
25. April 2023
Selbstverwaltung der Ärztekammern
Verfassungs-mäßigkeit des Disziplinarverfahrens
In seinem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 6.3.2023 Gz.G 237/2022 u.a. hatte sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit der Verfassungsmäßigkeit des bei den Ärztekammern geführten Disziplinarverfahrens auseinanderzusetzen.
Die Ausübung der Disziplinargewalt
Mehrere Landesverwaltungsgerichte hatten, offenbar untereinander abgesprochen, in anhängigen Disziplinarverfahren mehrere Bestimmungen des Ärztegesetzes als verfassungswidrig angefochten. Dies im Wesentlichen mit dieser Begründung:
Nach dem Ärztegesetz erfolge die Einrichtung des Disziplinarverfahrens im eigenen Wirkungsbereich der Ärztekammern, sei also ureigene Aufgabe der Ärztekammern (und nicht eine vom Bund an die Ärztekammern übertragene Aufgabe). Die Ausübung der Disziplinargewalt sei aber keine Aufgabe, die in die Selbstverwaltung gehöre. Selbst wenn man nicht dieser Ansicht sei, dann widerspreche die Konstruktion der Disziplinarbehörden der Selbstverwaltung, weil Organe der Ärztekammern nur mit Mitgliedern der Ärztekammern besetzt werden könnten. Im Ärztegesetz sei aber vorgesehen, dass der Gesundheitsminister über Vorschlag des Vorstands der Österreichischen Ärztekammer Juristen als Vorsitzende, als Disziplinaranwälte und als Untersuchungsführer bestellen müsse. Wenn Nichtkammermitglieder in den Disziplinarbehörden tätig werden würden, seien die Grundsätze der Selbstverwaltung verletzt.
Beurteilung des VfGH
Den Großteil der geäußerten Bedenken teilte das Höchstgericht nicht:
Die Ahndung von Verstößen gegen Standesregeln zähle bei den Kammern der freien Berufe seit jeher zu den typischen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches. Das Ärztegesetz habe dies bereits in seiner Stammfassung 1998 so vorgesehen. Auch habe der VfGH dies bei den Apothekerkammern und der Notariatskammer bereits als zulässig angesehen. An dieser Beurteilung halte das Höchstgericht fest.
Auch seien die Zuständigkeiten unter den einzelnen Disziplinarkommissionen entsprechend nachvollziehbar verteilt, sodass sich aus daraus keine Verfassungswidrigkeit ergäbe.
Zwar seien grundsätzlich die entscheidungsbefugten Organe eines Selbstverwaltungskörpers wie der Ärztekammern aus deren Mitgliedern zu besetzen, um die demokratische notwendige Legitimation zu haben; dies sei der Kerngedanke der Selbstverwaltung. Allerdings bestünden keine Bedenken, wenn die Vorschriften über die Zusammensetzung der Disziplinarbehörden vorsehe, dass Juristen Aufgaben zu übernehmen hätten.
Der Verfassungsgerichtshof hob jedoch jene Bestimmungen per 30.9.2024 als verfassungswidrig auf, wonach der Gesundheitsminister die Juristen in den Disziplinarbehörden auf Vorschlag des Vorstands der Österreichischen Ärztekammer ernenne. Dies sei mit den Grundsätzen der Selbstverwaltung nicht vereinbar. Salopp formuliert: „Echte“ Selbstverwaltung könne man nur annehmen, wenn ausschließlich Organe der Ärztekammern auch die Juristen in den Disziplinarbehörden ernennen, ohne Bestellungsakt durch einen „Fremden“, z.B. den Gesundheitsminister.
Was bleibt?
Das Disziplinarverfahren gegen Ärzte wegen Berufspflichtenverletzungen oder Vergehen gegen Ansehen und Ehre des Standes wird daher weiterhin von den bisherigen Disziplinarkommissionen geführt werden. Die Ernennung aller Mitglieder der Disziplinarbehörden – und nicht nur der ärztlichen Beisitzer – wird in Zukunft durch die Ärztekammern selbst – wahrscheinlich durch den Vorstand der Österreichischen Ärztekammer – erfolgen.
Fazit
Für den einzelnen Arzt ändert sich nichts. Nur bei jenen Ärzten, deren Disziplinarverfahren Anlassfälle beim Verfassungsgerichtshof waren, ist das Verfahren nach geänderten Zusammensetzungsvorschriften in erster Instanz neu durchzuführen. In zweiter Instanz entscheidet ohnehin das jeweilige Landesverwaltungsgericht.