
Periprothetische Infektionen in der Revisionsendoprothetik
Autor:innen:
Dr. Laura E. Streck1,2
Prof. Dr. Friedrich Boettner1
1 Adult Reconstruction and Joint Replacement Service, Hospital for Special Surgery, New York
2 Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG Klinik Tübingen, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Korrespondenz:
E-Mail: doc@drboettner.com
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Die korrekte Diagnosestellung bei Verdacht auf eine periprothetische Infektion (PPI) bei einliegender Hüft- oder Knieendoprothese (HTP, KTP) stellt eine Herausforderung dar. Die von verschiedenen Fachgesellschaften empfohlenen Diagnosekriterien unterscheiden sich deutlich voneinander, hiervon hängt also auch der Anteil diagnostizierter PPI bei Wechseloperationen an HTP und KTP ab.
Keypoints
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Ob bei beschwerdehafter HTP oder KTP eine PPI diagnostiziert wird, hängt stark davon ab, welche Diagnosekriterien angewendet werden. Unter den etablierten Kriterien verschiedener Fachgesellschaften legen besonders die neueren europäischen Kriterien den Fokus auf eine hohe Sensitivität und diagnostizieren deutlich mehr Fälle als PPI, der Anteil kulturnegativer PPI ist hierbei vergleichsweise hoch. Weitere Studien sind notwendig, um zu klären, inwiefern es sich bei diesen kontroversen Fällen auch um falsch positive Diagnosen handeln könnte.
Eine periprothetische Infektion (PPI) nach Implantation einer Hüft- oder Knieendoprothese (HTP, KTP) stellt eine schwerwiegende Komplikation dar. Die Mortalitätsraten belaufen sich auf bis zu 8% innerhalb eines Jahres und über 25% innerhalb der folgenden 5 Jahre nach Wechseloperationen nach Sepsis.1 Eine frühzeitige Diagnosestellung ist essenziell für eine zielgerichtete Therapie. Diese beinhaltet meist aufwendige Revisionsoperationen, nicht selten mehrzeitige Prothesenwechsel mit zwischenzeitlicher Implantation antibiotikahaltiger Platzhalter aus Knochenzement (Spacer). Regelhaft ist die systemische Antibiotikatherapie über mehrere Wochen bis Monate erforderlich.
Hohe Belastung für Betroffene
Eine solch umfangreiche Therapie stellt wiederum selbst eine hohe Belastung für die Patient:innen dar. Neben physischen Risiken beispielsweise durch Immobilisation oder unerwünschte Wirkungen auf Nieren und Herz-Kreislauf-System stellt die Therapie einer PPI für die Patient:innen auch eine starke psychische Belastung dar – in einer aktuellen Studie war diese vergleichbar mit der onkologischer Patient:innen.2 Nicht nur unerkannte PPI können drastische Konsequenzen nach sich ziehen; Gleiches gilt für symptomatische Endoprothesen, welche fälschlicherweise als septisch eingestuft und entsprechend aggressiv behandelt werden.
Die korrekte Diagnosefindung ist bei symptomatischen HTP und KTP entscheidend und komplex. Zunächst liegt dies an der vielseitigen Symptomatik einer PPI. In Fällen mit klassischen Infektionszeichen, putrider Sekretion aus dem Gelenk und massiv erhöhten systemischen Infektionsparametern scheint die Diagnose naheliegend. Besonders bei Infektionen mit niedrig virulenten Erregern können die Symptome deutlich subtiler sein, das klinische Bild einer PPI ähnelt dann nicht selten dem von aseptischen Differenzialdiagnosen wie rheumatischen Erkrankungen, aseptischen Prothesenlockerungen, Gicht oder entzündlichen Reaktionen durch Abrieb von Prothesenbestandteilen.
Kein einheitlicher Goldstandard in der Diagnostik
Bis heute besteht keine Einigkeit bezüglich des optimalen Vorgehens in solchen Fällen. Einen einheitlichen, absolut validen Goldstandard, welcher die Diagnose PPI bestätigen oder ausschließen kann, gibt es nicht. Dies erschwert auch die Vergleichbarkeit und Interpretation von Studien zu diesem Thema. Alle Bewertungen von Testverfahren müssen gegenüber einer als „Goldstandard“ festgelegten Referenz erfolgen, deren Validität selbst Gegenstand kontroverser Diskussionen ist.
