endotypen sowie wirksame und sichere Second-Line-Therapien, wenn Antihistaminika versagen.8 Seit dieser Zeit wurden erhebliche Fortschritte gemacht, und das Verschwinden sämtlicher Symptome wurde als realistisches Therapieziel etabliert, wie Giménez-Arnau betonte: «Keine Zeichen und Symptome – so schnell wie möglich.» Vollständige Kontrolle der Erkrankung ist von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität der Patienten. Analysen klinischer Studien zeigen, dass schon bei minimaler Krankheitsaktivität das Wohlbefinden gestört ist und signifikant seltener ein Wert von 0 oder 1 auf der Skala des Dermatology Life Quality Index (DLQI) erreicht wird.9
Therapie nach Leitlinienempfehlungen
Um das Ziel der vollständigen Krankheitskontrolle zu erreichen, empfehlen die aktuellen Guidelines mehrerer internationaler Fachgesellschaften als Erstlinientherapie Antihistaminika der zweiten Generation.10 Wird der gewünschte Effekt nicht erreicht, kann die Dosis bis auf das Vierfache gesteigert werden. Bleibt der Erfolg aus, soll nach zwei bis vier Wochen zusätzlich Omalizumab eingesetzt werden. Bei mangelndem Ansprechen wird eine Dosiserhöhung empfohlen. Wird auf diesem Weg über sechs Monate keine Kontrolle erreicht oder sind die Beschwerden unerträglich, wird als Drittlinie zusätzlich Cyclosporin A empfohlen. Giménez-Arnau: «Das Ansprechen auf Omalizumab ist individuell stark unterschiedlich ausgeprägt. Komplette Kontrolle nach 12 Wochen wurde in den Studien bei 30 bis 40% der Patienten erreicht. Empfohlen wird also ein Vorgehen nach dem individuellen Ansprechen.» Die Therapie mit Omalizumab wird in einer Dosierung von 300mg alle vier Wochen begonnen. Bei fehlendem oder unzureichendem Ansprechen sollen Dosis oder Frequenz erhöht werden. Führt dies nicht zum Erfolg, kann Omalizumab abgesetzt werden. Bei gutem Ansprechen kann die Behandlung im selben Intervall fortgesetzt werden oder es kann eine Dosisreduktion oder eine Verlängerung der Intervalle versucht werden. Nehmen die Beschwerden wieder zu, soll wieder auf 300mg alle 4 Wochen gesteigert werden.
Bisher vier Cluster identifiziert
Giménez-Arnau: «Bei den Superrespondern liegt ausschliesslich Autoallergie gegen TPO und IL-24 vor. Bei den übrigen Patienten ist auch oder sogar ausschließlich Typ-2b-Autoimmunität im Spiel. Mit einem Cut-off von 43,8IU/ml für IgE lassen sich daher Patienten identifizieren, bei denen primär Autoimmunität vorliegt und bei denen daher nicht mit gutem Ansprechen auf Omalizumab zu rechnen ist.»11 Bislang lassen sich vier Cluster der chronischen Urtikaria definieren: die chronische induzierbare Urtikaria (CIndU; Cluster 1), ein «High-IgE»-Cluster (Cluster 2), ein Auto-immun-Cluster (Cluster 3) und ein durch Komorbiditäten geprägter Cluster (Cluster 4) – wobei Überschneidungen möglich sind (Abb.1).12
Abb. 1: Populationsverteilung auf die vier Cluster der chronischen Urtikaria (modifiziert nach Türk M et al. 2022)12
Die Geschwindigkeit des Ansprechens auf Omalizumab ermöglicht zudem Vorhersagen zur Kontinuität des Ansprechens. Setzen Patienten, die langsam auf Omalizumab angesprochen haben, das Biologikum ab, kommt es sofort zum Rückfall. Nach schnellem Ansprechen bleibt die Krankheitskontrolle auch nach dem Absetzen längere Zeit oder u.U. sogar permanent erhalten. Lange Krankheitsdauer ist ein Prädiktor für suboptimales, langsames Ansprechen und häufige Rückfälle. Giménez-Arnau: «Selbst in spezialisierten Zentren ist der Anteil nicht ausreichend kontrollierter Patienten nach wie vor hoch. Wir benötigen also neue Medikamente, die auch die Option der Krankheitsmodifikation eröffnen.»
Remibrutinib und Dupilumab vor der Zulassung
Leider sind bislang zahlreiche Biologika und Small Molecules in klinischen Studien gescheitert, darunter das gegen Interleukin(IL)-5 gerichtete Benralizumab, der Anti-IgE-Antikörper Ligelizumab und Tezepelumab, ein Antikörper gegen TSLP.
