
Neue Daten zum wirkstoffabhängigen Auftreten von Lymphopenien
Bericht:
Dr. rer. nat. Torsten U. Banisch
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Das Therapiefeld der multiplen Sklerose (MS) hat sich in den letzten Jahrzehnten durch das Aufkommen wirkungsvoller krankheitsmodifizierender Therapien deutlich gewandelt. Neben den positiven Behandlungseffekten unter den neuen Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren (S1PRM) traten jedoch auch vermehrt therapieassoziierte Lymphopenien auf. Für ein optimales Patient:innenmanagement fehlte es bisher an Studien, die die Häufigkeit von Lymphopenien zwischen den S1PRM-Therapien vergleichen.
Massgebend für die positiven Entwicklungen in der MS-Behandlung waren die Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren (S1PRM) Fingolimod, Siponimod, Ozanimod und Ponesimod. Deren Wirkung beruht auf der Internalisierung von S1P-Rezeptoren. Das führt dazu, dass Lymphozyten ihren nichtproliferativen Status beibehalten und in den Lymphknoten verbleiben. Somit treten weniger Lymphozyten ins zentrale Nervensystem ein, was den autoimmun vermittelten Angriff auf Myelin reduziert, MS-verursachte Entzündungen mildert und weitere Neurodegeneration verringert.1,2
Jedoch birgt der Wirkmechanismus von S1PRM auch das Risiko einer Lymphopenie. So zeigen aktuelle Real-World-Studien, dass die Mehrheit der S1PRM-behandelten MS-Patient:innen schon kurz nach Therapieaufnahme eine Lymphopenie der Grade 2 bis 4 entwickelte.1–6 Es blieb jedoch unklar, ob die Häufigkeit von Lymphopenien wirkstoffabhängig ist und welche Anpassungen sich für das Management von MS-Patient:innen daraus ergeben.
Reduzierte und mildere Lymphopenien unter Ozanimod und Ponesimod
Die hier vorgestellte Pharmakovigilanzstudie sollte unter Verwendung von Daten aus der europäischen Pharmakovigilanz-Datenbank (EudraVigilance) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ermitteln, wie häufig Lymphopenien unter den verschiedenen S1PRM-Therapien auftreten. Hierfür wurden 5756 relevante Einzelfallsicherheitsberichte (ICSR) aus dem Zeitraum vom 1.1.2022 bis 31.12.2024 abgerufen. Darunter konnten 949 ICSR mit einer dokumentierten Lymphopenie unter einer Behandlung mit S1PRM identifiziert werden. Die ICRS stammten zu 73,3% von Erwachsenen im Alter von 18 bis 64 Jahren und zu 73,2% von weiblichen Patientinnen. Die aufgeführten Lymphopenien wurden in 93,2% der Fälle von medizinischem Fachpersonal festgestellt und traten zu 100% spontan auf.
Es konnte gezeigt werden, dass Lymphopenien in 51,3% der Fälle unter Fingolimod auftraten, in 38,9% unter Siponimod, in 5,3% unter Ozanimod, in 3,4% unter Ponesimod und in 1,2% der Fälle unter einer S1PRM-Kombination. Die Mehrzahl der Lymphopenien im Zusammenhang mit Fingolimod (61%) und Siponimod (64,2%) war schwerwiegend. Unter Ozanimod (78,0%) und Ponesimod (71,9%) waren die Ereignisse mehrheitlich nicht schwerwiegender Natur. Diese Unterschiede spiegelten sich auch in einer Risikoanalyse zum Auftreten einer Lymphopenie, also der Meldehäufigkeit, wider. Diese war unter Fingolimod oder Siponimod signifikant höher im direkten Vergleich zu Ozanimod (p=0,001 und p<0,001) sowie für Siponimod gegenüber Ponesimod (p<0,001). Zudem zeigten die Odds-Ratios eine signifikant niedrigere Meldehäufigkeit unter Fingolimod gegenüber Siponimod.7
Selektive S1PRMs: verringertes Risiko höhergradiger Lymphopenien
Die gezeigten Daten decken sich auch mit aktuellen Studien. So konnte bereits für Patient:innen mit schubförmiger MS ein reduziertes Risiko für eine Verringerung der Lymphozytenzahl unter Ozanimod gegenüber Fingolimod gezeigt werden.8 Das vermehrte Auftreten einer Lymphopenie unter Fingolimod kann dadurch erklärt werden, dass es sich um einen nichtselektiven S1PRM handelt, wodurch vermehrt Off-Target-Effekte auftreten könnten. Die Wirkstoffe Siponimod, Ozanimod und Ponesimod hingegen sind selektiv für die S1P1- und S1P5-Subtypen und haben eine vergleichsweise geringere Auswirkung auf die Lymphozytenzahl und ein niedrigeres Risiko einer höhergradigen Lymphopenie.1,2
