10. Dezember 2020

Ein Modell für die Zukunft

Facharztprüfung im virtuellen Raum

Die Corona-Pandemie hat viele Lebensbereiche verändert. Dies gilt auch für die Facharztprüfung. Im Interview berichtet Dr. Frederik Mader, Mitglied des Prüfungsausschusses im Gebiet Allgemeinmedizin der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), von seinen Erfahrungen mit der Facharztprüfung per Videokonferenz.

Die Facharztprüfung als kammerseitiger Hoheitsakt zum Abschluss einer mehrjährigen Weiterbildung per Skype®. Vor SARS-CoV-2 undenkbar. Wird das ein neues Format?

▸ ▸▸ Aber sicher, ein ganz neues Format! Um uns Ärzte herum arbeiten schon längst viele mit Videokonferenzen – Berater, Coaches, Außendienstler, Vorstände und Entscheider in weltweit agierenden Unternehmen. Und nicht zuletzt meine Kinder nutzen beispielsweise Skype®, als wäre es das Normalste auf der Welt, um miteinander – jeder bei sich zu Hause – am Computer zu spielen. Für uns, die wir in den Ärztekammern aktiv und eher der älteren Generation zuzuordnen sind, ist das aber zum Großteil eine ganz neue Erfahrung.

Beginnen wir beim Prüfling. Sitzt er bequem zu Hause vor dem Bildschirm?

▸ ▸▸ Nein, so salopp darf die Kammer das nicht handhaben. Der Kandidat muss in die Kammer kommen, registriert sich dort wie gewohnt und wird dann zum Termin in den Prüfungsraum gebracht. Dort erwartet ihn das Prüfungskomitee – am Monitor. Wir erklären ihm die Vorgehensweise, fragen rechtsverbindlich ab, ob er mit der Prüfung per Online-Konferenz einverstanden ist, und dann geht es los wie bei einer herkömmlichen Prüfung. Ausnahme: Während der Prüfung ist eine Videokamera auf den Probanden gerichtet, mit der eine Kammermitarbeiterin kontrollieren kann, dass er nicht schummelt. Außerdem muss er vor dem Betreten des Prüfungsraumes sein Smartphone abgeben.

Und die Prüfer? Gibt es weiterhin zwei Fachprüfer und einen Vorsitzenden, ein jeder meilenweit weg vom Kandidaten?

▸ ▸▸ So ist es. Aber es gelingt uns Prüfern, im Laufe eines Tages eine recht gemütliche Atmosphäre herzustellen – fast so, als säße man beieinander.

Wie konnten Sie sich vor Prüfungsbeginn die Leistungsnachweise und Weiterbildungszeugnisse des Prüflings ansehen?

▸ ▸▸ Jeder Prüfer bekommt im Vorfeld ein dickes Paket mit den relevanten Nachweisen als Einschreiben. So können wir uns frühzeitig über die Hintergründe der einzelnen Kandidaten informieren. Die Kammer ist da sehr genau. Einmal kam es vor, dass ein Prüfling noch kurzfristig als letzter auf den Tagesplan gerutscht ist. Seine Unterlagen wurden erst am Vormittag (während der schon längst laufenden Online-Prüfung) mit Boten bei mir an die Haustür geliefert…

Wie stimmt sich das Prüfungsgremium bei laufender Prüfung (und Kamera) ab, wenn es beispielsweise nicht so gut läuft und der eine oder andere eine Zusatzfrage stellen will?

▸ ▸▸ Da gibt es keine Probleme. Der Vorsitzende moderiert das immer gekonnt. So in etwa: „Was die Zeit angeht, so wären wir jetzt schon rum. Mag einer noch eine Frage anschließen?“

Wenn es um konkrete Kenntnisse geht, etwa ein pathologisches EKG, einen Sonografiebefund, ein Hautfoto: Wie lässt sich das dem Kandidaten präsentieren?

▸ ▸▸ Solche Unterlagen hat jeder Prüfer auf seinem Computer vorbereitet, beispielsweise in einer Powerpoint®-Präsentation. Die entsprechenden Bilddateien blenden wir für den Prüfling großformatig und exzellent aufgelöst auf seinem Monitor ein. Ich habe auch einige Videos (zum Beispiel vom Geriatrischen Assessment) extra für die Facharztprüfung vorbereitet. Selbst diese kann ich dann in hervorragender Qualität einspielen.