Während der vergangenen 15 Jahre wurden von verschiedenen Fachgesellschaften Kriterien beschrieben, die die Diagnose einer PPI standardisieren sollen.
Bereits 2011 veröffentlichte die Musculoskeletal Infection Society (MSIS) erste Diagnosekriterien.3 Weitere Leitlinien wurden im Jahr 2013 von der Infectious Diseases Society of America (IDSA) vorgeschlagen.4 2018 aktualisierte die MSIS ihre Kriterien (MSIS-18) auf Grundlage der gewonnenen Erfahrungen mit den ursprünglichen MSIS-Kriterien und unter Einbeziehung zwischenzeitlich neu entwickelter Testmethoden.5 Im gleichen Jahr fand in Philadelphia (USA) ein International Consensus Meeting on Periprosthetic Joint Infections (ICM) statt. Basierend auf den Ergebnissen dieses Expertentreffens wurde ein weiteres Diagnosesystem für PPI etabliert.6 Insbesondere im europäischen Raum sind zudem zwei weitere Diagnosekriterien gebräuchlich. Zum einen die im Jahr 2021 von der European Bone and Joint Infection Society (EBJIS) vorgestellten Kriterien, zum anderen die Definition der PROIMPLANT Foundation.7,8 Alle diese Diagnosekriterien sind international weit verbreitet. Weder innerhalb der Fachgesellschaften noch in der Literatur oder im klinischen Alltag besteht jedoch Konsens darüber, welche zu präferieren sind.
Tendenziell umfassen die neueren Kriterien zusätzlich zwischenzeitlich etablierte Tests wie solche für Alpha-Defensin und Leukozytenesterase in der Synovialflüssigkeit. Für die Bewertung der Ergebnisse von Labortests wurden anstelle offener Definitionen wie „erhöht“ zunehmend feste Grenzwerte definiert. Neben einigen Gemeinsamkeiten – beispielsweise gilt eine bis auf das Implantat reichende Fistel in allen Kriterien übereinstimmend als sicheres Zeichen einer PPI – gibt es auch deutliche Unterschiede.
Ein solch kontroverser Aspekt ist die Rolle mikrobiologischer Kulturen. Diese galten lange Zeit als „Goldstandard“ und sind auch weiterhin eine wichtige Säule der Infektionsdiagnostik. Dennoch ist ihre Aussagekraft limitiert. Falsch positive Proben können unter anderem bei Kontamination durch Hautkeime auftreten. Gleichzeitig ist das Vorliegen einer PPI trotz negativer Proben gerade bei niedrig virulenten und Biofilm-bildenden Erregern möglich. Die Rate kulturnegativer PPI wird in der Literatur zwischen 5% und 42% angegeben.9,10 Die unterschiedlichen Ergebnisse können partiell durch unterschiedliche Kulturmethoden und Bebrütungszeiten beeinflusst werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie primär dadurch zustande kommen, dass verschiedene Diagnosekriterien als Referenz für die Bewertung der Ergebnisse zugrunde gelegt wurden.10,11 Inwiefern eine kulturnegative PPI also tatsächlich eine PPI darstellt und nicht eine aseptische Problematik mit einer falsch positiven mikrobiologischen Probe, kann nicht mit abschließender Sicherheit geklärt werden. Die Entnahme mehrerer Gewebeproben sollte bei Prothesenrevisionen daher standardmäßig erfolgen, um die Aussagekraft zu erhöhen.
