
DFP-Literatur
Medikamente und Nierenfunktion
Medikamente können auf unterschiedlichen Wegen die Nierenfunktion beeinflussen und umgekehrt. Daher ist besonders bei multimorbiden Patienten, die mehrere Medikamente verschiedener Substanzklassen einnehmen müssen, auf die Interaktion der Arzneimittel mit der Niere zu achten.
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Die Interaktionen von Medikamenten und Niere können in drei Hauptgruppen eingeteilt werden. Bei der ersten Gruppe liegt eine Minderperfusion der Niere vor, zum Beispiel infolge einer Herzinsuffizienz oder bei Dehydratation. Dies kann die Toleranz gegenüber nierengängigen Medikamenten senken und zu schädlichen Nebenwirkungen im ganzen Körper führen. Die zweite Gruppe umfasst nephrotoxische Medikamente, die Schäden an den Tubuli, interstitielle Nephritis etc. verursachen. Die dritte Gruppe beinhaltet Medikamente, die die Nierenperfusion reduzieren wie Antihypertensiva oder höher dosierte Diuretika. In vielen Fällen treffen diese Medikamente nicht auf eine gesunde, sondern eine vulnerable Niere, was zu einem akuten Nierenversagen führen kann. Es gilt nun, Risikopatienten für eine verminderte Nierenfunktion (Tab. 1) und die nierenschädigenden Faktoren wie Hypoperfusion und Hypovolämie zu erkennen, um Schäden durch Medikamente zu vermeiden. Dies ist in rund 80% der Fälle möglich, wenn richtig gehandelt wird (Abb. 1).
Kommt es zu einem akuten Nierenversagen, ist die Klärung der Ursache essenziell, da durch die Elimination der schädigenden Noxe der Vorgang potenziell reversibel ist. Die Niere kann dann vollständig ausheilen. Dabei ist es ein großer Unterschied, ob die Schädigung eine zuvor gesunde Niere betrifft oder eine bereits vorgeschädigte. Deshalb ist es ratsam, sofern möglich, die Nierenwerte früherer Untersuchungen anzuschauen. Cave: auf Albuminurie achten, da diese auf eine erhöhte Vulnerabilität hinweist, selbst wenn Kreatinin und GFR normal sind.

Ursachen, Symptome, Anamnese
Die akute Niereninsuffizienz entwickelt sich innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen. Sie kann symptomlos verlaufen, aber auch mit Ödemen, Hypertonie oder Anzeichen einer Urämie einhergehen – besonders im fortgeschrittenen Stadium. Die Laboruntersuchungen ergeben in der Regel ein erhöhtes Serumkreatinin, eine reduzierte GFR und ein pathologisches Harnsediment. Die Ursachen können prärenal, intrinsisch renal oder postrenal sein. Prärenale Auslöser sind meist Volumenmangel oder verminderte Nierendurchblutung anderer Ätiologie (z.B. Dehydratation infolge von Durchfall oder Medikamenten wie Diuretika), die auf eine vulnerable Niere treffen.
Intrinsisch renale Ursachen betreffen die Nierengefäße (Mikroangiopathie), Glomerula (nephritisches und nephrotisches Muster), können tubulär und interstitiell sein. Nephrotoxische Medikamente schädigen das Organ direkt, während Substanzen, die zu einer Minderperfusion führen, hämodynamische Probleme auslösen, die in der Regel reversibel sind (Tab. 2). Anamnestisch ist es daher wichtig, den Patienten nach den Medikamenten zu fragen, die er eingenommen hat, und auch, ob er vor Kurzem ein Röntgenkontrastmittel erhalten hat.
Postrenale Ursachen sind in der Regel Obstruktionen, zum Beispiel eine Prostatahyperplasie. Die Farbe und Menge des Urins sind zu erfragen sowie, ob Beinödeme und/oder Atemnot aufgetreten sind.

Diagnostik
Eine sorgfältige klinische Untersuchung, Harnsediment, Routinelabor und Bildgebung (Ultraschall) gehören ebenfalls zum diagnostischen Vorgehen. Eine Nierenbiopsie ist nur dann nötig, wenn die anderen Untersuchungen keine schlüssigen Ergebnisse gebracht haben.
Zusammenwirken von NSAR und ARB
Bei einer Hypovolämie und vermindertem Druck im Glomerulum wird normalerweise die Prostaglandinsynthese gesteigert, was zu einer Dilatation des Vas afferens des Glomerulums führt. Gleichzeitig verengt Angiotensin II das Vas efferens, wodurch der normale Druck im Glomerulum wiederhergestellt wird.