Auf welcher Plattform läuft ein solches Fachgespräch?

▸ ▸▸ Die Kammer nimmt die Wahl des Mediums sehr ernst, nicht zuletzt wegen Sorgen um den Datenschutz. Die BLÄK hat eine Lizenz des Programms Webex® erworben – da scheint es keine Sicherheitsbedenken zu geben.

Wie besprechen sich die Prüfer, wenn sie mit den Fragen durch sind?

▸ ▸▸ Vor der Abstimmung über die Leistung des Prüflings wird dieser von einer Mitarbeiterin der Kammer abgeholt. Erst wenn man unter sich ist, reden wir über das Bestehen oder Nichtbestehen. Letzteres ist mir in mittlerweile zwei vollen und einem halben Online-Prüfungstag mit insgesamt 15 Probanden noch nicht untergekommen.

Jetzt zur Justiziabilität: Wie kontrolliert die Kammer den Prüfungsprozess? Wer protokolliert? Wer verkündet dem Kandidaten das Prüfungsergebnis? Daran hängen ja Schicksale.

▸ ▸▸ Eine ärztliche Mitarbeiterin der BLÄK, entweder Frau Dr. Klingl oder Frau Dr. Niedermaier, ist als passive Teilnehmerin in die Prüfung eingeloggt. Sie dürfen das, weil sie ebenfalls von der BLÄK zugelassene Prüfer sind. Das Protokoll fertigt – wie bei der BLÄK seit jeher üblich – der Prüfungsvorsitzende handschriftlich an. Er schickt es dann zeitnah mit den anderen Prüflingsunterlagen per Einschreiben oder Paket zurück an die Kammer. Zur Verkündung des Bestehens der Prüfung wird der Kandidat zurück in den Raum begleitet. Nachdem er es sich wieder vor dem Monitor bequem gemacht hat, bekommt er sein Ergebnis – zusammen mit einigen motivierenden (und meistens lobenden) Worten der Prüfungskommission.

Haben Sie schon Äußerungen der Kandidaten über dieses innovative Prüfungsformat gehört?

▸ ▸▸ Die allermeisten äußern sich spontan nach Beendigung der Prüfung (und nachdem sie vernommen haben, dass sie bestanden haben) überglücklich und dankbar, dass die Kammer ihre Prüfung so spontan und auf ungewöhnliche Weise möglich gemacht hat. Mit dem Format an sich schien bisher kein Einziger ein Problem gehabt zu haben.

Die Facharztprüfung nach der neuen Weiterbildungsordnung wird künftig die Kompetenz des Kandidaten beurteilen müssen. Glauben Sie, dass dies auch mit dem virtuellen Format möglich sein wird?

▸ ▸▸ Da sehe ich nach meinen bisherigen Erfahrungen kein Problem. Ich habe in jedem einzelnen Fall die gleichen Fragen stellen können, die ich auch in einer konventionellen Prüfung gestellt hätte. Das Einzige, was ich skeptisch sehe, ist, wenn ein Prüfling kommt, der nicht muttersprachlich Deutsch spricht bzw. erhebliche sprachliche Defizite hat. Dann kann es sich als Problem herausstellen, dass man nicht beieinandersitzt, gestisch und mimisch unterstützen kann. In so einem Fall könnte die Beurteilung der echten Prüfungsleistung – die dann sowieso oft recht schwierig ist – noch ein wenig kniffliger werden.

Und was halten Sie selbst davon? Sind Sie froh, dass Sie sich hunderte Fahrkilometer im Jahr sparen können? Ist alles einfacher geworden? Wo müsste noch nachjustiert werden?

▸ ▸▸ Von mir aus könnte es so weitergehen! Ich behaupte, dass die konventionelle Prüfung vor Ort zugunsten der Online-Prüfung in der Zukunft abgeschafft werden könnte. Die Kammer spart sich einiges an Geld (die Prüfer rechnen ja ihre zurückgelegten Kilometer nach München und nicht selten eine Hotelübernachtung ab) und die Qualität der Prüfung scheint mir unverändert. Natürlich müsste man allen Prüfern die Möglichkeit einräumen, sich in diesem neuen Format zu üben, indem man ihnen Trainingssessions anbietet.

Vielen Dank für das Gespräch.
Bewertungen:
ZURÜCK