Teil 1: Therapie
Kopfschmerzen: State of the Art und neue Entwicklungen
Chronische Kopfschmerzen und insbesondere Migräne erzeugen oft einen enormen Leidensdruck bei den Betroffenen. In dieser zweiteiligen Serie können Sie sich zur aktuellen Akuttherapie bei Migräne (Teil 1) sowie zu neuen Prophylaxemedikamenten (Teil 2) informieren.
Schätzungsweise 20% alle Europäer leiden an chronischen Kopfschmerzen. Vor allem Migräne beeinträchtigt die Betroffenen sowohl im Berufs- als auch Privatleben. Gleichzeitig besteht eine Unterversorgung in der Akuttherapie und der Prophylaxe. Eine Attacke wird immer dann behandelt, wenn der Patient eine Therapie aufgrund der Stärke des Anfalls für nötig erachtet. Eine Prophylaxe ist dann indiziert, wenn Häufigkeit, Intensität, Begleitumstände oder individuelle Besonderheiten die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich einschränken. Aber nach wie vor erhält ein hoher Anteil von Menschen mit Migräne, die von einer Prophylaxe profitieren könnten, keine entsprechende Therapie. Für Betroffene sind die chronischen Kopfschmerzattacken sehr belastend. Außerdem haben eine unzureichende Versorgung und damit einhergehende migränebedingte Arbeitsausfälle enorme Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.
Klassifikation der Migräne
Die aktuelle 3. Auflage der Internationalen Kopfschmerzklassifikation ICHD-3 definiert die Migräne als wiederkehrende Kopfschmerzerkrankung, die sich in Attacken von einer Dauer zwischen 4 und 72 Stunden manifestiert. Typische Kopfschmerzcharakteristika sind einseitige Lokalisation, pulsierender Charakter, mäßige bis starke Intensität, Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten und das begleitende Auftreten von Übelkeit und/oder Licht- und Lärmüberempfindlichkeit. Mindestens fünf Attacken müssen erlitten worden sein, um die Diagnose bei klinischem Ausschluss sekundärer Ursachen stellen zu können.
Die Migräne ist eine häufige, stark behindernde primäre Kopfschmerzerkrankung. Etliche epidemiologische Studien belegen ihre hohe Prävalenz und die immensen sozioökonomischen und persönlichen Auswirkungen. In einer Studie zur globalen Krankheitslast (Global Burden of Disease Survey [GBD] 2010) wurde sie als das weltweit dritthäufigste Krankheitsbild eingestuft. In der GBD 2015 wurde ihr weltweit bei Männern wie auch bei Frauen unter 50 Jahren der dritte Rang bei den häufigsten Ursachen von Behinderungen attestiert.
Die Migräne kann in zwei Haupttypen unterteilt werden:
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Die Migräne ohne Aura ist ein klinisches Syndrom, für das ein typisches Kopfschmerzbild und die entsprechenden Begleiterscheinungen charakteristisch sind.
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Die Migräne mit Aura ist vornehmlich durch vorübergehende fokale neurologische Symptome gekennzeichnet, die den Kopfschmerzen meist vorangehen oder sie begleiten.
Einige Patienten berichten darüber hinaus über eine Vorbotenphase, die den Kopfschmerzen Stunden oder Tage vorausgehen kann, und/oder eine Erholungsphase nach Verschwinden des Kopfschmerzes. Zu den Symptomen der Vorboten- und Resolutionsphase zählen Hyper- und Hypoaktivität, Depression, Heißhunger auf bestimmte Nahrungsmittel, wiederholtes Gähnen, Müdigkeit und Nackensteifheit und/oder -schmerzen.
Die Migräne sollte immer dann behandelt werden, wenn der Betroffene unter ihr leidet. Dabei unterscheiden wir die Attackentherapie von der Prophylaxe und medikamentöse von nicht medikamentösen Therapieverfahren.
Therapie der Migräneattacke
Leichte und ggf. auch mittelstarke Attacken können mit den bekannten Nichtopioid-Analgetika behandelt werden, im Regelfall in der doppelten Standarddosis. Goldstandard für die Therapie der mittelstarken und starken Attacke sind die Triptane. Neu in der Behandlung der Attacken sind Ditane und Gepante.
Therapie mit Triptanen
Patienten mit Migräneanfällen, die nicht ausreichend auf eine Behandlung mit Nichtopioid-Analgetika ansprechen, werden mit Serotonin-5-HT1B/D-Rezeptoragonisten (Triptane) behandelt. Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Medikamente der ersten Wahl zur Behandlung der akuten Kopfschmerzphase im Rahmen einer Migräneattacke. Die Wirksamkeit der Triptane wurde in umfangreichen placebokontrollierten Studien dokumentiert und in Metaanalysen verglichen.
Der Wirkeintritt nach der initialen Gabe eines Triptans kann nach etwa 15 bis 120 Minuten erwartet werden. Ziel ist eine komplette Remission der Migräneattacke. Allerdings kann bei einem Teil der Patienten (20–40%) ein sogenannter Wiederkehrkopfschmerz auftreten. In diesem Fall kann das Medikament erneut eingenommen werden. Bei abermaliger Anwendung ist ebenfalls ein Therapieerfolg zu erwarten. Ein Wiederkehrkopfschmerz setzt voraus, dass die Schmerzintensität von sehr starkem oder mittelstarkem auf schwachen oder keinen Kopfschmerz reduziert wurde, der Schmerz aber innerhalb von zwei bis 24 Stunden wieder auf eine Intensität von mittelstark bis stark ansteigt. Das bedeutet, je wirksamer ein Medikament ist, umso höher ist auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Wiederkehrkopfschmerzes. Wirkt ein Medikament nicht während eines Anfalls, kann auch kein Wiederkehrkopfschmerz resultieren. Demnach ist die Gefahr eines Wiederkehrkopfschmerzes bei Gabe von Triptanen mit geringerer Wirksamkeit tendenziell am geringsten (z.B. Frovatriptan oder Naratriptan). Wirksame Triptane, beispielsweise subkutan appliziertes Sumatriptan, zeigen dagegen die höchsten Raten an Wiederkehrkopfschmerz. Auch die Eliminationshalbwertszeit beeinflusst die Rate an Wiederkehrkopfschmerzen. Lange Halbwertszeiten, wie bei Naratriptan und Frovatriptan, verringern die Wahrscheinlichkeit, dass die Migräne zurückkehrt. Führt die initiale Gabe eines Triptans in der maximal zugelassenen Startdosis in einem Anfall zu keiner Besserung, ist die wiederholte Einnahme des gleichen Triptans in diesem Anfall nicht zielführend. Wenn die initial gegebene Dosis erbrochen wurde, kann die wiederholte Einnahme wirksam sein. Bei fehlender initialer Wirksamkeit des Triptans sollte ein Ersatzmedikament mit einem anderen Wirkprinzip eingesetzt werden. Optionen sind Analgetika oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Innerhalb eines Anfalls sollten unterschiedliche Triptane nicht gemischt werden. Wirkt ein Triptan bei einem aktuellen Anfall nicht, kann es dennoch bei weiteren Anfällen effektiv sein. Triptane wirken bei circa acht von zehn Anfällen – was bedeutet, dass auch bei sonst gutem Ansprechen die Wirksamkeit bei einzelnen Anfällen ausbleiben kann. Auch wenn sich Triptane in Mittelwertvergleichen nicht statistisch signifikant unterscheiden, können individuelle Abweichungen im Ansprechen und in der Verträglichkeit auftreten. Eine Rotation der Triptane kann daher im Einzelfall sinnvoll sein.
Die Kombination von Sumatriptan mit einem NSAR mit langer Halbwertszeit wie Naproxen (Halbwertszeit ca. zwölf Stunden) kann die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Wiederkehrkopfschmerzen reduzieren. Dabei garantiert das Triptan zunächst einen schnellen Wirkeintritt. Der sich langsam aufbauende Plasmaspiegel des NSAR hingegen kann einen Wiederkehrkopfschmerz nach initialer Besserung verhindern. Das NSAR sollte nicht erst dann eingesetzt werden, wenn der Wiederkehrkopfschmerz eintritt. Aufgrund der langen Halbwertszeit bildet sich der Plasmaspiegel verzögert aus, und es ist nicht zu erwarten, dass der Wiederkehrkopfschmerz dadurch effektiv kupiert werden kann. In dieser Situation sollte das initial gegebene Triptan bei Wiederkehrkopfschmerz erneut gegeben werden. Die zusätzliche Anwendung mit Metoclopramid hat einen positiven Effekt auf vegetative Begleitsymptome und kann durch die Beseitigung der Magenstase mit besserer Resorption die Wirkung des Triptans verbessern. Triptane sollten möglichst früh zu Beginn der Kopfschmerzphase eingesetzt werden. Allerdings können sie auch noch wirken, wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Kopfschmerzphase angewendet werden. Eine Gratwanderung ist jedoch, wenn hochfrequent Migräneattacken auftreten und aus der frühen Einnahme eine hohe Einnahmefrequenz resultiert. Hier muss abgewogen werden, ob das Triptan nur für sehr schwere Attacken eingesetzt wird und der Patient leichtere Attacken im Zweifelsfall aushält. Triptane sollten nicht während der Auraphase eingesetzt werden. Eine Wirksamkeit zu diesem Zeitpunkt ist nicht belegt und nicht zu erwarten.
