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DFP-Literatur: Atemphysiotherapie, Long Covid und mehr
Möglichkeiten der pneumologischen Rehabilitation
Der Allgemeinmediziner kann Patienten mit chronischen respiratorischen Erkrankungen die Empfehlung für eine pneumologische Rehabilitation (PR) aussprechen. Was Ärzte über das Basisprogramm und die Inhalte einer PR sowie über ihre Effektivität wissen sollten, was bei der Verordnung beachtet werden muss und welche Rolle das Post-Covid-19-Syndrom (auch Long Covid) für die Indikation einer PR spielt, präsentierte Alexander Müller, MSc., im Rahmen des ALLGEMEINE+Frühlingsduetts 2021.
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Die pneumologische Rehabilitation (PR) wird von der ÖGP (Österreichische Gesellschaft für Pneumologie) als evidenzbasierte Intervention für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen definiert.1,2 Die meisten PR-Studien finden sich zur COPD, bei welcher durch Atemwegsverengungen der Atemfluss beeinträchtigt wird, was eine progressive Schädigung, eine gesteigerte Atemarbeit, mukose Dysfunktion und Dekonditionierung zur Folge hat. Die Leitsymptome und pathologischen Mechanismen der unterschiedlichen chronischen respiratorischen Erkrankungen ähneln sich3 – dies trifft auch auf das Post-Covid-19-Syndrom zu. Durch das dauerhafte, physische Ungleichgewicht, welches sich durch Dyspnoe, den Verlust von Skelettmuskelmasse und später auch durch systemische Konsequenzen äußert, wird die Lebensqualität(QoL) und dadurch das psychische Wohlbefinden der betroffenen Patienten beträchtlich beeinflusst.3 Das bessere Verständnis der Pathophysiologie von chronischen Lungenerkrankungen als Multisystemerkrankungen und die Zuordnung häufiger Komorbiditäten waren ausschlaggebend dafür, dass sich die PR als Interventionsform auf vielen Ebenen und wissenschaftlich fundiert weiterentwickeln konnte.4 Sie wird als integrative Versorgung für Patienten angeboten und setzt ein partnerschaftliches Miteinander von Patienten, Angehörigen und Betreuungsteam voraus, um den Betroffenen wieder zu mehr Unabhängigkeit und Autonomie im eigenen Alltag zu verhelfen.
Epidemiologie zu chronischen respiratorischen Erkrankungen
Chronische respiratorische Erkrankungen betreffen mehr als 10% der Weltbevölkerung und zeichnen sich durch eine signifikante Erkrankungswahrscheinlichkeit und frühzeitige Sterblichkeit aus.3 Sie schließen COPD, Asthma, Bronchiektasien und interstitielle Lungenerkrankungen wie die idiopathische Fibrose mit ein.3
Inhalte der PR
Das Ziel bei der Verordnung einer PR ist es, dem Patienten eine individuelle, auf ihn zugeschnittene Therapie zu verschreiben, um übergeordnete Ziele erreichen zu können: Verbesserung der physischen und psychischen Verfassung des Patienten; Reduktion der Symptomlast; in manchen Fällen Verhinderung von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit; weitgehende Erhaltung der Arbeitsfähigkeit.1 Eine PR umfasst unter anderem eine medizinische Trainingstherapie(MTT) in Form eines Ausdauer- und Krafttrainings, Atemmuskeltrainings, Atemphysiotherapie und psychologischer Beratung, da Patienten mit Atemnot häufige Hospitalisationen in ihrer Krankengeschichte aufweisen, was massive Auswirkungen auf die Psyche zur Folge haben kann. Weiters enthält die PR Patientenschulungen über die Grunderkrankung, über Inhalations- und Atemtechniken, die in Notfällen angewendet werden können, eine diätologische und Angehörigenberatung sowie bei anhaltendem Nikotinkonsum eine Raucherentwöhnung.5 Der Raucherstatus schließt die Verordnung einer PR nicht aus, da sich in Studien keine Evidenz zeigte, dass Raucher nicht den gleichen Benefit aus einer Rehabilitation ziehen können wie Nichtraucher.3 Die Einstellung zum Rauchstopp kann jedoch durch das Rehabilitationsprogramm positiv beeinflusst werden.3
Strenge Indikationsstellung
Da die pneumologische Rehabilitation einer strengen Indikationsstellung bedarf, ist vor Verordnung eine entsprechende Abklärung aller Nebenerkrankungen, die Yellow oder Red Flags für eine PR aufweisen könnten, erforderlich.1 Als Hauptkriterium wird eine funktionelle, respiratorische Einschränkung bei Patienten vorausgesetzt.1 Nach Leitlinie können Patienten aus 3 Gruppen an Lungenerkrankungen (obstruktive, restriktive und andere) für eine Indikation einer PR infrage kommen (Tab. 1).1
Kontraindikationen
Die Durchführung einer PR erfordert, dass der Patient bis zu einem gewissen Ausmaß belastbar ist. Vor Verordnungsentscheidung müssen daher zwingend relative und absolute Kontraindikationen im Arztgespräch erhoben werden. Die Hauptkomponente einer MTT liegt beispielsweise in der Bewegungstherapie – die Durchführung einer PR würde keinen Sinn ergeben, sofern Patienten bettlägerig oder durch eine akute Exazerbation oder dekompensierte Herzinsuffizienz nicht belastbar sind bzw. durch eine psychiatrische Erkrankung als selbst- oder fremdgefährdend gelten, ein akutes Ansteckungsrisiko von einem Patienten ausgeht oder hochgradige mentale Defizite oder kognitive Einschränkungen bestehen.1 Relative Kontraindikationen bedürfen einer guten, vorherigen Abwägung oder einer individuellen, patientengerechten Anpassung des PR-Settings (Tab. 2).
