Teil 2: State of the Art und neue Entwicklungen

Medikamentöse Migräneprophylaxe

In der letzten Ausgabe von ALLGEMEINE+ konnten Sie sich bereits zur Akuttherapie bei Kopfschmerzattacken fortbilden. In diesem zweiten Teil der Serie zum Kopfschmerz erwartet Sie nun eine Übersicht über die medikamentöse Prophylaxe der Migräne.

Ziel der medikamentösen Migräneprophylaxe ist eine Reduktion der Migränetage pro Monat. Auch die Reduktion der Schwere, der Dauer, der Begleitsymptome und der funktionellen Auswirkungen der Migräne sind zentrale Ziele. Die Migräneprophylaxe ist essenziell, um einem Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch vorzubeugen. Es ist keine Alternative, mehr und mehr Akutmedikamente zur Attackentherapie der Migräne einzusetzen. Die Folge wäre eine weitere Zunahme der Frequenz und der Schwere der Symptome der Kopfschmerzen mit Übergang in einen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch. Als wirksam gilt die Migräneprophylaxe dann, wenn eine Reduktion der Migränetage pro Monat um 50% oder mehr durch die Behandlung resultiert.

Um die Häufigkeit der Migränetage pro Monat sowie die Einnahme von Akutmedikamenten und die Auswirkungen der Migräne im Verlauf prospektiv zu analysieren, ist eine kontinuierliche Dokumentation zur Verlaufs- und Erfolgskontrolle unentbehrlich. Bisher wurden dafür Schmerzkalender eingesetzt. Die digitale Therapiebegleitung mit digitalen Anwendungen ermöglicht eine prospektive fortwährende Verlaufsdokumentation mit kontinuierlicher Datenanalyse und aggregierter Auswertung. So kann in der ärztlichen Sprechstunde direkt in der Kommunikation mit den Betroffenen der Verlauf analysiert und die Therapie angepasst werden. Ein Beispiel dafür ist die Migräne-App. Sie ist kostenlos in den App-Stores verfügbar. Entwickelt wurde sie für die Interaktion in der ärztlichen Sprechstunde. Zudem stellt sie aktive Informations- und Therapieoptionen zur Verfügung.

Die Notwendigkeit für eine medikamentöse Migräneprophylaxe kann durch folgende Kriterien bestimmt werden:

  • sechs oder mehr Migränetage pro Monat, die zu deutlichen funktionellen Einschränkungen oder zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität führen (die Dauer der Migräneattacken variiert stark und ist daher als Parameter zur Indikationsstellung ungeeignet),

  • Migräneattacken, die in der Regel länger als drei Tage persistieren,

  • ausgeprägte Nebenwirkungen durch die Akuttherapie oder Kontraindikationen, die einen adäquaten Einsatz nicht ermöglichen,

  • Notwendigkeit für Akutmedikation an sieben bis neun Tagen pro Monat mit Übergang in einen Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch,

  • komplexe Migräneauren, wie zum Beispiel Migräne mit Hirnstammaura, hemiplegische Migräne, prolongierte Auren, migränegetriggerte epileptische Anfälle oder sonstige komplexe neurologische Ausfälle im Rahmen einer Migräne,

  • Zustand nach migränösem Infarkt.

Wirkstoffe

Es liegen heute sieben für die Migränevorbeugung zugelassene Wirkstoffgruppen vor, deren Wirksamkeit in umfangreichen Studien belegt wurde. Einen Überblick über die verschiedenen Wirkstoffe und Substanzgruppen in der Vorbeugung der Migräne gibt Abbildung 1.

Die Ansprechraten und die Verträglichkeit der bisher verfügbaren Migräneprophylaktika (trizyklische Antidepressiva, Betablocker, Flunarizin, Topiramat) sind limitierende Faktoren für deren effektiven Einsatz. Zudem liegen bei zahlreichen Patienten Kontraindikationen vor. Dies bedingt eine reduzierte Adhärenz und Persistenz.

Neu in der Prophylaxe der Migräne sind die seit Ende 2018 verfügbaren „Calcitonin-gene-related peptide“(CGRP)-Rezeptor-Antikörper sowie die seit 2019 verfügbaren CGRP-Antikörper und nunmehr auch die CGRP-Antagonisten. Erstmalig in der Geschichte der medikamentösen Migräneprophylaxe wurdenMedikamente aufgrund des bekannten pathophysiologischen Geschehens in der Entstehung der Migräne entwickelt, die gezielt diese Mechanismen adressieren.