In der Phase III bewährt hat sich hingegen der Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitor Remibrutinib, mit dem in zwei Studien (REMIX-1 und -2) bei Patienten mit CSU bereits ab der ersten Woche klinisch bedeutsame Verbesserungen erzielt wurden.13 Die Hälfte aller Betroffenen (50,7%) erreichte mit Remibrutinib bereits in der ersten Woche eine Reduktion des 7-Tage-Urtikaria-Aktivitäts-Scores (UAS7) um 10,5 Punkte. Die Wirkung beruht auf einer Blockade der Mastzelldegranulation. Zwischen Woche 0 und 12 nahm der UAS7 unter Remibrutinib deutlicher ab als unter Placebo (–20,0±0,7 vs. –13,8±1,0; p<0,001 in REMIX-1 und –19,4±0,7 vs. –11,7±0,9; p<0,001 in REMIX-2). Diese Ergebnisse blieben bis Woche 24 stabil. Einen UAS7 von 0 (also komplettes Ansprechen) erreichten mit Remibrutinib rund 30% der Patienten. Placebopatienten wurden nach Woche 24 auf Remibrutinib umgestellt und sprachen ebenfalls gut auf die Therapie an. Remibrutinib zeigte auch signifikante Wirkung auf die Lebensqualität. Die deutlich verbesserte Lebensqualität wurde bereits zu Woche 24 angegeben und hielt im Verlauf des DLQI-Reportings bis Woche 52 an. Auf Basis dieser Daten wurde die Zulassung von Remibrutinib zur Behandlung der CSU in Europa und den USA beantragt.
Ebenfalls positive Studiendaten liegen für den IL-4/IL-13-Antikörper Dupilumab vor. Die Blockade dieser beiden Zytokine erlaubt einen Histamin-unabhängigen Eingriff in die Pathophysiologie der CSU, so Giménez-Arnau. In die Studie LIBERTY-CSU CUPID A wurden Omalizumab-naive Patienten eingeschlossen, in LIBERTY-CSU CUPID B Patienten, die Omalizumab nicht vertragen oder darauf unzureichend angesprochen hatten. In beiden Studien führte Dupilumab zu einer signifikanten Verbesserung sowohl des UAS7 als auch des Juckreiz-Scores ISS7.14 Dupilumab ist in den USA mittlerweile für die Behandlung der CSU zugelassen, in Europa wurde die Zulassung beantragt. Damit wird sich in naher Zukunft eine Änderung der Guidelines ergeben, so Giménez-Arnau. Remibrutinib und Dupilumab werden ebenso wie Omalizumab als Zweitlinientherapie nach Versagen von Antihistaminika empfohlen, sobald die Zulassungen vorhanden sind.
Quelle:
Session «Chronic urticaria in honour of Marcus Maurer», Vorträge «Understanding chronic spontaneous urticaria» von Prof. Dr. med. Martin Metz, Berlin, und «New treatments» von Prof. Dr. med. Ana Giménez-Arnau, Barcelona; EADV Congress, 18. September 2025
Literatur:
1 Kolkhir P et al.: Mortality in adult patients with chronic spontaneous urticaria: a real-world cohort study. J Allergy Clin Immunol 2025; 155(4): 1290-98 2 Altrichter S et al.: IgE mediated autoallergy against thyroid peroxidase--a novel pathomechanism of chronic spontaneous urticaria? PLoS One 2011; 6(4): e14794 3 Kolkhir P et al.: Urticaria. Nat Rev Dis Primers 2022; 8(1): 61 4 Maurer M et al.: Efficacy and safety of omalizumab in patients with chronic urticaria who exhibit IgE against thyroperoxidase. J Allergy Clin Immunol 2011; 128(1): 202-209.e5 5 Maurer M et al.: Omalizumab for the treatment of chronic idiopathic or spontaneous urticaria. N Engl J Med 2013; 368(10): 924-35 6 Charles N: Autoimmunity, IgE and FcεRI-bearing cells. Curr Opin Immunol 2021; 72: 43-50 7 Galli SJ et al.: Mast cells in inflammation and disease: recent progress and ongoing concerns. Annu Rev Immunol 2020; 38: 49-77 8 Maurer M et al.: Unmet clinical needs in chronic spontaneous urticaria. A GA²LEN task force report. Allergy 2011; 66(3):317-30 9 Bernstein JA et al.: Why a complete response is the treatment aim in chronic spontaneous urticaria. J Clin Med 2023; 12(10): 3561 10 Zuberbier T et al.: The international EAACI/GA²LEN/EuroGuiDerm/APAAACI guideline for the definition, classification, diagnosis, and management of urticaria. Allergy 2022; 77(3): 734-66 11 Pesqué D et al.: Autoimmune diseases and low baseline IgE in chronic spontaneous urticaria: a clinical and therapeutic prospective analysis in real-life clinical practice. J Allergy Clin Immunol Pract 2023; 11(12): 3763-71.e5 12 Türk M et al.: Identification of chronic urticaria subtypes using machine learning algorithms. Allergy 2022; 77(1): 323-6 13 Metz M et al.: Remibrutinib in chronic spontaneous urticaria. N Engl J Med 2025; 392(10): 984-94 14 Maurer M et al.: Dupilumab in patients with chronic spontaneous urticaria (LIBERTY-CSU CUPID): two randomized, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. J Allergy Clin Immunol 2024; 154(1): 184-94
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