Tab. 2: Absolute und relative Kontraindikationen für eine PR (modifiziert nach Vonbank K et al. 2015)1
Atemphysiotherapie und Verordnung
Physiotherapeutische Maßnahmen, die gezielt auf das Atmungssystem der Lunge und auf den Thorax wirken, werden unter der Atemphysiotherapie zusammengefasst. Die Verringerung der Symptomlast bzw. die Prävention von Komplikationen und Exazerbationen steht bei respiratorischen Problemstellungen als Ziel im Vordergrund. Damit Patienten die Rückvergütung von der Krankenkasse beantragen können, sollten sowohl Problemstellung als auch Therapiemaßnahmen am Verordnungsschein angeführt werden.
Die Atemphysiotherapie umfasst eine Atemschulung, die durch das Erlernen von Atem- und Entspannungstechniken darauf abzielt, Dyspnoe zu reduzieren und Patienten beizubringen, bei Atemnotattacken und in einem Atemnotfall richtig zu reagieren. Des Weiteren wird durch das Atemmuskeltraining gezieltes Kraft- und Ausdauertraining für das Zwerchfell angestrebt, wodurch die Atemnot verringert wird. Durch Inhalationstechniken kann sichergestellt werden, dass möglichst viel vom notwendigen Medikamentenwirkstoff an seinen Wirkungsort gelangt und durch Sekretmobilisationstechniken kann Lungensekret besser entfernt und respiratorischen Infekten besser vorgebeugt werden.
Post-Covid-19-Syndrom?
Seit Anbeginn der SARS-CoV-2-Pandemie beobachtet man bei Covid-19-Patienten auf pneumologischen Intensivstationen das Vollbild eines ARDS („acute respiratory distress syndrome“), was bei fast all diesen Patienten lange Intensivstationsaufenthalte und eine Intubation erforderlich macht. Die dadurch entstandenen Defizite ziehen sich von massiven pulmonal-internistischen bis hin zu neurologisch-muskuloskelettalen Einschränkungen, die es den Patienten beispielsweise nicht erlauben, frei und ohne Unterstützung sitzen zu können. Doch auch Patienten mit weniger schweren Verläufen können vom Post-Covid-19-Syndrom betroffen sein. Goërtz YMJ etal. gingen in ihrer Studie der Frage der Existenz und des symptomatischen Ausmaßes eines Post-Covid-19-Syndroms nach.6 Insgesamt wurden dabei 2001 nicht hospitalisierte Patienten und 112 hospitalisierte Patienten eingeschlossen, jedoch keine Intensivpatienten. Über die Zeit reduzierte sich bei den Patienten die mediane Anzahl der Symptome während der Infektion signifikant (Median14 [IQR 11–17] vs. Median6 [IQR 4–9]; p<0,001).6 Fatigue und v.a. belastungsabhängige Dyspnoe traten am häufigsten während der Infektion und drei Monate danach auf (Fatigue: 95% vs. 87%; Dyspnoe: 90% vs. 71%).6 Alle anderen Symptome waren wesentlich seltener. Die Resultate der Studie ergaben, dass sowohl bei hospitalisierten als auch bei nichthospitalisierten Patienten mit bestätigter oder suspekter SARS-CoV-2-Infektion multiple Symptome für drei Monate anhalten und damit die Existenz eines Post-Covid-19-Syndroms nicht ausgeschlossen werden kann.6 Subgruppen von Patienten mit mildem bis schwerem Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion benötigen daher unbedingt weitere gesundheitliche Versorgung.6 Nach Lamprecht müssten für die Diagnose eines Post-Covid-19-Syndroms die körperlichen, kognitiven und psychologischen Folgen für mindestens sechs Monate anhalten, wodurch in den meisten Fällen abschließend derzeit nur von einer postinfektiösen Fatigue gesprochen werden kann.9 Dennoch sollten gezielte Rehabilitationsmaßnahmen nach einer kritischen SARS-CoV-2-Infektion in Betracht gezogen werden.9
Empfehlung für PR nach Covid-19
