
8. Juli 2020
Streitigkeiten aus dem kurativen Einzelvertrag
Ob ein Kassenvertragsarzt als „arbeitnehmerähnlich“ zu betrachten ist, ist umstritten und noch nicht ausjudiziert. Klar geregelt sind jedoch die Zuständigkeiten für juristische Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem kurativen Einzelvertrag.
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Unter Juristen herrscht Einigkeit darüber, dass die rechtlichen Beziehungen zwischen Kassenvertragsarzt und Sozialversicherungsträger zivilrechtlicher (und nicht etwa hoheitsrechtlicher) Natur sind. Durch den Abschluss des kurativen Einzelvertrages kommt kein Anstellungsverhältnis zum Sozialversicherungsträger zustande, der Kassenvertragsarzt agiert vielmehr als selbstständiger, niedergelassener Arzt. Ob ein Kassenvertragsarzt als „arbeitnehmerähnlich“ anzusehen ist, weil er zumeist in wirtschaftlicher Abhängigkeit von einigen wenigen Sozialversicherungsträgern Patienten behandelt, dies mit im Gesamtvertrag konkret geregelten Bestimmungen über Urlaube, (notwendige) Vertretungen, Mindestöffnungszeiten etc., ist umstritten und noch nicht ausjudiziert.
Klar geregelt sind jedoch Streitbeilegungsmechanismen und Regelungen über die Entscheidung von Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit dem kurativen Einzelvertrag entstehen können, etwa bei angeblichen Regressforderungen des Sozialversicherungsträgers wegen angeblicher Überarztung oder infolge einer Vertragskündigung durch den Sozialversicherungsträger:
Schlichtungsausschuss
Die jeweiligen Gesamtverträge sehen zunächst einen Schlichtungsversuch vor dem sogenannten Schlichtungsausschuss vor. Der Schlichtungsausschuss besteht gewöhnlicherweise aus je einem von der zuständigen Ärztekammer und dem betroffenen Sozialversicherungsträger entsendeten Mitglied. Verfassungsrechtlich bedenklich (Prinzip der Waffengleichheit der Parteien im Zivilprozess) ist dabei der Umstand, dass dem betroffenen Arzt kein Recht auf die Nominierung eines Mitglieds des Schlichtungsausschusses zukommt, dem betroffenen Sozialversicherungsträger jedoch schon. Da Ärztekammern Gesamtinteressen und nicht Einzelinteressen zu wahren haben, kann es bedenklicherweise dazu kommen, dass der Sozialversicherungsträger seine Interessen, die jeweilige Ärztekammer aber nicht das Einzelinteresse des betroffenen Kassenvertragsarztes vertritt, sondern allgemeine Interessen.
Gelangt der Schlichtungsausschuss zu einer Entscheidung, ist diese ein bindender Schiedsspruch, es sei denn, entweder Kassenvertragsarzt oder Sozialversicherungsträger rufen innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der Entscheidung die jeweilige paritätische Schiedskommission an.
Paritätische Schiedskommissionen
In jedem Bundesland ist eine paritätische Schiedskommission eingerichtet, die aus einem pensionierten Richter und je zwei von der zuständigen Ärztekammer und dem betroffenen Sozialversicherungsträger entsendeten Mitgliedern besteht. Je eines der entsendeten Mitglieder muss Arzt sein. Bei dieser Zusammensetzung bestehen dieselben Bedenken wie jene bei der Zusammensetzung des Schlichtungsausschusses: Der betroffene Sozialversicherungsträger darf zwei stimmberechtigte Mitglieder in die paritätische Schiedskommission entsenden, der betroffene Kassenvertragsarzt allerdings nicht. Die paritätischen Schiedskommissionen sind zur Schlichtung und Entscheidung aller Streitigkeiten aus dem kurativen Einzelvertrag (mit Ausnahme des Kündigungsanfechtungsverfahrens) berufen und entscheiden mit Bescheid. Die Anrufung der ordentlichen Gerichte ist ausgeschlossen.
Landesschiedskommission
Den in jedem Bundesland bestehenden Landesschiedskommissionen steht ebenfalls ein pensionierter Richter vor; je zwei Mitglieder werden von der zuständigen Ärztekammer und dem Dachverband entsendet. Wiederum kommt dem betroffenen Arzt kein Entsenderecht zu. Die Landesschiedskommissionen sind zuständig für Kündigungsanfechtungsverfahren. Kündigt der Sozialversicherungsträger dem Kassenvertragsarzt wegen wiederholter, nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtenverletzungen den Kassenvertrag auf, kann dies der Kassenvertragsarzt bei der Landesschiedskommission binnen 14 Tagen ab Zustellung der Kündigung bekämpfen.
Bundesverwaltungsgericht
Seit der letzten Verwaltungsverfahrensnovelle geht der Instanzenzug von den paritätischen Schiedskommissionen bzw. den Landesschiedskommissionen an das Bundesverwaltungsgericht mit Sitz in Wien. Vorsitzender ist ein aktiver Richter, der allerdings nicht so wie die pensionierten Richter in den Schiedskommissionen über lange Zeit in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein soll. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Üblicherweise sind Verwaltungsrichter selten mit Arbeits- und Sozialrecht in Berührung gekommen, was zur Folge hat, dass in den Unterinstanzen durchaus eine höhere arbeits- und sozialrechtliche richterliche Kompetenz bestehen kann. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in Senaten mit vier fachkundigen Laienrichtern, die von der Österreichischen Ärztekammer und dem Dachverband nominiert werden und nicht aus dem Bundesland kommen dürfen, aus dem der beteiligte Kassenvertragsarzt stammt.
Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts
Schon bisher war der Instanzenzug an den Verfassungsgerichtshof offen, wenn die Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte behauptet wurde. Neu ist seit der letzten Verwaltungsverfahrensnovelle, dass auch der Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof offensteht, wo alle Gesetzesverstöße (nicht nur solche, die in die Verfassungssphäre reichen) releviert werden können. Anwaltspflicht besteht erst im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, wobei jedem Kassenvertragsarzt zu empfehlen ist, sich anwaltlich durch einen Experten für Kassenvertragsrecht vertreten zu lassen.