Nach der neurovaskulären Hypothese zur Pathogenese der Migräne wird die Attacke durch kortikale und subkortikale Veränderungen im Gehirn ausgelöst. Diese bedingen eine Aktivierung des trigeminovaskulären Systems. In der Folge werden Schmerzsignale zum Thalamus weitergeleitet. Durch diese Aktivierung wird CGRP an trigeminalen Nervenendigungen in die kraniale Blutzirkulation freigesetzt. Dies führt zu einer Vasodilatation der intrakraniellen Arterien mit vaskulärer Allodynie und Hyperpathie sowie erhöhter neuronaler Erregbarkeit. In der Konsequenz entsteht eine neurogene Entzündung mit Vasodilatation, Plasmaextravasation und nozizeptiver Stimulierung der Gefäßwände. CGRP aktiviert demnach in der Dura, im Trigeminusganglion, im zervikalen Trigeminuskernkomplex, im Thalamus und im periaquäduktalen Grau nozizeptive Mechanismen. Sowohl die klinische Symptomatik als auch die Freisetzung von CGRP lässt sich durch Triptane blockieren.

Monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor in der Migränebehandlung hemmen die durch CGRP induzierte Schmerztransmission. Sie verringern die periphere und die zentrale Sensibilisierung, indem sie die Wirkung des übermäßig freigesetzten CGRP hemmen oder CGRP am CGRP-Rezeptor blockieren.

Diese Wirkstoffe wurden in umfangreichen Studienprogrammen bei episodischer und chronischer Migräne untersucht: Bei schweren, prolongierten Migräneattacken kann die Freisetzung von CGRP in der kranialen Zirkulation beobachtet werden. CGRP-Infusionen können bei Migränepatienten eine Attacke provozieren. Dies ist nicht der Fall bei gesunden Kontrollpersonen.

Aufgrund ihres hohen Molekulargewichtes von etwa 150 kDa können monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor die intakte Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Sie werden daher als „große Moleküle“ bezeichnet. Im Gegensatz dazu werden die bisher zugelassenen vorbeugenden Medikamente, einschließlich der Gepante, „kleine Moleküle“ genannt.

Zugelassen sind Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab. Eine Übersicht über die verschiedenen Wirkstoffe gibt Tabelle 1.

Erenumab

Erenumab ist ein humaner monoklonaler Immunglobulin-G2(IgG-2)-Antikörper. Die Wirkung beruht auf einer potenten und kompetitiven Hemmung der Bindung von CGRP an seinen Rezeptor. Erenumab wird durch den Patientenmit einem Autoinjektor subkutan verabreicht. Die empfohlene Dosierung beträgt 70mg oder 140mg subkutan in den Bauch, den Oberschenkel oder den Oberarm. Unerwünschte Wirkungen schließen Reaktionen an der Injektionsstelle wie Schmerzen, Erythem und Pruritus, außerdem Obstipation, Krämpfe und Muskelspasmen ein. Kontraindikation ist eine Überempfindlichkeit gegenüber dem Arzneimittel oder den enthaltenen Hilfsstoffen.

Galcanezumab

Galcanezumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG4-Antikörper. Er bindet mit hoher Affinität an menschliches CGRP und verhindert dadurch die Rezeptoraktivierung. Galcanezumab wird mit einem Autoinjektor subkutan verabreicht. Empfohlen wird eine Ladedosis von 240mg in Form von zwei Injektionen von je 120mg, gefolgt von monatlichen Dosen von 120mg. Die subkutane Injektion wird in den Bauch, den Oberschenkel, die Rückseite des Oberarms oder das Gesäß appliziert. Unerwünschte Wirkungen schließen Reaktionen an der Injektionsstelle wie Schmerzen, Erythem und Juckreiz ein. Kontraindikation ist eine Überempfindlichkeit gegenüber dem Arzneimittel oder den Hilfsstoffen.

Fremanezumab

Fremanezumab ist ein vollständig humanisierter Antikörper gegen IgG-2. Fremanezumab bindet selektiv sowohl an die α- als auch an die β-Isoform von CGRP und verhindert dadurch die CGRP-induzierte Rezeptoraktivierung. Fremanezumab wird mit einem Autoinjektor oder mit einer Fertigspritze als subkutane Injektion verabreicht. Die empfohlene Dosis beträgt 225mg monatlich oder 675mg alle drei Monate, appliziert als drei in einer Sitzung aufeinanderfolgende Injektionen von jeweils 225mg. Die subkutane Injektion wird in den Bauch, den Oberschenkel, die Rückseite des Oberarms oder das Gesäß gegeben. Unerwünschte Wirkungen schließen Reaktionen an der Injektionsstelle wie Schmerzen, Erythem und Juckreiz ein. Kontraindikation ist eine Überempfindlichkeit gegenüber dem Arzneimittel oder den Hilfsstoffen.

