5. Juli 2021
Die operative Therapie des Ovarialkarzinoms – primäre Konzepte und die Rezidivsituation
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf allgemeineplus.at und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. universimed.com & med-Diplom.at)
Das Ovarialkarzinom ist das achthäufigste Karzinom bei der Frau. Für jede Frau ergibt sich derzeit ein kumulatives Lebenszeitrisiko von etwa 0,7 Prozent, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken. Da das Ovarialkarzinom in ca. 75% der Fälle in einem fortgeschrittenen Tumorstadium diagnostiziert wird, geht es mit einer hohen Rezidivrate und Mortalität einher. Die Therapie des Ovarialkarzinoms basiert auf einer radikalen Operation und einer Systemtherapie. Im Rahmen der operativen Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms gab es in den letzten drei Jahren aufgrund mehrerer randomisiertkontrollierter Studien einschneidende Änderungen.
Primärtherapie
Umfang der Operation
Das Ziel der primären Operation ist die makroskopische Komplettresektion des Tumors. Konnte diese im Rahmen der Operation erreicht werden, wurde bisher die systematische prophylaktische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie (LNE) empfohlen. Im Rahmen der LION-Studie1 wurde die onkologische Wertigkeit dieser systematischen LNE in einer randomisiert kontrollierten Studie (nach Komplettresektion Randomisierung in systematische LNE – ja oder nein) evaluiert. Dabei zeigte sich, dass die systematische LNE nach erfolgreicher Komplettresektion beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom keinen prognostischen Vorteil für die Patientinnen brachte (HR für progressionsfreies Überleben: 1,11 [0,92–1,34]; HR für Gesamtüberleben: 1,06 [0,83–1,34]). Darüber hinaus zeigte sich bei fehlender onkologischer Sicherheit eine deutlich höhere Morbidität in der Gruppe mit systematischer LNE: antibiotikapflichtige Infekte 18,6% vs. 25,8%, symptomatische Lymphzysten 0% vs. 3,1%, Re-Laparotomierate 6,5% vs. 12,4% und 60 Tage postoperative Mortalität 0,9% vs. 3,1%. Somit wird derzeit eine gezielte Lymphadenektomie nur bei in der Bildgebung suspekten oder bei intraoperativer Feststellung vergrößerten Lymphknoten durchgeführt.
Timing der OP: primäre Debulking-Operation (PDS) vs. Intervall-Debulking-Operation (IDS)
Ein weiterhin sehr kontrovers diskutiertes Thema ist das Timing der Primäroperation. Dies ist insofern überraschend, als es zwei randomisierte Studien zu dieser Fragestellung gibt (CHORUS trial: Kehoe et al.2 und EORTC trial: Vergote et al.3) Beide Studien zeigen ein identes Gesamtüberleben für die PDS- und die IDS-Gruppen. Aufgrund zahlreicher Limitationen, die insbesondere die operative Qualität (sehr niedrige Rate an Komplettresektionen, kurze Operationszeiten, geringes Gesamtüberleben…) und die Patientinnenselektion (hoher Anteil an Patientinnen mit schlechtem Allgemeinzustand) betreffen, wurden und werden diese zwei Studien sehr kritisch interpretiert. Daher wurde die TRUST-Studie durchgeführt, die sich der identen Fragestellung widmet, jedoch unter sehr strengen Auflagen bezüglich der operativen Qualität und der Patientinnenrekrutierung durchgeführt worden ist. Diese Studie befindet sich derzeit in der Nachbeobachtungsphase und wird uns in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich mehr Erkenntnisse zu dieser Fragestellung liefern.
Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC)
Die HIPEC ist derzeit keine Standardtherapie in der Behandlung des Ovarialkarzinoms und sollte ausschließlich in prospektiven kontrollierten Studien eingesetzt werden. Rezent wurde eine holländische Phase-III-Studie4 präsentiert, bei der Patientinnen nach neoadjuvanter Chemotherapie und Intervalloperation einer HIPEC-Therapie unterzogen wurden. Das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben wurden durch die HIPEC-Therapie verlängert. Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Gegensatz zu einer anderen kürzlich präsentierten randomisierten Studie von Lim et al.5,in welcher weder für das progressionsfreie noch das Gesamtüberleben ein signifikanter Unterschied beobachtet wurde. Trotz eines signifikanten Zugewinns durch die HIPEC-Therapie in der Studie von van Driel et al.4 muss allerdings erwähnt werden, dass insgesamt sowohl das progressionsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben in dieser Studie deutlich kürzer als in vergleichbaren Studien war. Darüber hinaus zeigte sich eine deutliche höhere Rate an perioperativer Morbidität in der HIPEC-Gruppe (inkl. schwerer Komplikationen wie Anastomoseninsuffizienz). Aufgrund der höheren Morbidität und des fraglichen Nutzens der HIPEC sollte diese weiterhin nur in klinischen Studien angewendet werden.
Rezidivtherapie
Operative Therapie bei platinsensiblemRezidiv
Es gibt bislang einen prospektiv validierten prädiktiven Score der AGO Deutschland zur Identifikation von Patientinnen, die sehr wahrscheinlich erfolgreich komplett tumorfrei operiert werden können (DESKTOP-II-Studie). Validierungsstudien zeigten, dass dieser Score zwar sehr präzise Patientinnen identifizieren dürfte, die erfolgreich komplett tumorfrei operiert werden können (hoher positiver Vorhersagewert von >80%), jedoch eine beträchtliche Falsch-negativ-Rate aufweist (in Validierungsstudien bis zu 70%).
