
24. Oktober 2019
Diabetes mellitus
Kardiovaskuläres Outcome und Sicherheit
Beim Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) wurden heuer zahlreiche neue Studiendaten präsentiert. Als erstes Antidiabetikum bewährt sich der SGLT2-Hemmer Dapagliflozin als Therapieoption bei Herzinsuffizienz – mit oder ohne Typ-2-Diabetes. Die kardiovaskuläre Sicherheit des DPP-4-Hemmers Linagliptin wurde hingegen in einem Vergleich mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid bestätigt. Und neue Daten sprechen dafür, dass Übergewicht das Diabetesrisiko deutlich stärker beeinflusst als genetische Faktoren.
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Dapagliflozin in Herzinsuffizienzstudie erfolgreich
In drei großen Studien zum kardiovaskulären Outcome konnten Antidiabetika aus der Klasse der SGLT2-Inhibitoren bei Patienten mit Typ-2-Diabetes signifikante positive Effekte auf die chronische Herzinsuffizienz, konkret die Vermeidung von Hospitalisierungen und kardiovaskulären Todesfällen, unter Beweis stellen. Der Anteil der Teilnehmer, die mit etablierter Herzinsuffizienz rekrutiert wurden, war in diesen Studien jedoch gering und die Patienten im Hinblick auf die Herzinsuffizienz nicht systematisch charakterisiert. Somit blieb offen, ob SGLT2-Hemmer nicht nur in der Prävention, sondern auch in der Therapie der Herzinsuffizienz eingesetzt werden können und ob die zugrunde liegenden Wirkmechanismen auch bei Nichtdiabetikern zum Tragen kommen. Zur Beantwortung dieser Fragen laufen zurzeit mehrere Studien mit diversen Vertretern der Substanzklasse. Die erste dieser Studien, Dapagliflozin and Prevention of Adverse Outcomes in Heart Failure (DAPA-HF), wurde zeitgleich mit der EASD-Präsentation in Barcelona online publiziert.1
DAPA-HF: Design und Patientenkollektiv wie in klassischen Herzinsuffizienzstudien
In DAPA-HF wurden in Summe 4744 Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurfleistung (HFrEF) inkludiert, darunter 45% mit Typ-2-Diabetes. Rund zwei Drittel der Teilnehmer befanden sich im NYHA-Stadium II, rund 30% im Stadium III und 1% im Stadium IV der Herzinsuffizienz. Die Patienten erhielten, zusätzlich zur Therapie der Herzinsuffizienz nach aktuellem Versorgungsstandard (93% Diuretika, 93% ACE-Hemmer bzw. Angiotensinrezeptorblocker [ARB], 96% Betablocker, 71% Mineralokortikoidrezeptorantagonisten, 11% Sacubitril/Valsartan), randomisiert Dapagliflozin (10mg/Tag) oder Placebo. Als primärer Endpunkt wurde die Verschlechterung der Herzinsuffizienz (ungeplante Hospitalisierung oder intravenöse Behandlung im Rahmen einer Notfallvisite) oder kardiovaskulärer Tod definiert.
Im Follow-up von median 18 Monaten reduzierte Dapagliflozin den primären Endpunkt um 26% versus Placebo (p=0,00001), mit einer "number needed to treat" von 21. Zur Verschlechterung der Herzinsuffizienz kam es unter Dapagliflozin um 30% seltener (p=0,00003), kardiovaskuläre Todesfälle waren um 18% reduziert (p=0,029). Auch auf die Symptomatik der Herzinsuffizienz, quantifiziert mittels Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire (KCCQ), hatte die SGLT2-Hemmung einen signifikanten positiven Effekt. So kam es mit Dapagliflozin signifikant häufiger zu einem Anstieg des KCCQ-Scores um 5 oder mehr Punkte und signifikant seltener zu einer Verschlechterung im gleichen Ausmaß.
Diabetiker und Nichtdiabetiker profitieren im gleichen Ausmaß
Die Reduktion des primären Endpunktes ist in den präspezifizierten Subgruppen konsistent nachweisbar. Vor allem aber profitierten Studienteilnehmer ohne Typ-2-Diabetes im gleichen Ausmaß (HR: 0,73; 95% CI: 0,60–0,88) wie jene mit Typ-2-Diabetes (HR: 0,75; 95% CI: 0,63–0,90). Post-hoc-Analysen weisen darauf hin, dass die Background-Medikation mit ARB/Neprilysin-Inhibitor ebenfalls keinen Einfluss auf das primäre Outcome hatte.
