
16. Oktober 2022
Inzidenz und Mortalität
Was bringt die Vorsorgekoloskopie?
Darmkrebs-Vorsorgeprogramme haben einen unbestrittenen positiven Effekt auf die Gesundheit der Bevölkerung. Die Notwendigkeit zeitlich dichter Nachsorgekoloskopien ist allerdings fraglich, zudem stellen sie einen erheblichen Kostenfaktor für das Gesundheitssystem dar. Die Definition von Hochrisikopatienten sowie die Qualität der Koloskopie sind wichtige Faktoren in dieser Kosten-Nutzen-Rechnung.
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Die Erkenntnis, dass Darmkrebs aus vorbestehenden Gewebswucherungen (Polypen, Adenome) und nicht de novo entsteht, sowie das zunehmende Verständnis der Adenom-Karzinom-Sequenz1 und in weiterer Folge des serratierten Pathways2 waren der Grundstein für die Entwicklung von Darmkrebs-Screeningprogrammen. Randomisierte, kontrollierte Studien zum Test auf okkultes Blut im Stuhl konnten einen signifikanten Rückgang in der Mortalität beim kolorektalen Karzinom zeigen.3, 4 Obwohl die Ergebnisse der ersten randomisierten, kontrollierten Studien zur Vorsorgekoloskopie noch ausstehen, legen Langzeit-Beobachtungsstudien aus Europa und den USA nahe, dass der protektive Effekt einer Koloskopie über zehn Jahre anhält.5, 6, 7 Die Qualität der Untersuchung spielt hierbei eine wesentliche Rolle.
Vorsorge versus Nachsorge
Dem positiven Effekt auf die Inzidenz und Mortalität des kolorektalen Karzinoms durch Darmkrebs-Screeningprogramme steht eine hohe Anzahl an notwendigen Nachsorgekoloskopien gegenüber, die zunehmend eine Herausforderung für Gesundheitssysteme darstellt. In den USA ist die Nachsorge nach Polypektomie bereits die häufigste Indikation für Koloskopien bei über 74-jährigen Patienten.
Es gibt ausreichend Evidenz dafür, dass Patienten, bei denen einmal ein Adenom abgetragen wurde, ein erhöhtes Risiko haben, im Laufe ihres Lebens ein weiteres Adenom bzw. Darmkrebs zu entwickeln.8 Ob die Dichte an Nachsorgeuntersuchungen tatsächlich in dem Umfang notwendig ist, wird sich erst in den nächsten Jahrzehnten im Rahmen der laufenden randomisierten Studien zeigen. Im Gegensatz zur Empfehlung eines Darmkrebs-Screenings per se basieren die Nachsorgerichtlinien auf retrospektiven Daten und Expertenmeinungen.
Welche Patienten profitieren von einer Nachsorgekoloskopie?
Rezente Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass das Risiko für Patienten, trotz einer Vorsorgekoloskopie an Darmkrebs zu erkranken, sehr gering ist. Der protektive Effekt hinsichtlich der Mortalität konnte bis 17 Jahre nach negativer Koloskopie nachgewiesen werden, wenn diese qualitativ hochwertig durchgeführt wurde.9
Darüber hinaus stellte sich heraus, dass vermutlich weniger Personen von einer intensivierten Nachsorge nach drei Jahren profitieren als bisher angenommen. Das 2020 von der Europäischen Gesellschaft für gastrointestinale Endoskopie publizierte Update der Post-Polypektomie-Leitlinien definiert die Gruppe der Hochrisikopatienten, die nach drei Jahren einer Nachsorgekoloskopie zugewiesen werden sollten, als Patienten mit einer der folgenden Auffälligkeiten:
-
Adenome ≥10mm ODER mit hochgradiger Dysplasie
-
≥5 Adenome (in den vorhergegangenen Leitlinien war die Multiplizität ab ≥3 Adenomen relevant)
-
serratierte Polypen ≥10mm ODER mit Dysplasie10
Die villöse Histologie wird in den neuen Leitlinien nicht mehr berücksichtigt. Erwähnenswert ist zudem, dass die WHO in ihrer aktuellen Ausgabe bei serratierten Läsionen lediglich zwischen Dysplasie ja/nein unterscheidet. Ein Dysplasie-Grad wird bei den serratierten Läsionen nicht mehr bestimmt.
Eine Studie, die im Rahmen des „Qualitätszertifikats Darmkrebsvorsorge“ durchgeführt worden ist, hat gezeigt, dass anhand dieser restriktiveren Definition der Hochrisikogruppe 47% weniger Patienten der Hochrisikogruppe zugeordnet würden (4,9% vs. 10,4% aller Patienten). Hierdurch kann eine substanzielle Einsparung an Ressourcen und Kosten erreicht werden, während der protektive Effekt hinsichtlich der Mortalität erhalten bleibt.11
Die Qualität der Untersuchung ist entscheidend
Daten, die im Rahmen eines Qualitätssicherungsprogramms in Polen erhoben wurden, haben den protektiven Effekt einer negativen Vorsorgekoloskopie bis zu 17 Jahre nach der Untersuchung nachgewiesen. Patienten, die sich einer Vorsorgekoloskopie unterzogen, hatten ein 72,26% geringeres Risiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken, und ein 81% niedrigeres Risiko, daran zu sterben, als die Allgemeinbevölkerung. Bemerkenswert ist, dass die Qualität der Untersuchung von essenzieller Bedeutung war: Diejenigen Patienten, bei denen die Untersuchung qualitativ hochwertig durchgeführt wurde, hatten ein zweifach niedrigeres Risiko, an Darmkrebs zu erkranken bzw. daran zu sterben, als jene, deren Untersuchungsqualität nicht internationalen Standards entsprach.9
Auch Studien aus Österreich, die im Rahmen des „Qualiätszertifikats Darmkrebsvorsorge“ durchgeführt worden sind, haben die Wichtigkeit einer qualitativ hochwertigen Untersuchung unterstrichen. Insgesamt war das Risiko, nach einer Vorsorgekoloskopie an Darmkrebs zu erkranken bzw. daran zu sterben, sehr niedrig (0,06%).12, 13 Das Risiko für Patienten mit Niedrigrisikoadenomen war vergleichbar mit jenem nach negativer Koloskopie.
Die Untersuchungsqualität hatte in jeder Risikogruppe (Hochrisiko, Niedrigrisiko, negative Koloskopie) einen Einfluss darauf, ob ein Patient trotz einer Vorsorgekoloskopie an Darmkrebs erkrankte. Interessanterweise war dieser Effekt für Patienten der Hochrisikogruppe am stärksten. Diese Beobachtung unterstreicht zum einen die Wichtigkeit von Qualitätssicherungsprogrammen, zum anderen wirft sie die Frage auf, ob die Untersuchungsqualität bei der Festlegung der Nachsorgeintervalle berücksichtigt werden sollte.
Fazit
Mit einer qualitativ hochwertig durchgeführten Vorsorgekoloskopie kann eine Reduktion von Inzidenz und Mortalität von Darmkrebs erreicht werden. Die Untersuchungsqualität ist vor allem für Hochrisikopatienten, die ohnehin ein erhöhtes Risiko haben, im Laufe ihres Lebens ein weiteres Adenom bzw. Darmkrebs zu entwickeln, von Bedeutung.
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