Laut AGO-Score stellen ein guter Allgemeinzustand, makroskopische Komplettresektion bei der Primär-OP, Aszites <500mL, Platin-sensibles Rezidiv und Wunsch der Patientin Bedingungen für eine Rezidivoperation dar.
Die prospektiv randomisierte kontrollierte Studie DESKTOP III6 untersuchte die Wertigkeit einer sekundären zytoreduktiven Operation bei Patientinnen mit Ovarialkarzinomrezidiv, die den AGO-Score erfüllten. In dieser Studie wurden die Patientinnen in zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe wurde einer sekundären zytoreduktiven Operation zugeführt und erhieltanschließend eine Chemotherapie, die andere Gruppe erhielt ausschließlich eine Chemotherapie. In dieser Studie konnte eine Komplettresektion in 72,5% der Fälle erreicht werden. Eine Komplettresektion war mit einer signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von 7,2 Monaten vergesellschaftet (Komplettresektion: 21,2 Monate, inkomplette Resektion: 13,7 Monate, keine Operation: 14,0 Monate). In der finalen Analyse zeigte sich bei Komplettresektion sogar ein Vorteil im Gesamtüberleben von 7,7 Monaten (Operation plus Chemotherapie: 53,7 Monate, Chemotherapie ohne Operation: 46,0 Monate).
Die asiatische SOC-1-Studie, die ebenfalls am ASCO 2020 präsentiert wurde,7 untersuchte in Analogie zur DESKTOP-III-Studie die Wertigkeit der Operation im Rahmen der Rezidivtherapie. Auch diese Studie zeigte einen Vorteil im progressionsfreien Überleben (PFS) für die Gruppe mit Operation von 5,5 Monaten (PFS mit Operation: 17,4 Monate;ohne Operation: 11,9 Monate; HR: 0,58 [0,45–0,74]). Aufgrund des noch kurzen Nachbeobachtungszeitraums wurden bislang noch keine Informationen zum Gesamtüberleben präsentiert oder publiziert.
Eine Subgruppe der GOG-213-Studie untersuchte ebenfalls die sekundäre Zytoreduktion.8 In diese Studie wurden ausschließlich Patientinnen mit Platin-sensitivem Ovarialkarzinomrezidiv eingeschlossen. Insgesamt wurden 485 Patientinnen in zwei Gruppen randomisiert. Gruppe A (n=240) erhielt eine sekundäre zytoreduktive Operation mit anschließender Chemotherapie, während Gruppe B ausschließlich Chemotherapie erhielt (n=245). Im Anschluss wurden die Patientinnen ein weiteres Mal randomisiert in eine Gruppe, die mit Bevacizumab behandelt wurde, und eine Gruppe, die kein Bevacizumab erhielt. Diese Studie zeigte keinen Vorteil durch eine sekundäre Zytoreduktion in Bezug auf das progressionsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben (PFS mit Operation: 18,9 Monate,ohne Operation: 16,2 Monate; Gesamtüberleben mit Operation: 50,6 Monate, ohne Operation: 64,7 Monate).
Die wesentlichen Unterschiede der zwei positiven Studien im Vergleich zu der negativen Studie sind einerseits eine stringente und klar vorgegebene Selektion der Kandidatinnen für eine Rezidivoperation (Erfüllung des AGO-Scores in der DESKTOP-III-Studie, Erfüllung des SGOG iMODELs in der SOC-1-Studie) und andererseits ein stärkerer Fokus in der operativen Qualität.
Somit dürfte wahrscheinlich die Patientinnenselektion – Auswahl von Patientinnen mit entsprechend langem Intervall zur Primärtherapie, oligometastatisches Rezidiv, kein oder wenig Aszites zum Zeitpunkt der Rezidivtherapie, …) eine ganz entscheidende Rolle für den klinischen Alltag spielen, um möglichst präzise Patientinnen zu identifizieren, bei denen eine Komplettresektion wahrscheinlich erreicht werden kann.
Zusammenfassung
In den letzten Jahren waren wir in der seltenen glücklichen Lage, eine Vielzahl an qualitativ hochwertigen operativen Studienergebnisse zu erhalten. Die systematische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie verlor aufgrund ihrer Morbidität und des fehlenden onkologischen Nutzens an Bedeutung bei der Primäroperation des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms nach erfolgreicher Komplettresektion. Die Diskussion über das optimale Timing der Radikaloperation im Rahmen der Primärtherapie – Vor-und Nachteile des PDS verglichen mit dem IDS – werden wahrscheinlich bis zur Publikation derErgebnisse der TRUST-Studie anhalten. Die Rolle der HIPEC im Rahmen der Primäroperation des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms ist aufgrund der zahlreichen methodischen Mängel der einzigen voll publizierten Studie weiterhin unklar. Im Rahmen der Rezidivtherapie zeigte sich in den letzten Jahren erstmals ein qualitativ hochwertiger Hinweis, dass ein sehr selektioniertes Kollektiv von Patientinnen von einer sekundären Debulking-Operation profitieren könnte.