In der Bewertung mikrobiologischer Ergebnisse wird nun die unterschiedliche Fokussierung der Diagnosekriterien deutlich. Beide MSIS-Kriterien und die ICM-Kriterien sehen eine PPI als erwiesen an, wenn zwei mikrobiologische Proben den gleichen Keim nachweisen. IDSA- und EBJIS-Kriterien diagnostizieren eine PPI bereits bei einer positiven Probe, sofern der Erreger hoch virulent ist bzw. zuvor Antibiotika eingenommen wurden (EBJIS). Bei einem Keimnachweis im Gelenkpunktat werten die PROIMPLANT-Kriterien den Fall als gesicherte PPI. Eine eigene Untersuchung an über 250 Patient:innen mit Revisionsoperationen an HTP oder KTP in der Klinik des Seniorautors bestätigte die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Gewichtung mikrobiologischer Ergebnisse. Es zeigten sich signifikante Unterschiede in der Rate kulturnegativer PPI, abhängig davon, welche Diagnosekriterien zugrunde gelegt wurden. Am höchsten lag der Anteil bei den PROIMPLANT-Kriterien. Hier waren über 35% der als PPI diagnostizierten Fälle kulturnegative PPI.12
Uneinheitliche Grenzwerte bei Leukozytenzahlen
Ein weiterer Aspekt, in dem Unterschiede zwischen den Kriterien deutlich werden, ist die Anzahl der Leukozyten in der Synovialflüssigkeit. Empfehlungen zur Bewertung der synovialen Leukozytenzahl werden auch in der Literatur kontrovers diskutiert. Es ist bekannt, dass niedrig virulente Keime, wie beispielsweise Cutibakterien, häufig nur eine geringe Erhöhung der Leukozytenzahl verursachen. Gleichzeitig sind stark erhöhte Werte in der frühen postoperativen Phase physiologisch. Auch Patient:innen mit rheumatischer Erkrankung oder Kristallarthropathie weisen erhöhte Werte auf, bei Gicht wurden bis zu 500000 Leukozyten/mm3 in der Synovia beschrieben.13
Diese Werte sind in der Regel allerdings für Gelenke ohne künstlichen Gelenkersatz beschrieben worden. Während eine PPI bei Patienten mit einer niedrigen synovialen Leukozytenzahl folglich nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, gehen niedrige Grenzwerte mit dem Risiko einer hohen Anzahl fälschlicherweise als PPI gewerteter aseptischer Fälle einher. Dies gilt vor allem dann, wenn die synoviale Leukozytenzahl als eindeutiges Diagnosekriterium und nicht als ein Aspekt unter weiteren gewertet wird. Diese synoviale Leukozytenzahl spielt in den IDSA-Kriterien keine Rolle. In beiden MSIS-Kriterien wird eine erhöhte Leukozytenzahl als Minor-Kriterium für eine PPI gewertet. Es müssen also weitere Kriterien erfüllt sein, um die Diagnose PPI zu stellen. Bei den EBJIS- und PROIMPLANT-Kriterien dagegen werden synoviale Leukozytenzahlen von 3000/mm3 bzw. 2000/mm3 als sicheres Diagnosekriterium einer PPI gewertet.
Unterschiedliche Fokussierung der Diagnosekriterien
Die beiden Aspekte – Bewertung der mikrobiologischen Ergebnisse und der synovialen Leukozytenzahl – zeigen exemplarisch auch die unterschiedliche Fokussierung der beschriebenen Diagnosekriterien. Bei den neueren europäischen EBJIS- und PROIMPLANT-Kriterien liegt der Fokus auf einer Steigerung der Sensitivität im Vergleich zu älteren Diagnose-kriterien. Dies hat den Hintergrund, dass einige Autoren davon ausgehen, dass vorige Kriterien PPI unterdiagnostizieren und insbesondere „low-grade“Infektionen unzureichend erfassen könnten. Bei den EBJIS- und PROIMPLANT-Kriterien wurden daher tendenziell niedrigere Grenzwerte festgelegt als bei den nordamerikanischen Kriterien und einige zuvor als Minor-Kriterien behandelte Aspekte wurden als eindeutige Zeichen einer PPI eingestuft.7,8 Hierdurch werden mehr Fälle symptomatischer HTP und KTP als PPI diagnostiziert als bei der Anwendung anderer Diagnosekriterien.11,12 Dass dies nicht nur theoretische Annahmen sind, sondern tatsächlich eine direkte Auswirkung auf die klinische