
DFP-Literatur: Schmerzen des Bewegungsapparates
Diagnostische Abklärung und multimodale Therapie
Schmerz gehört zu den häufigsten Beschwerden, unter denen ältere Patienten leiden. Seine Prävalenz nimmt mit dem Alter signifikant zu.1, 2 Im Folgenden werden wesentliche Aspekte einer ganzheitlichen Schmerztherapie und -rehabilitation vorgestellt.
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Eine Studie zu chronischen Schmerzen in Großbritannien mit mehr als 3600 Personen ergab, dass die Prävalenz chronischer Schmerzen mit dem Alter signifikant zunimmt.2 So berichtete etwa ein Drittel der Studienteilnehmer im Alter zwischen 25 und 34 Jahren von chronischen Schmerzen, bei den 55- bis 74-Jährigen waren es schon mehr als die Hälfte und in der Altersgruppe über 75 Jahre litten 62% unter chronischen Schmerzen.2
Eine andere besonders häufige Schmerzart bei älteren Patienten ist der neuropathische Schmerz. Eine Longitudinalstudie medizinischer Akten aus der Allgemeinbevölkerung der Niederlande ergab, dass die Gesamtinzidenz neuropathischer Schmerzen mit dem Alter steigt und zwischen dem 70. und 79. Lebensjahr am höchsten ist.3 Eine Auswertung verschiedener neuropathischer Schmerzarten konnte nachweisen, dass (mit Ausnahme des Karpaltunnelsyndroms) diabetische Neuropathie, periphere Neuropathie, Gesichtsneuralgie und Mononeuropathie ihre maximale Inzidenz nach dem 69. Lebensjahr erreichen.3
Mit dem Alter nehmen chronische Schmerzen nicht nur zu, auch Art und Lokalisation ändern sich.2 Während bei Menschen unter 55 Jahren Rückenschmerzen zu den häufigsten Ursachen für chronische Schmerzen gehören, ist es bei den über 55-Jährigen die Arthrose. Arthritis wurde von 26% der über 65-Jährigen und von 28% der über 75-Jährigen angegeben.2
Rückenschmerzen
Der Großteil der Rückenschmerzen (ca. 85%) ist unspezifischer Natur ohne fassbares physisches Substrat. Lediglich 15% sind spezifische Rückenschmerzen, zum Beispiel nach einem Bandscheibenvorfall. Man unterscheidet radikuläre und pseudoradikuläre Schmerzen sowie je nach der Lokalisation Zervikalgie (Schmerzen im Nacken), Brachialgie (Armschmerzen mit Ursache in der Halswirbelsäule), Dorsalgie (Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule). Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule werden als Lumbago (Hexenschuss) bzw. Lumbalgie, Ischialgie oder Lumboischialgie bezeichnet.
Rund 90% der Patienten mit akuten Rückenschmerzen können nach etwa sechs Wochen wieder ihrer Arbeit nachgehen, aber nur 40 bis 60% von ihnen sind tatsächlich schmerzfrei. Außerdem kommt es in 44 bis 78% der Fälle zu einem Rückfall. Klingen die Schmerzen nicht binnen 12 Wochen ab, droht die Gefahr einer Chronifizierung. Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass Rückenschmerzen eine der häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung sind. Tabelle 1 zeigt die diagnostischen Möglichkeiten bei Patienten mit Rückenschmerzen, wobei man sich nicht allein auf die Bildgebung verlassen sollte. Wichtiger ist die gründliche klinische Untersuchung des Patienten.

Akute Radikulopathie und Bandscheibenvorfall
Ursachen für spezifische Rückenschmerzen sind vielfältig und reichen von knöchernen degenerativen Veränderungen (u.a. Spondylarthrose, Spondylolisthese, Hypertrophie der Wirbelbogengelenke und der Ligamenta flava) über lokale Raumforderungen (z.B. extra- und intradurale Tumoren, Knochenmetastasen, Blutungen) bis zu entzündlichen Ursachen (u.a. Spondylodiszitis, Lyme-Radikulitis, Herpes Zoster, spinaler Abszess). Eine der Hauptursachen ist der Bandscheibenvorfall.
Die akute Radikulopathie ist durch einen typischen Symptomenkomplex (Tab. 2) gekennzeichnet, der die topografische Zuordnung der Klinik zum radikulären Läsionsort und Abgrenzung zu zentral bedingten Störungen bzw. peripheren Nervenläsionen ermöglicht.

