14. Juli 2021
Primäre Myelofibrose – ist ein frühzeitiger Therapiebeginn sinnvoll?
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Die primäre Myelofibrose (PMF) ist eine seltene Erkrankung. Die Inzidenz wird in Österreich auf etwa 1,5 Fälle/100000 Einwohner/Jahr geschätzt. Aufgrund einer früheren Diagnosestellung sowie eines Trends zu längerem Überleben liegt die Prävalenz der Erkrankung bei 5–15/100000 Einwohner.1
Die Diagnose der PMF wird anhand der Diagnosekriterien der WHO von 2016 gestellt (Abb. 1).2
Basis für die Indikationsstellung einer Therapie der Erkrankung bildet die Risikostratifizierung. Hierzu stehen uns mittlerweile mehrere Scoring-Systeme zur Verfügung. Die klassischen Risikostratifizierungssysteme sind der IPSS (bei Diagnosestellung), der DIPSS sowie der DIPSS plus (beide auch während des Verlaufs der Erkrankung).3,4 Es werden hier (IPSS und DIPSS) anhand von 5 Risikoparametern 4 unterschiedliche Risikogruppen unterschieden. Der DIPSS plus integriert zusätzlich zytogenetische Veränderungen, Transfusionsabhängigkeit und Thrombozytenzahl unter 100G/l.5 Neuere Risikoscoringsysteme – MIPSS 70, MIPSS 70+ und GIPSS – integrieren zusätzlich zu den klinischen Risikoparametern genetische Daten bzw. verwenden nur die Zytogenetik und Hochrisikomutationen.6–8
Die Indikation zur Therapie wird anhand der Riskostratifizierung der Erkrankung gestellt, wobei sich die meisten Guidelines an den klassischen Risikokategorien IPSS und DIPSS bzw. DIPSS plus orientieren, eine erst kürzlich publizierte Arbeit von A. Tefferi verwendet den MIPPS 70+.1,9
Für asymptomatische Niedrigrisikopatienten („low“ und „intermediate-1 risk“) wird in den meisten publizierten Empfehlungen eine „Watch and wait“-Strategie favorisiert. Höherrisikopatienten („intermediate-2“ und „high risk“) werden einer Therapie zugeführt. Für Patienten in entsprechendem Alter und bei verfügbarem Spender wird eine allogene Stammzelltransplantation, andernfalls eine systemische Therapie mit dem JAK1/2-Inhibitor Ruxolitinib empfohlen. Unlängst wurde ein zweiter JAK-Inhibitor – Fedratinib – für die Therapie der Höherrisiko-MF („intermediate-2“ und „high risk“) sowohl in der Erstlinie als auch bei Ruxolitinib-Versagen zugelassen und steht nun zur Verfügung. Bei vorherrschender Anämie ist die Therapie mit Danazol, Thalidomid, Lenalidomid, Prednisolon eine alternative Option, bei lokalisierten Knochenschmerzen oder extramedullärer Hämatopoiese kann eine lokale Radiotherapie diskutiert werden.9
Aufgrund der zahlreichen neuen Substanzen, die in der Behandlung der PMF untersucht werden, ist ein Einschluss in eine klinische Studie für alle Patienten, sofern möglich, die zu präferierende Therapiewahl.
Tab. 1: WHO-Diagnosekriterien 2016 (adaptiert nach Arber et al.)²
Frühzeitiger Therapiebeginn
Grundsätzlich wird eine medikamentöse Therapie für Patienten in den Höherrisiko-Kategorien empfohlen. Insbesondere Ruxolitinib wurde in den Zulassungsstudien nur an Patienten mit einer Hochrisikoerkrankung untersucht. Sowohl die amerikanische COMFORT-I- als auch die europäische COMFORT-II-Studie haben nur Patienten mit 2 oder mehr IPSS-Risikofaktoren eingeschlossen. In beiden Studien konnte ein signifikant besseres Ergebnis (Verkleinerung der Milz um mindestens 35% in Woche 48, Verbesserung der Lebensqualität, Reduktion der MF-assoziierten Symptome) für die Patienten, die mit Ruxolitinib behandelt wurden, im Vergleich zu Placebo bzw. BAT („best available therapy“) erreicht werden.10,11 In einer gepoolten Analyse der 5-Jahres-Daten aus beiden Studien konnte ein Überlebensvorteil für die mit Ruxolitinib behandelten Patienten („intermediate-2“ und „high risk“) gezeigt werden, unabhängig von Anämie und Transfusionsstatus.12
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Patienten mit niedrigem Risiko in Bezug auf ihre Erkrankung asymptomatisch sind. Neben der klinischen Erfahrung mehren sich nun auch die Daten darüber, dass viele der Niedrigrisikopatienten sehr wohl über Symptome klagen.13 Für diese Patienten wird auch bei Niedrigrisiko-Score eine medikamentöse Therapie empfohlen.
In die internationale „Expanded-access“-Studie (JUMP) wurden neben Patienten mit Höherrisiko-MF („intermediate-2“ und „high risk“) mit und ohne Splenomegalie auch „Intermediate-1“-Risikopatienten mit Splenomegalie (>5cm unter dem Rippenbogen) eingeschlossen (n=163). Für die letztere Kohorte konnte eine Wirksamkeit sowohl die Milzverkleinerung (>50% Verkleinerung: nach 24, 48 und 72 Wochen von 64%, 61% und 77%) als auch die Symptomkontrolle (bedeutende Symptomverbesserung bei 30% nach 48 Wochen) betreffend, gezeigt werden.14 Ähnliche Ergebnisse konnten in einer britischen „open-label“ Phase-II-Studie (ROBUST) an deutlich weniger (n=14) MF-Patienten mit „Intermediate-1“-IPSS-Risiko gezeigt werden.15
In einer retrospektiven Auswertung mit knapp über 400 Patienten, die mit Ruxolitinib behandelt worden waren, wurden das Ansprechen und Faktoren, die das Ansprechen beeinflussen, untersucht. Die Patienten erhielten Ruxolitinib entweder im Rahmen eines „Compassionate use“-Programms oder als kommerziell erhältliches Medikament. 60% der Patienten wurden primär in der JUMP-Studie behandelt, nach Ende der Studie bekamen die Patienten die Behandlung außerhalb eines Studienprotokolls weiterhin verabreicht. Die Baseline-Charakteristika der Nicht-Studienpatienten unterschieden sich insofern von den Studienpatienten, als sie nach dem IPSS-Score häufiger „intermediate-2“/ „high risk“ waren. In der Multivariatanalyse waren größere Milz (5–10cm versus >10cm), Transfusionsabhängigkeit, Thrombozytenzahl unter 200G/l sowie ein Zeitintervall >2 Jahre zwischen MF-Diagnose und Ruxolitinib-Therapiestart Faktoren, die negativ mit dem Ansprechen korrelierten. Ebenso scheint eine niedrigere Ruxolitinib-Dosis bei Therapiebeginn (<10mg) mit einemschlechteren Ansprechen assoziiert zu sein.16
Insgesamt könnten diese Daten einerseits dafür sprechen, dass ein früherer Therapiebeginn mit Ruxolitinib in einer entsprechend hohen Dosis mit einem besseren Ansprechen vergesellschaftet ist. Andererseits stammen die Daten von Niedrigrisikopatienten allesamt aus retrospektiven, nicht randomisierten Auswertungen, sodass die Bedeutung mit Vorsicht bewertet werden muss.