
16. Juni 2021
Kardiologisches in der allgemeinmedizinischen Praxis
Fallbeispiele und Red Flags
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Allgemeinmediziner sind meist die erste Anlaufstelle für sportmedizinische Freigaben für die Teilnahme an Training und Wettkämpfen – auch bei Kindern und Jugendlichen. Vereine und Veranstalter wollen sich durch ein entsprechendes Attest absichern.
Fallbeispiel 1: Long-QT-Syndrom
Ein 10-jähriger Bub kommt mit seinem Vater in die Praxis, um eine Freigabe für Fußballtraining inklusive Wettkämpfen zu erhalten. Sie kennen ihn von klein auf, der Bub war bis jetzt gesund, keine KHK in der Familie. Würden Sie bei der sportärztlichen Untersuchung ein EKG für notwendig erachten?
Das Kind bot folgendes EKG (Abb. 1).
Was ist an diesem EKG auffällig?
Es zeigte sich ein Ruhe-EKG mit Long-QT-Syndrom. Bei diesem Syndrom handelt es sich um eine genetische bzw. erworbene Störung der Ionenkanäle und somit der Depolarisation der Zelle. Es birgt die Gefahr von sog. „torsades de pointe“ mit der Gefahr des Übergangs ins Kammerflimmern. Ab einer Verlängerung der frequenzkorrellierten QT-Dauer (QTc) von >440msec bei Männern und >460msec bei Frauen spricht man vom Long-QT-Syndrom (LQTS), je nach genetischer Austestung von LQTS1, 2 oder 3 (bisher sind etwa 15 solcher Gentypen bekannt).
SCD bei Kindern
Diese lebensgefährlichen Rhythmusstörungen können zum „sudden cardiac death“ (SCD) führen, was besonders für Eltern und Familienumfeld katastrophal ist, wenn es sich um ein Kind handelt.
Der Typ LQTS1 wird vor allem durch körperliche Anstrengung, also auch Sport, ausgelöst, während LQTS2 eher bei emotionalem Stress auftritt, LQTS3 kann jederzeit auch im Schlaf auftreten – eine genaue Abgrenzung der einzelnen Gentypen in der Phänomenologie besteht jedoch nicht.
Weitere Ionenkanalstörungen, die schon im Ruhe-EKG bei Kindern diagnostiziert oder zumindest vermutet werden können, sind das Short-QT-Syndrom mit einer QTc von <330msec bei Männern und <340msec bei Frauen, die ebenfalls zu Kammerflimmern führen können.
Von dem Brüderpaar J. u. P. Brugada wurden 1992 acht Fälle eines überlebten „cardiac arrests“ beschrieben, die sich durch zeltförmige Hebungen im EKG, besonders in V1 bis V3 zeigten und erst später als eine weitere Ionenkanalstörung identifiziert wurden.
Erst relativ kurz bekannt ist das katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie-Syndrom, das ein normales Ruhe-EKG zeigt und erst bei Belastung manifest wird.
Eine weitere Ursache für SCD im Kindes- und Jugendalter ist der Mitralklappenprolaps (MKP), besonders wenn es zu Fibrosierung der Papillarmuskeln sowie der Ventrikelwände kommt.
Auch an die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie ist zu denken, wenn Kinder bzw. Jugendliche Synkopen erleiden, die nicht neurologisch erklärt werden können. Das Ruhe-EKG hilft hier wenig, aber man sollte daran denken und ein Kardio-MRT veranlassen.
In der italienischen Provinz Veneto kam es zu Beginn der 1970er-Jahre zu einer Häufung von Todesfällen bei Jugendlichen beim Sporttreiben. Der bekannte Sportkardiologe Domenico Corrado führte daraufhin ein Screening mittels EKG bei jugendlichen Sportlern der Region durch und konnte so die Mortalität um 89% reduzieren. Es dauerte jedoch noch bis 2005, bis sich die europäischen Sportmedizingesellschaften darauf einigten, ein 12-Ableitungs-EKG bei jeder sportärztlichen Freigabe zu fordern, um tödliche Zwischenfälle beim Sport bei Kindern und Jugendlichen zu vermeiden. Des Weiteren wurde von L. Makarov gefordert, dass auch bei Jugendwettkämpfen ein automatisierter externer Defibrillator (AED) und darauf geschultes Personal vor Ort sind, um schnell handeln zu können.
Die ESC-Guidelines von 2015 rieten vom Wettkampfsport bei LQTS ab und forderten die Therapie mit Betablockern, bzw. falls auch unter Betablockertherapie Synkopen aufträten oder bereits ein „cardiac arrest“ stattgefunden habe, auch die Implantation eines Cardioverter-Defibrillators. Weitere Empfehlungen erfolgten in den ESC-Guidelines 2020.