Davon abzugrenzen sind pseudoradikuläre Schmerzen, bei denen der Spinalnerv selbst in seiner Funktion nicht beeinträchtigt ist. Neben Schmerzen und Hautempfindungsstörungen tritt darum üblicherweise kein Kraftverlust im Bein oder Arm auf. Ursachen sind in der Regel orthopädische Erkrankungen, beispielsweise Facettengelenkshypertrophien, Coxarthrose, Iliosakralgelenksarthrosen, Kokzygodynie, Tendomyopathien bei Überlastungen oder Muskelzerrungen, und metabolische Plexopathien und Radikulopathien, etwa im Rahmen eines Diabetes mellitus. Pseudoradikuläre Schmerzen sind stumpf, diffus und überschreiten die Dermatomgrenzen. Häufig werden Hyperästhesie und -algesie beobachtet, aber keine Sensibilitätsausfälle. Es kommt auch nicht zu motorischen Ausfällen, sondern zu einem Hypertonus der Muskulatur.
Schmerztherapie
In den meisten Fällen müssen Bandscheibenvorfälle nicht operiert werden. Die Patienten erhalten Analgetika und physikalische Therapien und sollten nach längstens zwei bis vier Wochen zur Kontrolle einbestellt werden, um den Therapieerfolg zu überprüfen.
Dabei ist zu bedenken, dass Schmerz mehr ist als der physiologische Prozess der Übertragung eines Reizes von der Peripherie ins Gehirn. Er ist eine biopsychologische Erfahrung, die sensorische und emotionale Komponenten besitzt und von sozialen und kulturellen Einflüssen geprägt ist (Abb. 1). Daher ist es vor allem bei einer Chronifizierung nicht möglich, die Schmerzen mit einer monokausalen Therapie zu beheben.

Ganzheitliche Therapie chronischer Schmerzen
Das ganzheitliche Therapiekonzept berücksichtigt die verschiedenen Komponenten eines chronischen Schmerzes. Die Basis ist eine bio-psycho-soziale Schmerzanamnese. Diese beinhaltet:
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Motivationsförderung durch Erstbehandler als wesentlicher Beitrag zum Outcome
-Aktives Zuhören schafft Vertrauen und spart Kosten.
-erweiterte Anamnese: Yellow Flags! (Abb. 2)
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Die Schmerzgenese ist zwar wichtig, aber das Augenmerk auf die Bedingungen zur Aufrechterhaltung des Schmerzgeschehens zu lenken ist wichtiger!
- diagnostische Abklärung
- Vermeiden unnötiger Untersuchungen
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Von Beginn an Aufklärung
- Information über die Erkrankung: chronischer Schmerz als Schmerzsyndrom!
- psychosomatische Wechselwirkungen aufzeigen
- Erkennen psychischer Störungen (Depression, Angst)

Dies ist in einer normalen Hausarztordination nur schwierig umzusetzen. Unterstützend können Fragebögen eingesetzt werden, die im Internet frei verfügbar sind, etwa der Deutsche Schmerzfragebogen ( www.die-schmerzpraxis.de/wp-content/uploads/2019/05/Schmerzfragebogen.pdf ) oder der Heidelberger Kurzfragebogen Rückenschmerz ( www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/kreuzschmerz/ph/hkfr-10-fragebogen.pdf ). Für die Betreuung eines chronischen Schmerzpatienten empfiehlt sich die Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum, wo ein interdisziplinäres Team aus unterschiedlichen Bereichen zur Verfügung steht.
Eine große Rolle in der Behandlung chronischer Schmerzen spielen physikalische und Bewegungstherapien. Die Physiotherapie als Einzel- und Gruppentherapie (auch im Wasser) dient der Stabilisation und Stärkung der Muskulatur. Gleiche Ziele haben die medizinische Trainingstherapie und manuelle Therapien. In der Rückenschule erlernen die Patienten rückenschonendes Verhalten. Weitere Bausteine sind eine arbeitsplatzorientierte ergotherapeutische Beratung, Verhaltenstherapie, das Erlernen von Bewältigungs- und Entspannungsstrategien sowie Übungsprogramme, die die Patienten zu Hause weiterführen können. Bei den physikalischen Behandlungen hat unter anderem die Elektrotherapie einen nachweisbaren Effekt auf Schmerzen – allerdings nur in Kombination mit aktiven Behandlungen. Rein passive Anwendungen wie Massagen werden nicht mehr empfohlen.
Sehr wichtig ist darüber hinaus die psycho-soziale Therapie, die dem Patienten ermöglichen soll, Schmerzauslöser zu erkennen, die Schmerzkontrolle durch Entspannungstechniken zu verbessern und gesundheitsfördernde Maßnahmen verstärkt anzuwenden.
Literatur:
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Pergliozzi J et al.: Pain Practice 2008; 8: 287-313
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Elliott AM et al.: Lancet 1999; 354: 1248-52
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Dieleman JP et al.: Pain 2008; 137: 681-8
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DGN 2018; Lumbale Radikulopathie – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie