
7. Juli 2020
Innere Medizin
Diabetes Typ 2 leitliniengerecht behandelt
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf allgemeineplus.at und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. universimed.com & med-Diplom.at)
Nach Angaben der International Diabetes Federation (IDF) leiden weltweit schätzungsweise rund 425 Millionen Menschen an Diabetes, Tendenz steigend. [1] Damit gehen eine erhöhte Morbidität und Mortalität einher, besonders aufgrund kardiovaskulärer Krankheiten. [2] Daher sollte frühzeitig eine leitliniengerechte Therapie einsetzen.
Hohes kardiovaskuläres Risiko bei Diabetes
In Österreich wird die Diabetesprävalenz auf 7 bis 11% geschätzt (500000 bis 800000 Betroffene), von denen etwa 2 bis 4% (147000 bis 294000) bisher nicht diagnostiziert wurden. [3]
Im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes haben Menschen mit Diabetes ein zwei- bis dreifach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und eine im Mittel um sechs Jahre verkürzte Lebenserwartung. [1, 4] Bei einem Diabetiker, der bereits ein kardiovaskuläres Ereignis wie Herzinfarkt oder Schlaganfall hatte, verkürzt sich die Lebenserwartung durchschnittlich um zwölf Jahre. [4] Doch nicht nur der manifeste Diabetes erhöht das Risiko, es nimmt bereits bei prädiabetischen Zuständen zu. [5] Deshalb sind Früherkennungsmaßnahmen notwendig, um schon präventiv eingreifen zu können. [6••] Die Atherogenese beim Typ-2-Diabetes wird von vier wesentlichen Faktoren begünstigt: Hypertonie, Hyperglykämie, Dyslipidämie und erhöhte Aggregationsneigung/verzögerte Fibrinolyse. Diese Erkenntnisse sind auch in aktuelle Leitlinien eingeflossen. [6••, 7]
Diabetes-Screening und -Prävention
Für das Screening von Menschen mit einem erhöhten Diabetesrisiko ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner, da er seine Patienten und deren Gewohnheiten am besten kennt. Inzwischen sind zahlreiche prospektive Studien zur Prävention des Typ-2-Diabetes veröffentlicht worden. Alle konnten zeigen, dass die Veränderung des Lebensstils ebenso wie eine medikamentöse Behandlung das Diabetesrisiko senkt: eine Lebensstilmodifikation um 39%, Medikamente um durchschnittlich 36%. [6••] Die wichtigsten Lebensstilmodifikationen sind regelmäßige moderate Bewegung (mindestens 30 Minuten pro Tag, fünfmal pro Woche). Dies verbessert die Insulinsensitivität, baut Muskulatur auf und abdominales Fett ab. Mindestens ebenso wichtig ist eine ausgewogene Ernährung auf der Basis von (frischem) Obst und Gemüse sowie Vollkornprodukten. Dagegen sollte der Konsum von (rotem) Fleisch, raffiniertem Zucker, Weißmehlprodukten und Fett eingeschränkt werden. [6••, 8]
Von den zur Verfügung stehenden oralen Antidiabetika ist Metformin die First-Line-Therapie und kann leitliniengemäß bei Prädiabetes oder früherem Gestationsdiabetes, Adipositas mit BMI >35kg/m2 und einem Alter <60 Jahren zur Senkung des Diabetesprogressionsrisikos erwogen werden.
Leitliniengerechte Therapie des kardiovaskulären Risikos
Basis jeder Therapie ist die erwähnte Lebensstilmodifikation. Die medikamentöse Behandlung besteht aus Metformin first-line, die weiteren medikamentösen Schritte richten sich nach den Komorbiditäten und dem individuellen kardiovaskulären Risiko des jeweiligen Patienten. [7]
Lipidsenkung
Tab. 1: Die angeführten Lipiduntersuchungen sind wichtig für die adäquate Lipidtherapie
In der Lipiddiagnostik sollten unbedingt die in der Tabelle 1 angeführten Werte erhoben werden. Die neue gemeinsame Leitlinie [9] der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) zum Management der Dyslipidämie führt für Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko den noch niedrigeren LDL-Cholesterin-Zielwert <55mg/dl ein. Bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko liegt der LDL-C-Zielwert bei <70mg/dl.
Menschen mit Diabetes fallen in die Gruppe mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko, wenn ein Endorganschaden vorliegt oder mindestens drei Hauptrisikofaktoren oder wenn mehr als 20 Jahre ein Typ-1-Diabetes besteht. Menschen mit Diabetes fallen in die Gruppe mit hohem kardiovaskulärem Risiko, wenn die Diabetesdauer ≥10 Jahre beträgt oder andere zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Die Basis dieser Empfehlung sind mehrere in den letzten Jahren publizierte Studien, die das Prinzip „the lower, the better“ untermauern. [9] Wenn der LDL-C-Zielwert nicht erreicht wird, wird eine Reduktion des LDL-C-Spiegels um mindestens 50% gegenüber dem Ausgangswert empfohlen. Als Mittel zur LDL-C-Senkung empfiehlt die Guideline Lebensstilmodifikation, Statine, Ezetimib und PCSK9-Inhibitoren. Statine sind in den meisten Fällen die Medikamente der ersten Wahl. [9]
Die Leitlinie weist auch auf die Bedeutung von Lp(a) hin, das ebenfalls deutlich mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung assoziiert ist. Da der Lp(a)-Spiegel fast ausschließlich genetisch bestimmt ist, wird empfohlen, ihn zumindest einmal im Leben, vorzugsweise im Alter um die 40 Jahre, zu messen. Lp(a) wird durch Statine nicht beeinflusst, mit PCSK9-Inhibitoren kann eine Reduktion von im Mittel 20 bis 25% erreicht werden. [9]
Thrombozytenaggregationshemmung
In der Primärprävention werden Thrombozytenaggregationshemmer wie ASS oder Clopidogrel nicht mehr uneingeschränkt empfohlen. Lediglich für Menschen mit Diabetes und stark erhöhtem kardiovaskulärem Risiko bei gleichzeitig niedrigem Blutungsrisiko kann die Gabe erwogen werden. Unstrittig ist die Sekundärprävention mit ASS oder Clopidogrel bei Diabetikern nach einem kardiovaskulären Ereignis oder dem Setzen eines Stents. Grundsätzlich muss aber der Nutzen gegen das Blutungsrisiko abgewogen werden. [6••, 8]
Blutdrucksenkung
Je nach Fachgesellschaft empfehlen aktuelle Leitlinien Blutdruckzielwerte von 130–140/80–90mmHg. [6••, 8] Neuere Daten weisen jedoch darauf hin, dass es vor allem bei Patienten <65 Jahren ohne kardiovaskuläre Ereignisse sinnvoll sein könnte, den Blutdruck etwas niedriger einzustellen. [9] Initial besteht die Therapie aus einem ACE-Hemmer oder einem Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB).
Bei Blutdruckwerten >160/100mmHg sollte schon zu Beginn eine Kombination aus zwei Antihypertensiva gegeben werden. [6••] Ist die Blutdrucksenkung unter einer Monotherapie nicht ausreichend, können Kombinationen mit Thiazid-Diuretika, Kalziumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ oder Betablockern empfohlen werden. [6••]
Blutzuckersenkung
Therapieziel ist das Senken des HbA1c auf ≤6,5%, da damit eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos einhergeht.[6••] Je nach individuellem Risiko können jedoch auch höhere Werte toleriert werden (Abb. 1).
Das Medikament der Wahl für die Erstlinienbehandlung ist Metformin. [6••, 7] Die Leitlinien sehen eine Dosierung von 2000mg/d vor. Bei eingeschränkter Nierenfunktion erfolgt eine Dosisreduktion bei einer GFR von bis zu 45ml/min auf eine Dosis von 1000mg und bei einer GFR bis 30ml/min auf 2 x 500mg. Bei einer schweren Niereninsuffizienz (GFR <30ml/min) ist Metformin nicht mehr indiziert. [10•]
Nach dem Einsatz von Metformin ist zu differenzieren, welche mögliche Grunderkrankung beim Patienten die vorherrschende Rolle spielt: eine bekannte kardiovaskuläre Krankheit, eine chronische Herzinsuffizienz, eine Niereninsuffizienz – oder aber ob keine dieser Erkrankungen vorliegt (Abb. 2). DPP-4-Hemmer, GLP-1-Analoga, SGLT2-Hemmer und Pioglitazon stehen in den Leitlinien gleichberechtigt nebeneinander. Wird das HbA1c-Ziel dennoch überschritten, ist die Eskalation zu einer Dreifach- oder sogar einer Vierfachtherapie erforderlich. [10•]
Im Fall einer kardiovaskulären Erkrankung sind GLP-1-Analoga mit kardiovaskulärem Benefit und SGLT2-Hemmer mit kardiovaskulärem Benefit zu bevorzugen. Hingegen werden bei chronischer Herz- oder Niereninsuffizienz SGLT2-Hemmer eingesetzt. Ist der HbA1c-Zielwert nicht erreicht, erfolgt wieder eine Therapieeskalation in sinnvoller Kombination gemäß Abbildung 1.
Abb. 1: Individualisierte antidiabetische Therapie auf Basis des HbA1c-Ausgangswertes
Abb. 2: Antihyperglykämische Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 – Gesamtüberblick (GLP-1-Analogon = GLP-1-RA)
GLP-1-Rezeptoragonist
Unter dem GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid wurden in der LEADER-Studie die Raten der Todesfälle aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse und die Gesamtmortalität signifikant reduziert. [11] Unter Semaglutid wurde in der SUSTAIN-6-Studie der primäre Endpunkt nicht tödlicher Schlaganfall signifikant reduziert. [12]
SGLT2-Hemmer
Vor fast vier Jahren wurde die Landmark-Studie EMPA-REG OUTCOME zum SGLT2-Hemmer Empagliflozin in einem Kollektiv mit kardiovaskulärer Vorerkrankung veröffentlicht. In der Studie konnte Empagliflozin die Gesamtmortalität in der Studienpopulation signifikant reduzieren. Darüber hinaus wurden signifikante Benefits in weiteren Endpunkten gezeigt, etwa der Reduktion der Häufigkeit des kardiovaskulären Todes und der Reduktion der Zahl an Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz, sodass in der Zusammenschau unter Empagliflozin als einzigem SGLT2-Hemmer vier kardiovaskuläre Endpunkte signifikant verbessert wurden. [13]
Für einen anderen SGLT2-Hemmer, Dapagliflozin, wurde in einer Gruppe mit multiplen Risikofaktoren in der DECLARE-TIMI-58-Studie ein Benefit für die Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz ermittelt, nicht jedoch in Bezug auf den 3-Punkt-MACE und auch nicht hinsichtlich der Reduktion der Häufigkeit des kardiovaskulären Todes. [14]
Für den dritten SGLT2-Hemmer Canagliflozin konnte in der CANVAS-Studie ein Benefit hinsichtlich des 3-Punkt-MACE, der Reduktion der Anzahl an Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz und des kombinierten Endpunkts kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz, gezeigt werden. Nicht reduziert wurde dagegen das Risiko für den kardiovaskulären Tod allein. [15]
Darüber hinaus konnte für die SGLT2-Hemmer die Reduktion des Fortschreitens einer chronischen Nierenerkrankung gezeigt werden. [13–15]
Pioglitazon
Wie die PROACTIVE-Studie zeigte, konnte Pioglitazon den 3-Punkt-MACE – die Zeit bis zum Eintreten von Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt oder nicht tödlichem Schlaganfall – hinauszögern. Das bedeutete im sekundären Endpunkt eine Reduktion des relativen Risikos um 16%. Darüber hinaus wurde die Wahrscheinlichkeit für einen Reinsult um beinahe 50% reduziert, eine Indikation, bei der man den Einsatz von Pioglitazon erwägen kann. [16]