Fallbeispiel 2: 3-Gefäß-Erkrankung
Ein 52-jähriger Musiker (Trompeter), sehr sportlich, bemerkte in letzter Zeit während des Tennisspielens, besonders im Einzel, ein „Brennen“ in der Brust, aber nicht immer. Eine in einem internistischen Institut durchgeführte Ergometrie ergab folgenden Befund:
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regelrechte Blutdruck- und Herzfrequenzregulation,
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keine Anzeichen einer koronaren Minderperfusion,
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100% Leistungsfähigkeit (LF),
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Abbruch der Belastung vom Arzt wegen Erreichen der maximal errechneten Herzfrequenz.
War dies eine „Ergometrie lege artis“?
Der Patient gab an, bei der Ergometrie nicht ausbelastet worden zu sein, und hatte weiterhin dieselben Beschwerden, wollte jedoch keinesfalls eine Herzkatheteruntersuchung. Er konnte jedoch zu einer nochmaligen Ergometrie mit symptomlimitierter Ausbelastung motiviert werden.
Diese ergab dann bei der letzten Stufe eine LF von 135%, deutliche ST-Streckensenkungen >3mm und die vom Patienten bereits beschriebenen Symptome. Bei der darauf durchgeführten Koronarangiografie konnte eine 3-Gefäß-Erkrankung diagnostiziert werden und der Patient erhielt schließlich einem 3-fach-Bypass.
Fazit
Die Ergometrie ist eine kostengünstige, leicht verfügbare Untersuchung mit meist guter Aussagekraft, wenn sie auch lege artis, d.h. symptomlimitiert, durchgeführt wird.
Das Erreichen der maximal errechneten HF ist kein Hinweis für eine Ausbelastung und auch kein Abbruchzeichen für den Arzt, ebenso wenig wie das Erreichen von 100% LF. Dies bedeutet nur, dass der Patient den Normwert eines Untrainierten erreicht hat. Sportler sind bei 100% LF noch (lange) nicht ausbelastet und man erhält daher falsch negative Ergebnisse.
Man sollte als Überweiser zur Ergometrie eine symptomlimitierte Ausbelastung des Patienten fordern und auch den erhaltenen Befund kritisch danach beurteilen. Die schlechte Sensitivität der Ergometrie in Bezug auf Aufdeckung einer KHK mag auch damit zusammenhängen, dass aus Kosten- oder organisatorischen Gründen oft auf eine Ausbelastung des Patienten verzichtet wird. Gerade im ländlichen Bereich, wo oft längere Wege und Wartezeiten für die Koronarangiografie bestehen, sollte man im Vorfeld auf eine Ergometrie nicht verzichten. Es gibt auch derzeit keine bessere Methode, um die Blutdruckeinstellung eines Hypertonikers bei Belastung zu überprüfen.
Auch die Feststellung der Leistungsfähigkeit ist ein wichtiger und starker Parameter für die Mortalität bei kardiovaskulären Erkrankungen, wofür es zahlreiche Studien gibt.
Fallbeispiel 3: Schmalkomplextachykardie
Eine 26-jährige Studentin bemerkte besonders im Fitnessstudio während oder auch nach dem Training „Herzrasen“ und Schwindel. Ein Ruhe-EKG beim Hausarzt war mehrmals unauffällig. Dieser überwies dann an mich als Sportärztin zur Abklärung. Weder das Labor noch eine bei mir durchgeführte symptomlimitierte Ergometrie brachten weitere Erkenntnisse. Zudem wurden die Tachykardieanfälle laut Patientin häufiger, was diese sehr beunruhigte.
Welche Möglichkeiten gibt es in diesem Fall?
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Eventrecorder: Dieser zeichnet über eine bestimmte Zeit das EKG auf, ist jedoch für Überwachung während des Sports wegen Kabel und Elektroden nicht gut geeignet.
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Loop Recorder: Diese kleinen Geräte sind sehr gut geeignet, über lange Zeit EKG-Aufzeichnungen zu machen, müssen aber implantiert werden und bergen neben der Setzung einer OP-Narbe auch Infektionsgefahr.
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Neue Devices (z.B. ALIVE COR und andere) bieten hier in Verbindung mit einer App am Handy eine sehr gute, kostengünstige und patientenfreundliche Alternative. Sobald die Patientin das Herzrasen verspürte, nahm sie im Fitnessstudio das Device, und zeichnete die Rhythmusstörung auf und übermittelte sie mir bequem per WhatsApp.
Die somit diagnostizierte Schmalkomplextachykardie(Abb. 2) führte zu einer EPU (elektrophysiologischen Untersuchung) und gleichzeitiger Diagnose einer „slow/fast“ AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNrT). In derselben Sitzung wurde eine Ablation des „slow pathway“ durchgeführt und die Patientin somit von ihren Tachykardien erlöst.