Eptinezumab

Eptinezumab bindet selektiv an die α-und β-Formen des menschlichen CGRP-Liganden. Es verhindert dadurch schnell und lang anhaltend die Aktivierung des CGRP-Rezeptors. Eptinezumab ist bisher der einzige monoklonale CGRP-Antikörper, der in einer intravenösen Applikation verfügbar ist. Dadurch liegt die Bioverfügbarkeit von Eptinezumab bei 100% mit einer Halbwertszeit von 27 Tagen. Empfohlen wird eine Dosis von 100mg alle drei Monate, einige Patienten können von einer Dosierung mit 300mg profitieren. Das Medikament wird als intravenöse Infusion nach Verdünnung in 100ml 0,9%igem Natriumchlorid verabreicht.

Die am häufigsten beobachteten unerwünschten Ereignisse waren Nasopharyngitis (14,1%), Infektionen der oberen Atemwege (7,8%), Sinusitis (7,8%), Influenza (6,3%) und Bronchitis (5,5%).

Aufgrund des schnellen Wirkeintritts durch die intravenöse Gabe wurde die Wirksamkeit auch zur Behandlung akuter Attacken untersucht. Kopfschmerzfreiheit konnte dabei im Mittel nach vier Stunden bei Eptinezumab im Vergleich zu neun Stunden bei Behandlung mit Placebo beobachtet werden. Auch begleitende Symptome der Migräne wurden signifikant früher reduziert. Nach zwei Stunden berichteten 23,5% der Patienten, die mit Eptinezumab behandelt wurden, von Kopfschmerzfreiheit, im Vergleich zu 12,0% in der Placebogruppe.

Rimegepant

Rimegepant ist derzeit der einzige in Europa zugelassene Vertreter der CGRP-Antagonisten, der den CGRP-Rezeptor reversibel blockiert. Rimegepant wurde ursprünglich für die Behandlung der akuten Migräneattacke entwickelt. Studien analysierten jedoch auch die Wirksamkeit in der Prophylaxe. In einer Phase-II/III-Studie wurde die Wirksamkeit von 75mg Rimegepant mit Applikation an jedem zweiten Tag im Vergleich zu Placebo über einen Zeitraum von drei Monaten untersucht. Die mittlere Zahl der Migränetage pro Monat sank unter Rimegepant signifikant stärker als unter Placebo (–4,3 versus –3,5 Tage). Die Häufigkeit von schweren unerwünschten Ereignissen war in beiden Studiengruppen nicht signifikant verschieden.

Das Medikament ist in den USA für die Vorbeugung der episodischen Migräne zugelassen. Es erhielt auch in Europa als erstes Mittel die Zulassung sowohl zur Akutbehandlung von Migräne mit und ohne Aura als auch zur Vorbeugung von episodischer Migräne bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat.

Rimegepant wird in Form einer Schmelztablette eingesetzt. Zur Behandlung der akuten Migräneanfälle können Patienten eine Tablette zu 75mg bei Bedarf einnehmen, jedoch maximal eine Tablette pro Tag. Zur Prophylaxe der Migräne wird laut Zulassung eine Dosierung von einer Tablette mit 75mg Rimegepant alle zwei Tage eingesetzt.

Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Übelkeit bei 3% sowie Überempfindlichkeitsreaktionen einschließlich Hautausschlag bei weniger als 1% der Patienten.

Im Hinblick auf den dualen Einsatz zur Akuttherapie und zur Vorbeugung sollte das Arzneimittel keinen Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch bedingen. Ob sich dies auch in der klinischen Versorgung zeigt oder ein Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch möglicherweise durch die kontinuierliche Gabe kaschiert wird, ist aber noch nicht abschließend geklärt.

Dosisanpassungen, Start der Wirkung

Bei den bisher zur Verfügung stehenden Wirkstoffen zur Migränevorbeugung (trizyklische Antidepressiva, Betablocker, Flunarizin, Topiramat) waren in der Regel eine langsame Eindosierung und eine Dosisanpassung erforderlich. Aufgrund der häufig auftretenden zentralnervösen Nebenwirkungen war eine Adhärenz sonst erschwert. Eine Wirkung konnte für gewöhnlich erst nach einem Zeitraum von vier bis acht Wochen beobachtet werden.