Triptane wirken vasokonstriktorisch. Aus Sicherheitsgründen sollten sie daher bei kardiovaskulären Erkrankungen, insbesondere bei unbehandeltem Bluthochdruck, Zustand nach Herzinfarkt, Schlaganfall, transienter ischämischer Attacke (TIA), koronarer Herzerkrankung und peripherer arterieller Verschlusskrankheit nicht eingesetzt werden.
Lasmiditan
Lasmiditan, bisher einziger Vertreter der Ditane, ist ein Agonist am 5-HT1F-Rezeptor. Die Substanz hat daher im Vergleich zu den Triptanen keine vasokonstriktorischen Eigenschaften. Es ist kein Agonist am 5-HT1B/D-Rezeptor. Durch den Wirkmechanismus werden die durale Plasmaprotein-Extravasation und die C-Fos-Induktion im Nucleus caudalis des Nervus trigeminus sowie die neurogene Entzündung gehemmt.
Lasmiditan hat sich in umfangreichen Phase-III-Studien in der Behandlung einer akuten Migräneattacke in Dosierungen von 50mg bis 200mg als wirksam erwiesen. Das Ansprechen kann über mehrere Migräneanfälle hinweg zuverlässig beobachtet werden. Die Therapie kann auch dann effektiv sein, wenn Patienten auf Triptane nicht ansprechen oder wenn Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen bestehen. In den Phase-III-Studien zu Lasmiditan zur Behandlung der akuten Migräneattacken wurden auch Betroffene mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie einer koronaren Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen und ungenügend eingestellter arterieller Hypertonie eingeschlossen. Unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse traten nur sehr selten auf, im Vordergrund stehen Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz. In Langzeituntersuchungen zeigte sich, dass die am häufigsten auftretenden unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen Schwindel (18,6%), Schläfrigkeit (8,5%) und Parästhesien (6,8%) waren. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden aber nicht beobachtet. Zwei Stunden nach Gabe von 100mg Lasmiditan wurde bei 26,9% der Patienten mit Migräneattacke Schmerzfreiheit dokumentiert, mit 200mg Lasmiditan waren es 32,4%. Lasmiditan zeigt sich ähnlich wirksam wie die Triptane. Gegenüber Gepanten ist die Wirksamkeit höher. Ein Einsatzgebiet von Lasmiditan sind Migräneattacken bei Patienten, die Kontraindikationen für Triptane aufweisen und bei denen Nichtopioid-Analgetika unwirksam sind. Die zentralen Nebenwirkungen schränken den Einsatz ein.
Kontraindikationen sind schwere Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft und Stillzeit. Wegen der ausgeprägten zentralen Nebenwirkungen sollten mindestens acht Stunden nach Einnahme des Medikaments keine potenziell gefährlichen Tätigkeiten, die völlige geistige Wachheit erfordern, ausgeübt werden. Dies schließt vor allem das Führen von Kraftfahrzeugen oder die Bedienung von gefährlichen Maschinen ein.
Lasmiditan ist für die Akutbehandlung der Kopfschmerzphase im Rahmen einer Migräneattacke bei Erwachsenen mit und ohne Aura zugelassen.
Gepante
Gepante wirken als Antagonisten am „Calcitonin gene-related peptide“(CGRP)-Rezeptor. Rimegepant und Ubrogepant sind für die Behandlung akuter Migräneattacken in den USA zugelassen, in Europa bestehteine Zulassung für Rimegepant.
In mehreren Phase-III-Studien zeigte sich Rimegepant in einer Dosierung von 75mg einer Behandlung mit Placebo überlegen: Schmerzfreiheit nach zwei Stunden stellte sich unter Rimegepant bei 19,6% der Behandelten und unter Placebo bei 12% ein.
Die Verträglichkeit ist gut, am häufigsten treten Übelkeit, Harnwegsinfekte und Schwindel auf. Im Rahmen der Langzeitbehandlung über zwölf Monate wurde eine leichte Abnahme der Zahl der Migränetage pro Monat beobachtetet: von 10,9 auf 8,9 Tage nach einem Jahr.
Einen zusammenfassenden Überblick über die aktuell verfügbaren medikamentösen Attackentherapeutika gibt Abbildung 1.
Facharzt für Innere Medizin, Allgemeinmedizin und Anästhesiologie
Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)
Schmerzzentrum Bonn Bad-Godesberg
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Web: www.praxis-kuester.de
PD Dr. Michael Küster