Praxis besteht, wurde in der oben genannten eigenen Untersuchung an Patient:innen mit KTP- und HTP-Revisionen deutlich. Je nach angewendeten Diagnosekriterien wurden bis zu 20% der Kohorte mehr oder weniger als PPI eingestuft. Die Rate diagnostizierter PPI bei Anwendung der MSIS-Kriterien war mit 48% am niedrigsten; EBJIS-Kriterien (62%) und PROIMPLANT-Kriterien (67%) definierten signifikant mehr Fälle als PPI. Wurden die Ergebnisse der Diagnosekriterien mit der postoperativen Einschätzung des behandelnden Chirurgen verglichen, zeigten MSIS-18 und ICM-Kriterien die höchste Übereinstimmung.12
Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass es nach wie vor keinen etablierten Goldstandard für die Diagnose einer PPI gibt. Sowohl falsch positive als auch falsch negative Diagnosen können dabei verheerende Konsequenzen für betroffene Patient:innen haben. Ob bei Revision einer symptomatischen HTP oder KTP eine PPI diagnostiziert wird, hängt stark davon ab, welche Diagnosekriterien zugrunde gelegt werden. Besonders die EBJIS- und PROIMPLANT-Kriterien scheinen mehr Fälle als PPI zu werten als die nordamerikanischen Kriterien. Auch der Anteil der als kulturnegative PPI diagnostizierten Fälle scheint bei ersteren Kriterien höher zu liegen. Längerfristig angelegte Studien sollten Patient:innen beobachten, welche als „aseptisch“ behandelt wurden, gemäß den neueren Diagnosekriterien jedoch als (kulturnegativer) PPI eingestuft würden. Sollte sich in diesem Kollektiv keine erhöhte Rate periprothetischer (Re-)Infektionen im Verlauf zeigen, würde dies dafür sprechen, dass die Diagnose „PPI“ möglicherweise falsch positiv war.
Literatur:
1 Gundtoft PH et al.: Increased mortality after prosthetic joint infection in primary THA. Clin Orthop Relat Res 2017; 475(11): 2623-31 2 Knebel C et al.: Peri-prosthetic joint infection of the knee causes high levels of psychosocial distress: a prospective cohort study. Surg Infect (Larchmt) 2020; 21(10): 877-83 3 Parvizi J et al.: New definition for periprosthetic joint infection: from the Workgroup of the Musculoskeletal Infection Society. Clin Orthop Relat Res 2011; 469(11): 2992-4 4 Osmon DR et al.: Diagnosis and management of prosthetic joint infection: clinical practice guidelines by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2013; 56: e1-e25 5 Parvizi J et al.: The 2018 definition of periprosthetic hip and knee infection: an evidence-based and validated criteria. J Arthroplasty 2018; 33(5): 1309-14.e2 6 Shohat N et al.: What is the definition of a periprosthetic joint infection (PJI) of the knee and the hip? Can the same criteria be used for both joints? J Arthroplasty. 2019; 34(2S): 325–7 7 McNally M et al.: The EBJIS definition of periprosthetic joint infection. Bone Joint J 2021; 103-B: 18-25 8 Renz N, Trampuz A: Pocket Guide to Diagnosis and Treatment of PJI. https://pro-implant.org/tools/pocket-guide/1 . 2019. Accessed 08 Mar 2023 9 Kim Y-H et al.: Comparison of infection control rates and clinical outcomes in culture-positive and culture-negative infected total-knee arthroplasty. J Orthop 2015; 12(suppl_1): 37-43 10 van Sloten M et al.: Should all patients with a culture-negative periprosthetic joint infection be treated with antibiotics? : a multicentre observational study. Bone Joint J 2022; 104-B(1): 183-8 11 Boelch SP et al.: Diagnosis of chronic infection at total hip arthroplasty revision is a question of definition. Biomed Res Int 2021: 8442435 12 Streck LE, Boettner F: Meeting abstract. https://www.egms.de/static/en/meetings/dkou2024/24dkou187.shtml .2024 13 Schulz BM et al.: Markedly elevated intra-articular white cell count caused by gout alone. Orthopedics 2014; 37(8): e739-42
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