
14. Juni 2021
Chronische Erkrankungen und Ernährung
Iss dich gesund!
Ungesunde Ernährungsweisen sind in Summe für die meisten verlorenen Lebensjahre weltweit verantwortlich – Unterernährung nicht eingeschlossen. Jeder fünfte Todesfall ist diesem Risikofaktor geschuldet, meist durch Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen bedingt. Pflanzenzentrierte Ernährungsformen gewinnen sowohl in der Prävention als auch in der Therapie chronischer Erkrankungen zusehends an Bedeutung.
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Was haben die Okinawa-Insel in Japan, die Barbagia auf Sardinien und die Nicoya-Halbinsel auf Costa Rica gemeinsam? Die Bewohner dieser Regionen gehören nicht nur zu den langlebigsten auf dem Planeten, sie leiden darüber hinaus nur an einem Bruchteil unserer körperlichen und seelischen chronischen Krankheiten, wie Atherosklerose, Krebs oder Depression. Neben starker Verbundenheit zu Familien- und Wertegemeinschaftensowie regelmäßiger körperlicher Betätigung konnte eine unverarbeitete, pflanzenzentrierte Diät als wichtigstes gemeinsames Merkmal dieser Regionen ausfindig gemacht werden. Auf Okinawa, wo die ältesten Frauen der Welt leben, besteht die traditionelle Küche zu 96% aus unverarbeiteten Pflanzen wie Süßkartoffeln, grünem Blattgemüse, Sojabohnen und Vollkornreis. Fleisch- und Milchprodukte werden kaum und selbst Fisch nur in kleinen Mengen gegessen.1
In der größten jemals unternommenen Analyse von Risikofaktoren weltweit, der „Global Burden of Disease“-Studie, finden sich einige bemerkenswerte Parallelen. So findet sich unter den 15 bedeutsamsten ernährungsbezogenen Risikofaktoren siebenmal die zu geringe Aufnahme von meist unverarbeiteten pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Vollkorn, Obst und Gemüse, Nüssen und Samen oder Hülsenfrüchten. Auf der anderen Seite findet sich ein um das Fünffache erhöhter Konsum tierischer oder verarbeiteter Lebensmittel, etwa zu viel rotes und verarbeitetes Fleisch, zu viele Transfette oder zu viele zuckergesüßte Getränke.2
Vollwertige pflanzliche Ernährung
In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der „whole food plant-based diet“ (= vollwertige pflanzenbasierte Ernährung) geprägt. Sie stellt laut derzeitiger Studienlage die einzige Ernährungsform dar, bei der jemals die Remission einer bestehenden koronaren Herzkrankheit gezeigt werden konnte. In einer Serie von Interventionsstudien führte eine vollwertige, pflanzenzentrierte Ernährung zusammen mit täglichen Entspannungsübungen und moderater körperlicher Betätigung zu einer signifikanten Größenabnahme koronarer Plaques bei der Mehrzahl der Patienten. Dies spiegelte sich in einer Verringerung der Angina-pectoris-Episoden um 91% sowie einer Halbierung der Anzahl kardialer Folgeereignisse wider.3
Abb. 1: Maximaler Antioxidanziengehalt verschiedener Lebensmittegruppen in mmol/100 g (modifiziert nach Carlsen H et al. 2010)4
Was macht eine vollwertige pflanzliche Ernährung so effektiv?
Komplexe Kohlenhydrate, pflanzliches Protein sowie das vorteilhafte Fettsäureprofil in Kombination mit Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen dürften dabei eine entscheidende Rolle spielen. Besonders den sogenannten sekundären Pflanzenstoffen, welche die Pflanze vor Umwelteinflüssen wie Fressfeinden oder der reaktiven Sonnenstrahlung schützen, wird in gesundheitlicher Hinsicht besondere Bedeutung beigemessen. Jedes pflanzliche Nahrungsmittel enthält einige Tausend dieser Stoffe (Abb. 1), wobei additive und synergistische Effekte vermutet werden. Dies könnte das Fehlen eines Wirksamkeitsnachweises der meisten isolierten Supplemente erklären. Viele sekundäre Pflanzenstoffe sind antioxidativ wirksam, wie beispielsweise der Tomatenfarbstoff Lycopin. Ein ernährungsbedingt günstiges Verhältnis von Antioxidantien zu Kalorien, wie es eine unverarbeitete pflanzliche Kost häufig aufweist, verringert oxidativen Stress und damit einhergehende vaskuläre und kanzerogene Krankheitsprozesse.4 Es konnte sogar mit erhöhter Telomeraseaktivität und einer Verlangsamung des biologischen Alterns in Zusammenhang gebracht werden.5 Umgekehrt wirken tierische oder stark verarbeitete pflanzliche Produkte, wie Zucker oder weißes Mehl, häufig prooxidativ.