Bei den monoklonalen CGRP-Antikörpern ist eine entsprechende Eintitrierung nicht erforderlich. Es kann sofort mit der Zieldosis begonnen werden. Gravierende Unterschiede in der Verträglichkeit zwischen 70mg und 140mg Erenumab oder zwischen der Aufladedosis von Galcanezumab mit 2 × 240mg bestehen nicht, ebenso wenig wie zwischen der monatlichen Dosis Fremanezumab (225mg) und der dreimonatlichen Dosis (675mg). Schon nach einer Woche ist bei allen Stoffen ein signifikanter Wirkeintritt nachweisbar. In den Studien zeigte sich, dass nur bei einem kleinen Teil der Patienten erst im zweiten oder dritten Applikationszyklus eine Wirkung zu erzielen war, wenn diese vorher nicht auftrat. Insofern können die Wirkung und Verträglichkeit rasch nach dem Therapiebeginn beurteilt werden. Im Einzelfall ist es gerechtfertigt, auch bei mangelnder Wirksamkeit nach dem ersten vierwöchentlichen Behandlungszyklus einen zweiten oder dritten Behandlungszyklus zur Evaluation durchzuführen. Nach drei Monaten ohne Wirkung sollte das Medikament abgesetzt und eine Rotation auf einen anderen Wirkstoff erwogen werden. Bei schwer verlaufender chronischer Migräne zeichnet sich ein verzögertes Ansprechen auf die Antikörpertherapie in den verschiedenen Studien ab. Ein Therapieversuch über drei Monate gibt daher auch denjenigen Patienten eine Chance auf eine effektive Therapie, die nicht initial im ersten Behandlungsmonat ansprechen.

Abstand zwischen den Behandlungen

Nach Fachinformation wird Galcanezumab im monatlichen Abstand und Erenumab im Abstand von vier Wochen eingesetzt. Bei Fremanezumab besteht die Möglichkeit, eine Dosierung monatlich oder drei Dosierungen zusammen im Abstand von drei Monaten einzusetzen. Letztere Darreichungsform hat den Vorteil eines initial sehr hohen Plasmaspiegels. Dadurch ist gerade zu Beginn die Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen gegeben, vor allem bei schwer zu behandelnden Patienten. So wird sichergestellt, dass ausreichende Plasmaspiegel erreicht werden. Die Bioverfügbarkeit durch die intravenöse Gabe von Eptinezumab führt ebenfalls zu einem sehr schnellen Ansprechen.

Dauer der Behandlungen

Für Propranolol ist noch unklar, ob nach Absetzen der Behandlung die Therapieeffekte aufrechterhalten bleiben.

Für Topiramat zeigte sich nach Absetzen des Arzneimittels nach 26 Wochen während einer weiteren 26-wöchigen Doppelblindphase, in der entweder Topiramat oder Placebo gegeben wurde, in beiden Gruppen ein anhaltender Nutzen.

Für Flunarizin liegen Studiendaten vor, die eine fortbestehende Effektivität rund sechs Monate nach Absetzen nahelegen. Entsprechend der Fachinformation sollte Flunarizin abgesetzt werden, wenn während der Behandlung der therapeutische Effekt nachlässt. Sofern der Patient auf die Behandlung anspricht und eine Weiterbehandlung erforderlich ist, sollte die Tagesdosis reduziert werden, indem Flunarizin nur jeden zweiten Tag eingenommen wird oder der Patient fünf Tage Flunarizin einnimmt und mit zwei darauffolgenden behandlungsfreien Tagen pausiert. Die Anfangsdosis sollte nicht länger verabreicht werden, als dies zur Symptomlinderung notwendig ist, üblicherweise nicht länger als zwei Monate. Ist nach einem Monat der Behandlung kein wesentlicher therapeutischer Nutzen erkennbar, ist der Patient als Non-Responder anzusehen und die Behandlung mit Flunarizin zu beenden. Treten depressive Verstimmungen, extrapyramidale Symptome oder andere schwerwiegende Nebenwirkungen auf, ist die Behandlung mit Flunarizin ebenfalls zu beenden. Das gilt auch bei nachlassender therapeutischer Effektivität. Die Fachinformation führt dazu aus: Selbst wenn die prophylaktische Weiterbehandlung erfolgreich war und gut vertragen wurde, sollte die Behandlung spätestens nach sechs Monaten beendet und nur bei Rückkehr der behandelten Symptome weitergeführt werden.