In unserem Fall (FALL 1) hat der Patient eine Hypovolämie und ein NSAR eingenommen. Dieses blockiert die Prostaglandinsynthese und damit die Dilatation des Vas afferens. Gleichzeitig blockiert der ARB das Angiotensin II und die Gefäßkonstriktion am Vas efferens. Die Folge ist der Verlust der renalen vaskulären Autoregulation (Abb. 2).
Untersuchungen haben gezeigt, dass chronische NSAR-Anwender ohne frühere renale Störung verglichen mit Nicht-NSAR-Anwendern in der allgemeinen Bevölkerung ein dreifach erhöhtes
Risiko für ein akutes Nierenversagen haben. Medikamente wie Diuretika, ACE-Hemmer, ARB und Calcineurin-Hemmer können das Risiko für ein NSAR-induziertes akutes Nierenversagen zusätzlich erhöhen.
Daher sollte die chronische Anwendung von NSAR nach Möglichkeit bei Patienten mit einer reduzierten eGFR (eGFR <60 ml/min/1,73 m2) vermieden werden. Die chronische und akute NSAR-Anwendung sollte auch bei Patienten mit einer milden Reduktion der eGFR (60–89ml/min/1,73 m2) und anderen komorbiden Bedingungen oder Risikofaktoren wie Herzinsuffizienz, Zirrhose oder nephrotischem Syndrom vorsichtig oder gar nicht erfolgen.

Die alternde Niere
Mit zunehmendem Alter nehmen die Durchblutung der Niere und die glomeruläre Filtration ab (25% der älteren Menschen haben eine GFR <30ml/min). Es kommt zu einer Reduktion der Zahl der Nephronen und des Volumens der Nierenrinde (Rinden/Parenchymverhältnis) sowie zu einer Nephrosklerose. Dies geht mit einem Verlust der "renalen Reserve" einher. Daher ist bei Medikamenten, die renal ausgeschieden werden, Vorsicht geboten.
Literatur: bei der Autorin
FALL 1:
Akutes Nierenversagen nach NSAR-Einnahme
Der Patient:
-
56 Jahre
-
mäßig übergewichtig (BMI 27,8)
-
Risikoprofil: Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie
Anamnese: Seit 8 Jahren Diabetes, davon 6 Jahre schlecht eingestellt: LDL-Cholesterin >140mg/dl, HbA1c 8–9%. Nach einem Herzinfarkt wurde in einem auswärtigen Krankenhaus ein striktes Risikofaktormanagement hinsichtlich Blutdruck, Lipiden und Diabetes mit Rosuvastatin 20mg, einem Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB), einem Betablocker, einem Kalziumantagonisten, Metformin, einem DPP-4-Hemmer und einem Bedtime-Insulin eingeleitet. Serumkreatinin und GFR waren normal, allerdings hatte der Patient eine Mikroalbuminurie, was auf eine beginnende Nephropathie hinweist.
HbA1c zuletzt 6,5%, keine Hypoglykämien (Metformin, DPP-4-Hemmer, Basalinsulin), Blutdruck 125/70 mmHg (ARB, Ca-Antagonist, Betablocker), LDL-Cholesterin 54 mg/dl (St. p. MCI, Statin), Nikotin ex seit 2 Jahren, regelmäßige Bewegung, sehr motiviert. Der Patient ist mit der Medikation gut eingestellt. Aufgrund des kardiovaskulären Risikos wäre der Einsatz eines SGLT2-Hemmers sinnvoll.
Akute Beschwerden: Gastroenteritis mit Diarrhö und starken Bauchschmerzen, gegen die der Patient das NSAR Mefenaminsäure eingenommen hat (ca. 5 bis 6 Tabletten). Er stellte sich in der Ambulanz vor, weil er seit vier Tagen einen thorakalen Druck verspürte. Das EKG war unverändert und Troponin negativ. Allerdings war das Serumkreatinin stark erhöht (4,2 mg/dl) und die GFR deutlich vermindert (18 ml/min); der Patient hatte Ödeme und schied weniger Harn aus.
Diagnose: akutes Nierenversagen. Eine der Ursachen ist die Hypovolämie infolge
des Flüssigkeitsverlusts durch die Diarrhö. Eine weitere, dass der Patient seine Antihypertensiva und den ARB weiterhin eingenommen hat, obwohl der Blutdruck bereits niedrig war. Dies hat die Minderperfusion verstärkt und die Medikamententoleranz gesenkt. Aufgrund der beginnenden diabetischen Nephropathie ist die Niere aber anfällig für schädigende Noxen wie Minderperfusion und Medikamente, etwa das gegen die Bauchschmerzen verordnete NSAR.