Viele sekundäre Pflanzenstoffe wirken antikarzinogen. Sulforaphan, das reichlich in Broccoli, Kohl und Rucola vorkommt, induziert Phase-II-Enzyme in der Leber und beschleunigt damit die Verringerung von Karzinogenen. Die in Sojabohnen vorkommenden Isoflavone wirken östrogenmodulatorisch und konnten nachweislich mit einem geringeren Brustkrebsrisiko in Zusammenhang gebracht werden.6
Andere Pflanzenstoffe wirken antithrombotisch, antiatherosklerotisch oder antiinflammatorisch. Wie effektiv und gleichzeitig nebenwirkungsarm die Chemoprophylaxe durch Ernährung sein kann, zeigt eine Analyse, bei der Menschen, die sich vollwertig und pflanzenzentriert ernährten, Salicylsäurespiegel im Bereich derjenigen von Patienten mit einer niedrigdosierten Aspirintherapie (75g) aufwiesen. Trotzdem konnte bei der Ernährungs- im Gegensatz zur Aspiringruppe kein erhöhtes Ulkusrisiko festgestellt werden – vermutlich aufgrund anderer schleimhautprotektiver Pflanzenstoffe.7
Therapeutischer Einsatz von Ernährung
Auch bei der Hypertoniebehandlung hat eine gesunde Ernährung unter anderen Lebensstilfaktoren einen wichtigen Stellenwert. In Abbildung 2 wird die durchschnittliche Senkung des systolischen Blutdruckes durch verschiedene Interventionen veranschaulicht. Durch Gewichtsverlust erreicht man in etwa die Senkung des systolischen Blutdrucks von 1 mmHg pro kg verlorenem Körpergewicht. Eine Verringerung des Salz- und Alkoholkonsums ist noch effizienter, ebenso der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse. Die DASH-Diät wurde eigens zur Hypertoniebehandlung entwickelt und ist reich an Obst und Gemüse, Vollkorn und mageren Milchprodukten.8 Die alleinige Umstellung auf eine „whole food plant-based diet“ kann den systolischen Blutdruckwert ohne kalorische Restriktion innerhalb einer Woche um beinahe 20mmHg senken, was besser ist als eine Blutdruckmonotherapie in Maximaldosierung.9 Nur eine 11-tägige Fastenperiode hat sich als noch effektiver herausgestellt. Am Ende der durchgeführten Studie normalisierte sich der Blutdruck bei 89% der Patienten, zusätzlich benötigte keiner der Probanden mehr eine antihypertensive Medikation.10
Nahrungsfette und Zucker
Die Höhe des Blutcholesterinspiegels, besonders des LDL-Cholesterins, stellt einen der größten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar. Transfette, gesättigte Fettsäuren und Nahrungscholesterin finden sich hauptsächlich in tierischen und verarbeiteten Produkten und führen zu einer dosisabhängigen Erhöhung des LDL-Spiegels. Deren Austausch durch einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren führt zu einer effektiven Cholesterinsenkung. Dr. Jenkins kombinierte in der von ihm entwickelten vegetarischen „Portfolio-Diät“ vier Nahrungsbestandteile, die das Blutcholesterin noch stärker senken sollen: Ballaststoffe, Sojaprodukte, Nüsse und Phytosterine, welche in fetthaltigen pflanzlichen Nahrungsmitteln vorkommen. Im Vergleich zu Lovastatin konnte eine vergleichbare Senkung des LDL-Cholesterins nach nur zwei Wochen gezeigt werden.11