Monitoring und Therapieanpassungen unter S1PRM
Die Studiendaten legen nahe, dass eine regelmässige proaktive Überwachung der Lymphozytenzahlen während der MS-Behandlung mit S1PRM unerlässlich ist, gerade um eine Lymphopenie frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Erfolgversprechende Massnahmen sind eine Behandlungsunterbrechung oder -änderung. Dabei ist zu beachten, dass die Dauer, bis die Lymphozytenzahl nach dem Absetzen wieder auf einem normalen Niveau ist, je nach Therapie variiert. Unter Fingolimod dauert dies etwa 6 Wochen, unter Siponimod zwischen 1 und 10 Tage, unter Ponesimod 1–2 Wochen und unter Ozanimod sind es nur 48–72 Stunden.10–13 Grund hierfür könnten die kürzeren Halbwertszeiten der neueren S1PRM sein.12–14 Eine letztes Jahr erschienene Beobachtungsstudie konnte zeigen, dass nach dem Auftreten einer schweren Lymphopenie unter Fingolimod, eine Therapieumstellung auf Ozanimod die absolute Lymphozytenzahl wieder erhöhen konnte.6
Aufgrund der retrospektiven Natur der vorgestellten Studie sind die Daten nur korrelativer Natur. Um die Behandlungsstrategien für MS-Patient:innen zu optimieren, sind weiterführende Studien nötig.
Quelle:
Balzano N et al.: Pharmacol Rep 2025; 77(3): 775-88. doi: 10.1007/s43440-025-00725-6
Literatur:
1 Fischer S et al.: Lymphocyte counts and multiple sclerosis therapeutics: between mechanisms of action and treatment-limiting side effects. Cells 2021; 10(11): 3177 2 Dumitrescu L et al.: An update on the use of sphingosine 1-phosphate receptor modulators for the treatment of relapsing multiple sclerosis. Expert Opin Pharmacother 2023; 24(4): 495-509 3 Huh SY et al.: Safety and temporal pattern of the lymphocyte count during fingolimod therapy in patients with multiple sclerosis: real-world Korean experience. J Clin Neurol 2022; 18(6): 663-70 4 Gilmartin CG et al.: Real-world data on siponimod-related lymphopenia among people with secondary progressive multiple sclerosis. Mult Scler 2024; 30(4-5): 600-4 5 Swallow E et al.: Comparative efficacy and safety of ozanimod and ponesimod for relapsing multiple sclerosis: a matching-adjusted indirect comparison. Mult Scler Relat Disord 2023; 71: 104551 6 Caliendo D et al.: Switching to ozanimod as a strategy to adjust fingolimod-related lymphopenia. Mult Scler Relat Disord 2024; 81: 105135 7 Balzano N et al.: Lymphopenia associated with sphingosine 1-phosphate receptor modulators (S1PRMs) in multiple sclerosis: analysis of European pharmacovigilance data. Pharmacol Rep 2025; 77(3): 775-8 8 Swallow E et al.: Comparative safety and efficacy of ozanimod versus fingolimod for relapsing multiple sclerosis. J Comp Eff Res 2020; 9(4): 275-85 9 Coyle PK et al.: Sphingosine 1-phosphate receptor modulators in multiple sclerosis treatment: a practical review. Ann Clin Transl Neurol 2024; 11(4): 842-55 10 Giovannoni G et al.: A pragmatic approach to dealing with fingolimod-related lymphopaenia in Europe. Mult Scler Relat Disord 2015; 4(1): 83-4 11 Scott LJ et al.: Siponimod: a review in secondary progressive multiple sclerosis. CNS Drugs 2020; 34(11): 1191-200 12 Baldin E et al.: Ponesimod for the treatment of relapsing multiple sclerosis. Expert Opin Pharmacother 2020; 21(16): 1955-64 13 Tran JQ et al.: Results from the first-in-human study with ozanimod, a novel, selective sphingosine-1-phosphate receptor modulator. J Clin Pharmacol 2017; 57(8): 988-96 14 Kruger TM et al.: Clinical pharmacokinetics of ponesimod, a selective S1P1 receptor modulator, in the treatment of multiple sclerosis. Clin Pharmacokinet 2023; 62(11): 1533-50
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