Die Behandlung mit Dapagliflozin war in DAPA-HF gut verträglich, insbesondere traten Volumenmangel, renale Nebenwirkungen, Hypoglykämien, Frakturen oder Amputationen der unteren Extremitäten im Dapagliflozin-Arm nicht gehäuft auf.
Neues zum DPP-4-Hemmer Linagliptin
Die CAROLINA-Studie (CARdiOvascular Safety of LINAgliptin), die im Rahmen des EASD-Kongresses 2019 präsentiert und zeitgleich in "JAMA" publiziert wurde,2 verglich den DPP-4-Inhibitor Linagliptin mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid.
In der Studie zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf den primären Endpunkt, die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse in einer Population mit kardiovaskulärem Risiko und mit Typ-2-Diabetes. Konkret kam es in CAROLINA mit mehr als 6000 Patienten und einem Follow-up von 6,3 Jahren bei 11,8% der Patienten in der Linagliptin-Gruppe sowie bei 12% der Patienten in der Glimepirid-Gruppe zu einem kardiovaskulären Ereignis (HR: 0,98; 95% CI: 0,84–1,14). Kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) waren definiert als kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt oder nicht tödlicher Schlaganfall. Das Ergebnis war über alle Subgruppen konsistent, also auch bei älteren Patienten oder Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung. Da für Linagliptin die kardiovaskuläre Sicherheit bereits in der Studie CARMELINA3 im Vergleich zu Placebo demonstriert worden war, kann man davon ausgehen, dass – so die Autoren der Studie – beide Substanzen kardiovaskulär sicher sind, jedoch auch keinen kardiovaskulären Vorteil bringen.
Da hinsichtlich des primären Endpunkts das Studienziel (Überlegenheit von Linagliptin im Vergleich zu Glimepirid) nicht erreicht wurde, berichteten die Vortragenden über sämtliche sekundären Endpunkte deskriptiv. Die Auswertungen zeigen im Hinblick auf die glykämische Kontrolle eine moderate Überlegenheit von Linagliptin. Den kombinierten sekundären Endpunkt HbA1c unter 7% bei der finalen Visite ohne Rescue-Medikation, ohne moderate bis schwere Hypoglykämien und mit weniger als 2% Gewichtszunahme erreichten 481 der 3023 Patienten in der Linagliptin-Gruppe (16,0%) im Vergleich zu 305 der 3010 Glimepirid-Patienten (10,2%). Hypoglykämien und schwere Hypoglykämien waren unter Linagliptin (10,6%) deutlich seltener als unter Glimepirid (37,7%). Von schweren Hypoglykämien waren 0,3% der Patienten unter Linagliptin und 2,2% der Glimepirid-Patienten betroffen, was einer Risikoreduktion um mehr als 80% entspricht.
Daher sprechen sich die Autoren dafür aus, gemäß den aktuellen EASD-Empfehlungen, den Sulfonylharnstoff auch angesichts seiner nun nachgewiesenen Sicherheit vor allem dann zu verwenden, wenn dies aus Kostengründen nicht anders möglich ist.
Auch wenn Sulfonylharnstoffe nur noch eine untergeordnete Rolle in der Diabetestherapie spielen, werden die Resultate insbesondere von Diabetologen aus den USA, wo Sulfonylharnstoffe mit einer FDA-Warnung versehen werden müssen, als Schlusspunkt einer jahrzehntelangen Diskussion gesehen. Diese Diskussion hatte mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität in einer 50 Jahre alten Studie mit dem Sulfonylharnstoff der 1. Generation, Tolbutamid, begonnen4 und könne nun, so Dr. Deborah J. Wexler im aktuellen "JAMA"-Editorial, für beendet erklärt werden.