Neben ungesunden Fetten konnte auch für raffinierten Zucker ein dosisabhängiger Zusammenhang zwischen dem Verzehr und der kardiovaskulären Mortalität gezeigt werden. Ebenso erhöht dieser das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2. Das Gleiche konnte für verarbeitetes und rotes Fleisch gezeigt werden, wofür toxische Effekte der Nitrosamine und des Hämeisens verantwortlich gemacht werden.12 Zusätzlich wirken sich Fleisch und andere tierische Produkte durch einen hohen Anteil an Phosphatidylcholin und Carnitin negativ auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit aus. Ein entscheidender Mediator ist hierbei Trimethylaminoxid (TMAO), welches durch die Darmflora und hepatische Oxidationsprozesse gebildet wird und zu einer Überaktivierung der Blutplättchen und damit einhergehend zur Erhöhung des Thromboserisikos führt. Bemerkenswerterweise produzieren Veganer und Vegetarier selbst bei einmaliger Einnahme großer Mengen von Carnitin kaum TMAO, da ihre Darmflora anders zusammengesetzt ist. Man könnte also sagen, je mehr Fleisch man isst, desto effektiver wird die Darmflora darin, toxische Metaboliten zu bilden.13
Gefährliches Übergewicht
Da Übergewicht das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 und 13 verschiedene Krebsarten fördert, sind gewichtsreduzierende Strategien von großer Bedeutung. Es konnte in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass der durchschnittliche BMI von Omnivoren über Vegetarier hin zu Veganern abnimmt – selbst ohne kalorische Restriktion. Eine der Krebsarten, für die das Risiko durch Übergewicht erhöht wird, ist der Dickdarmkrebs. Genauso wirken verarbeitetes und rotes Fleisch dosisabhängig karzinogen, neben dem Kolonkarzinom ist das Risiko für Pankreas-, Prostata- und Magenkarzinome möglicherweise ebenso erhöht. Vollkornprodukte, Ballaststoffe, Sport und Milchprodukte haben eine protektive Wirkung, wobei die antikanzerogene Wirkung von Milchprodukten durch den hohen Gehalt an Kalzium erklärt werden kann, welches in grünem Blattgemüse, Tofu und Kidneybohnen sogar in noch größerer Menge zu finden ist.14
Selbst bei vollständiger Umstellung auf eine ausgewogene, vollwertige pflanzliche Ernährung, welche neben Obst und Gemüse auch Vollkorn, Nüsse und Hülsenfrüchte enthält, müssen keine Mangelerscheinungen befürchtet werden. Die einzige Ausnahme stellt hier Vitamin B12 dar, welches neben tierischen Produkten auch in essbaren Algen und Hefeflocken zu finden ist. Da diese jedoch in der Regel selten konsumiert werden, empfiehlt sich für Vitamin B12 eine Supplementierung, um beispielsweise Anämien zu vermeiden.
Literatur:
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Ornish D et al.: Can lifestyle changes reverse coronary heart disease? The Lifestyle Heart Trial. Lancet 1990; 336(8708): 129-33
Carlsen MH et al.: The total antioxidant content of more than 3100 foods, beverages, spices, herbs and supplements used worldwide. Nutr J.2010; 9: 3
García-Calzón S etal.: Dietary total antioxidant capacity is associated with leukocyte telomere length in a children and adolescent population. Clin Nutr 2015; 34(4): 694-9
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Whelton PK et al.: 2017 ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA Guideline for the prevention, detection, evaluation, and management of high blood pressure in adults: A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 2018; 71(19): e127-e248
McDougall J et al.: Effects of 7 days on an ad libitum low-fat vegan diet: the McDougall Program cohort. Nutr J 2014; 13(1): 99
Goldhamer A et al.: Medically supervised water-only fasting in the treatment of hypertension. J Manipulative Physiol Ther 2001; 24(5): 335-9
Jenkins DJ et al.: Direct comparison of a dietary portfolio of cholesterol-lowering foods with a statin in hypercholesterolemic participants. Am J Clin Nutr 2005; 81(2): 380-7
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Colorectal cancer. World Cancer Research Fund. Published April 24, 2018. Accessed March 30, 2021. https://www.wcrf.org/dietandcancer/colorectal-cancer