DPP-4-Hemmer
Für die DPP-4-Hemmer wurden die Studien SAVOR TIMI 53 zu Saxagliptin, EXAMINE zu Alogliptin, TECOS zu Sitagliptin und CARMELINA zu Linagliptin durchgeführt. In diesen Studien schnitten die DPP-4-Hemmer mit Ausnahme von Saxagliptin, bei dem ein Signal hinsichtlich einer Erhöhung des Herzinsuffizienzrisikos gefunden wurde, neutral in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko ab. [17–20] Die DPP-4-Hemmer senken die Blutzuckerwerte, sind kardiovaskulär sicher, haben wenige Nebenwirkungen und verursachen keine Hypoglykämien. Daher sind die DPP-4-Hemmer nach wie vor ein essenzieller Bestandteil der Therapie und werden auch in den ÖDG-Leitlinien explizit berücksichtigt. [10•] Ein interessanter Aspekt wurde kürzlich durch die CAROLINA-Studie [21] mit mehr als 6000 Patienten und einem Follow-up von 6,3 Jahren beantwortet, die den DPP-4-Inhibitor Linagliptin mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid verglich. In der CAROLINA-Studie zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf den primären Endpunkt, die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse in einer Population mit kardiovaskulärem Risiko und mit Typ-2-Diabetes. In CAROLINA kam es bei 11,8% der Patienten in der Linagliptin-Gruppe und bei 12% der Patienten in der Glimepirid-Gruppe zu einem kardiovaskulären Ereignis (HR: 0,98; 95% CI: 0,84–1,14). Kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) waren kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt oder nicht tödlicher Schlaganfall. Das Ergebnis war über alle Subgruppen konsistent, also auch bei älteren Patienten oder Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung. Jedoch bestätigte sich das bekannte Nebenwirkungsprofil der Sulfonylharnstoffe, die Gewichtszunahme und das deutlich erhöhte Risiko für Hypoglykämien.
Unter Linagliptin-Therapie war bei vergleichbarer Blutzuckerkontrolle gegenüber Glimepirid die Rate aller Hypoglykämien um 77% (10,6 vs. 37,7%), mittelschwerer bis schwerer Hypoglykämien um 82% (6,5 vs. 30,9%) und schwerer Hypoglykämien um 85% (0,3 vs. 2,2%) reduziert, alle statistisch signifikant (p<0,001). Es zeigte sich auch, dass die Hypoglykämien bei Glimepirid dosisunabhängig sind und bereits bei niedrigen Dosierungen schwer verlaufen können. Unter Glimepirid traten sowohl schwere als auch nicht schwere Hypoglykämien bereits in den ersten Wochen und während der gesamten Studienzeit signifikant häufiger auf. [21]
Sulfonylharnstoffe
Sulfonylharnstoffe verlieren wegen des höheren Hypoglykämierisikos immer mehr an Bedeutung. Rezente Metaanalysen von 47 randomisierten kontrollierten Studien, die neue statistische Methoden anwandten, konnten an 37650 Patienten jedoch zeigen, dass sie keinen negativen Effekt auf die Gesamtmortalität haben. [22] Die modernen Sulfonylharnstoffe Gliclazid und Glimepirid schneiden besser ab als die älteren Vertreter. Da für Linagliptin die kardiovaskuläre Sicherheit wie im vorigen Abschnitt erwähnt in der Studie CARMELINA [20] im Vergleich zu Placebo gezeigt wurde und sich in der Studie CAROLINA kein signifikanter Unterschied im Hinblick auf die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse ergab, kann man davon ausgehen, dass auch Glimepirid kardiovaskulär sicher ist. Man kann also daraus schließen, dass der Einsatz von Sulfonylharnstoffen zwar kardiovaskulär sicher ist, aber das erhöhte Hypoglykämierisiko der Substanzklasse bestehen bleibt.