Diabetesinzidenz: Gewicht entscheidender als die Gene
Unabhängig von einem etwaigen genetischen Risiko lässt sich die Wahrscheinlichkeit, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, in hohem Maß durch Gewichtskontrolle und gesunden Lebensstil beeinflussen. Das zeigen die Ergebnisse einer dänischen Registerstudie aus der Danish Prospective Diet, Cancer and Health Cohort mit fast 10000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (49,6% Frauen, 50,4% Männer, mittleres Alter 56,1 Jahre). Über einen Beobachtungszeitraum von 14,7 Jahren entwickelte fast die Hälfte der Probanden Typ-2-Diabetes. Übergewicht und Adipositas erwiesen sich in der Studie als die mit Abstand wichtigsten Risikofaktoren. Adipositas führte zu einer Erhöhung des individuellen Risikos um den Faktor 5,8. Neben dem Körpergewicht wurde in einer statistischen Risikorechnung die Bedeutung des genetischen Risikos (erhoben in Form eines Risiko-Scores auf Basis von 193 genetischen Varianten) sowie des Lebensstils berücksichtigt. Der Lebensstil wurde anhand der Faktoren Rauchen, moderater Alkoholkonsum, körperliche Aktivität und gesunde Ernährung als "günstig", "mittelmäßig" oder "ungünstig" eingestuft. Die Studie ergab, dass sowohl das genetische Risiko als auch der Lebensstil das individuelle Diabetesrisiko der Probanden zwar beeinflussten, dies allerdings bei Weitem nicht so deutlich wie das Körpergewicht. So zeigte die Gruppe mit dem höchsten genetischen Risiko im Vergleich zu jener mit dem niedrigsten eine Verdoppelung des Risikos und ein ungünstiger Lebensstil führte gerade einmal zu einer Risikoerhöhung um 20%.
Typ-2-Diabetes: Ist die Inzidenz wieder rückläufig?
Laut aktuellen Einschätzungen sieht die Zukunft düster aus. Die International Diabetes Federation spricht von 425 Millionen erwachsenen Diabetespatienten weltweit und rechnet bis 2045 mit einem Anstieg auf 600 Millionen. Angesichts aktueller, im Rahmen des EASD-Kongresses vorgestellter Daten könnte es möglicherweise nicht ganz so dramatisch kommen.6 Denn unter Berücksichtigung der steigenden Lebenserwartung wird die Zahl der Diabetespatienten zwar weiterhin wachsen, der gefürchtete Anstieg der Diabetesinzidenz konnte jedoch gebremst werden, und sogar eine Trendwende scheint möglich. Zu diesem Schluss kommt eine australische Gruppe auf Basis einer Metaanalyse zahlreicher Kohortenstudien. In der Auswertung wurde die Diabetesinzidenz für die Perioden 1970–79, 1980–89, 1990–99, 2000–09 und 2010 bis heute errechnet und hinsichtlich bekannter Störfaktoren wie Alter und zum jeweiligen Zeitpunkt verwendete Grenzwerte adjustiert. Die Berechnungen ergaben einen Anstieg der Diabetesinzidenz von 0,53% in den 1970er-Jahren auf 1,0% seit 2010. Dabei zeigte sich auch eine starke Korrelation von Diabeteserkrankung und steigendem Alter. Darüber hinaus zeigt die Auswertung jedoch, dass der Anstieg im Zeitabschnitt seit 2010 abflacht und sogar ein Rückgang um fünf Prozent eingetreten ist, der jedoch die Signifikanz verfehlte. Die Autoren sehen das als möglichen Hinweis auf die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen. Die Studie zeigt auch, dass für Personen europäischer Abstammung mittlerweile eine niedrigere Inzidenz von Typ-2-Diabetes gilt als für alle anderen Bevölkerungsgruppen – mit Ausnahme des Nahen Ostens und der pazifischen Inseln, wobei die Autoren auf die spärlichen Daten aus diesen Regionen hinweisen.
Bericht:
Albert Brugger, Reno Barth
Quelle:
EASD Annual Meeting 2019, 16.–20. September, Barcelona
Literatur:
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McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in patients with heart failure and reduced ejection fraction. N Engl J Med, published online September 19, 2019
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Rosenstock J et al.: Effect of linagliptin vs glimepiride on major adverse cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. The CAROLINA randomized clinical trial. JAMA, published online September 19, 2019. doi: 10.1001/jama.2019.13772
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Rosenstock J et al.: Effect of linagliptin vs placebo on major cardiovascular events in adults with type 2 diabetes and high cardiovascular and renal risk: the CARMELINA randomized clinical trial. JAMA 2019; 321(1): 69-79
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Meinert CL et al.: A study of the effects of hypoglycemic agents on vascular complications in patients with adult-onset diabetes, II: mortality results. Diabetes 1970; 19(Suppl): 789-830
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Jakupović H et al.: Obesity and unfavourable lifestyle increase type 2 diabetes-risk independent of genetic predisposition. EASD Annual Meeting 2019; Abstr. 376
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Magliano DJ et al.: Diabetes incidence over time: a systematic review. EASD Annual Meeting 2019; Abstr. 315