Für Amitriptylin liegen keine Daten zum Verlauf der Migräne nach Absetzen vor.

Bei chronischer Migräne kann Onabotulinumtoxin A bei Respondern nach Absetzen der Behandlung während der nächsten drei Monate weiterhin eine mehr als 50%ige Reduktion der Kopfschmerztage pro Monat bedingen.

Bezüglich der monoklonalen CGRP-Antikörper weisen klinische Studien darauf hin, dass die Anzahl der Migränetage pro Monat sowie die migränebedingte Beeinträchtigung nach Absetzen der Therapie wieder kontinuierlich steigen. Ausgewertete Behandlungsverläufe legen nahe, dass bei weniger schwer betroffenen Patienten eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen nachhaltigen Effekt besteht. Dagegen ist bei schweren und chronischen Verläufen die Chance gering, dass der Behandlungseffekt stabil bleibt.

Auslassversuch

Im Einzelfall ist es nicht möglich, vorauszusagen, wie sich der weitere Verlauf der Migräne nach Absetzen der Behandlung gestaltet. In die Therapieentscheidung sollten daher alle verfügbaren Krankendaten einfließen: die gesamte Vorgeschichte, die Krankheitslast, die Häufigkeit der Migräne, die Schwere der Symptomatik hinsichtlich neurologischer Aurasymptome, der Schmerzparameter sowie die migränebedingten funktionellen familiären, beruflichen und sozialen Einschränkungen. Auch das Ansprechen auf Akutmedikamente sollte berücksichtigt werden. Komorbiditäten und die Komplikation eines Kopfschmerzes durch Medikamentenübergebrauch sollten in die Bewertung eingehen. Für einen Auslassversuch einer Migräneprophylaxe sollte deshalb für jeden Patienten eine individuelle Zeitgrenze gesetzt werden. Mit Ausnahme der Vorgaben von Flunarizin wäre eine standardisierte Limitierung willkürlich. Grundsätzlich kann eine zeitliche Limitierung der vorbeugenden Behandlung erfolgen, indem das nächste Dosierungsintervall prolongiert, eine Medikamentenpause über einen bestimmten Zeitraum festgelegt oder die Therapie abgesetzt wird. Auch hier sollte individuell auf Basis des Gesamtverlaufs und der patientenspezifischen Charakteristika vorgegangen werden. Bei den bisherigen, unspezifischen Migräneprophylaktika kann eine stufenweise Abdosierung erfolgen. Bei Botulinumtoxin kann eine Verlängerung des Applikationsintervalls erwogen werden. Bei sehr gutem Ansprechen und konstant gutem Verlauf über zwei bis drei Zyklen kann auch ein komplettes Absetzen vereinbart werden. Diese Entscheidungen können bei leichteren Verläufen nach sechs bis zwölf Monaten getroffen werden. Bei schweren chronischen Verläufen mit Kopfschmerzen an mehr als zehn Tagen pro Monat, schlechtem Ansprechen auf Akutmedikamente und ausgeprägten Auswirkungen der Migräne auf das berufliche, soziale und familiäre Leben sowie bei stark beeinträchtigenden Komorbiditäten sollte die zeitliche Limitierung jedoch zurückhaltend erfolgen. Erst nach einer Stabilisierung sollte im Fall der unspezifischen Migräneprophylaktika die Dosis reduziert werden – bei Gabe von Botulinumtoxin oder monoklonalen CGRP-Antikörpern, indem die Behandlungsintervalle sukzessive verlängert werden. Im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung sollte diese Entscheidung aber frühestens zwölf bis 24 Monate nach Behandlungsbeginn getroffen werden, um eine ausreichende Stabilisierung der Gesamtsituation zu ermöglichen. Gerade bei Patienten, bei denen es wiederholt zu einem Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch gekommen ist, sollte ein Auslassversuch in der Regel nicht vor dem 24. Monat erwogen werden, um einen Rückfall in den Medikamentenübergebrauch zu vermeiden.

Fazit

Wir haben heute also in der Therapie der Migräneattacke wie auch in der Prophylaxe der Migräne eine ganze Klaviatur an sinnvollen modernen Therapeutika zur Verfügung, wir sollten sie kennen und nutzen.

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Facharzt für Innere Medizin, Allgemeinmedizin und Anästhesiologie

Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)

Schmerzzentrum Bonn Bad-Godesberg

E-Mail: info@praxis-kuester.de

Web: www.praxis-kuester.de


PD Dr. Michael Küster

Tab. 1:CGRP-Antikörper

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