Therapeutisches Vorgehen: Das NSAR wurde abgesetzt und Flüssigkeit infundiert. Dadurch verbesserten sich GFR und Kreatinin innerhalb der nächsten Tage und Wochen wieder. Außerdem wurde Metformin "pausiert" und die Dosis des DPP-4-Hemmers angepasst. Nach Besserung sollte ein SGLT2-Hemmer erwogen werden. In der Akutsituation ist zu überlegen, ob der ARB pausiert werden sollte. Nach Besserung kann der ARB wieder eingenommen werden.
FALL 2:
Akutes Nierenversagen durch Infektion
Der Patient:
-
84 Jahre
-
Seit ca. 10 Jahren Diabetes mellitus Typ 2
-
Komorbiditäten und Spätfolgen: Hypertonie, Dyslipidämie, Neuropathie, Nephropathie, Retinopathie
Anamnese: Diabetes mit Insulin eingestellt: Insulin glargin 20 Einheiten morgens plus Linagliptin; Hypertonietherapie mit Angiotensin-Rezeptorblocker.
Nierenfunktion: Kreatinin 1,6 mg/dl,
GFR 42ml/min, Proteinurie 750mg/24Std.
Akutes Ereignis: Osteomyelitis
(dig ped 2 sin), hohes CRP, Fieber bis 39°C, massive Entzündung; Kreatinin 4mg/dl, GFR 18ml/min
Diagnose: akutes auf chronisches Nierenversagen. Aufgrund der Infektion mit Fieber kam es zur Dehydratation und somit zur Minderperfusion der Niere. Zusätzlich schädigten inflammatorische Substanzen und Zytokine sowie nephrotoxische Medikamente die bereits angegriffene Niere.
Therapeutisches Vorgehen: Noxe identifizieren und beseitigen. Einleitung antibiotische Therapie, vorsichtige Infusionstherapie (wenn erforderlich), Medikamente anpassen, keine nephrotoxischen Medikamente geben! Es gelang eine Stabilisierung, jedoch auf schlechterem Niveau (Kreatinin 2,5 mg/dl, GFR 30ml/min).
FALL 3:
Akutes Nierenversagen nach Kontrastmittelgabe
Die Patientin:
-
76 Jahre
-
adipös
-
Diabetes mellitus Typ 2
-
Komorbiditäten und Spätfolgen: Hypertonie, Dyslipidämie, Lumbalgie, Lymphödem, Depressionen, milde Retinopathie
Anamnese: Die Patientin hat eine Nephropathie: Serumkreatinin 1,4 mg/dl, GFR 46ml/min, Mikroalbuminurie. Keine Makroangiopathie.
Um das Fortschreiten der Nephropathie zu verhindern, wurde auf eine eiweißarme Ernährung (0,8 g/kg KG) umgestellt, Blutzucker und Blutdruck eingestellt. Die Diabetestherapie besteht aus Metformin 850 (morgens und abends), 24 Einheiten Basalinsulin und einem GLP-1-Analogon. Außerdem erhält die Patientin einen ARB, einen Ca-Antagonisten, Furosemid und ein Statin sowie Allopurinol.
Akute Beschwerden: Innerhalb eines Monats verschlechterten sich die Nierenwerte deutlich (Kreatinin 3,8 mg/dl, GFR 19 ml/min). Die Ursache war eine CT-Untersuchung mit Kontrastmittelgabe, veranlasst vom behandelnden Urologen. Anschließend kam es zu verminderter Harnmenge, vermehrter Flüssigkeitsretention mit Beinödemen, häufigeren Hypoglykämien und einem Blutdruckanstieg trotz Medikation.
Die Patientin klagte zudem über eine starke innere Unruhe und sehr viel Durst.
Diagnose: kontrastmittelassoziierte Nephropathie. Kontrastmittel können eine direkte toxische Schädigung der Nierentubuluszellen bewirken und führen außerdem zu einer Vasokonstriktion der Nierengefäße mit Abnahme der Sauerstoffversorgung im Nierenmark. Das Risiko für eine Nierenschädigung steigt bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR<30 ml/min oder GFR<30–44 ml/min) plus weiteren Risikofaktoren wie Diabetes, Herzinsuffizienz, Hypovolämie. Bei der Patientin lag zusätzlich noch eine Hypovolämie vor.
Das Krankheitsbild der kontrastmittelassoziierten akuten Nierenschädigung wird in der Literatur nach wie vor kontrovers diskutiert.
Therapeutisches Vorgehen: Das Wichtigste ist das Aufrechterhalten bzw. Wiederherstellen der renalen Perfusion. Nephrotoxische Substanzen müssen identifiziert und abgesetzt werden. Außerdem ist bei renal ausgeschiedenen Medikamenten die Kumulation aufgrund der eingeschränkten Nierenfunktion zu beachten. Gegebenenfalls muss deren Dosis reduziert werden. Um eine kontrastmittelassoziierte Nephropathie zu vermeiden, sollte der Patient viel trinken bzw. Flüssigkeit infundiert werden.