Covid-19 wird an sich als Indikation für eine rehabilitative Therapie von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGPe.V.) angeführt,7 dennoch müssen einige Kriterien nach überstandener Erkrankung für die Garantie einer Reha-Fähigkeit nach Covid-19 vorliegen (Tab. 3). Der Allgemeinzustand (AZ) von Covid-19-Patienten kann sehr schwankend sein und schnell wieder eine Verschlechterung eintreten lassen. Deswegen ist es essenziell, Patienten nicht zu früh in eine PR zu schicken und bei Verlegung von der Intensivstation noch eine Beobachtungszeit auf der Normalstation einzuhalten. Als allgemeine Empfehlung gilt es, Patienten mehrfach im Abstand von zwei Tagen zu testen, um eine abgeklungene Infektiosität zu bestätigen. Die Inhalte einer PR bei Post-Covid-19 richten sich hauptsächlich nach den Empfehlungen anderer bzw. interstitieller Lungenerkrankungen. Bei der MTT sollte die Maximalkraft nicht ausgereizt, sondern lokale Muskelgruppen einerseits durch Ausdauertraining von 10 bis 30 Minuten und andererseits durch lokales, peripheres Krafttraining und inspiratorisches Atemmuskeltraining aufgebaut werden. Beim Vorliegen einer belastungsabhängigen Hypoxämie und Dyspnoe wird ein Intervalltraining mit festgelegten Pausen empfohlen, in welchen der Patient durch lockeres Treten am Ergometer oder Gehen entlastet werden kann.
Tab. 3: Kriterien für die Reha-Fähigkeit nach überstandener Covid-19-Erkrankung (modifiziert nach Glöckl et al. 2020)7
Erfolge einer PR nach Covid-19
Die Erfahrung zeigt, dass die PR bei Covid-19-Patienten die Prognose verbessern kann, die maximale Funktionalität erhält und die Lebensqualität(QoL) steigert, wenngleich weltweit Studiendaten fehlen, die die Wirkung einer Post-Covid-19-Intervention untersuchen und bestätigen. Liu etal. zeigten in einer randomisierten kontrollierten Studie die Effekte der respiratorischen Rehabilitation bei älteren Patienten mit Covid-19.8 Insgesamt wurden 72 Patienten eingeschlossen, wovon 36 eine Post-Covid-19-Intervention erhielten und 36 Patienten ohne Intervention blieben.8 Zur Messung dienten Lungenfunktionsparameter (FEV1, FVC, Tiffeneau-Index) sowie die Diffusionskapazitätsmessung (DLCO), funktionale Tests (6-Minuten-Gehtest) und zusätzlich die QoL, die Aktivität des täglichen Lebens und der mentale Status.8 Nach 6-wöchiger respiratorischer Rehabilitation zeigten sich signifikante Unterschiede in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (KG) bei allen Messparametern der Lungenfunktion (M±SD: FEV1(PR): 1,10±0,08 zu 1,44±0,25 vs. FEV1(KG): 1,13±0,14 zu 1,26±0,32; FVC(PR): 1,79±0,53 zu 2,36±0,49 vs. FVC(KG): 1,77±0,64 zu 2,08±0,37) und Diffusionskapazität (Abb.1) sowie beim 6-Minuten-Gehtest (PR: 162,7m±72,0m zu 212,3m±82,5m vs. KG: 155,7m±82,1m zu 157,2m±71,7m). Die QoL war statistisch signifikant zwischen den beiden Gruppen. Beim mentalen Status zeigten sich nur bei Angstzuständen statistisch signifikante Ergebnisse.8 Weniger Effekt hatte die PR auf den Faktor Depression.8 Bei Post-Covid-19-Patienten beeinträchtigen häufig fibrosierende Veränderungen an der Lunge den Gasaustausch (O2-Aufnahme, CO2-Abgabe) – ein 6-wöchiges Trainingsprogramm kann zur Rückbildung beitragen.
Abb. 1: Vergleich der Veränderungen des Tiffeneau-Index (FEV1/FVC %) und der Diffusionskapazität (DLCO %) zwischen Interventions- und Kontrollgruppe nach 6 Wochen (modifiziert nach Liu K et al. 2020)8
Fazit
Die Indikationsmöglichkeiten für eine PR müssen individuell von Patient zu Patient durch den Arzt erhoben werden, damit sichergestellt werden kann, dass Patienten tatsächlich von einer Verordnung profitieren können. Die Atemphysiotherapie unterstützt Menschen mit chronischen respiratorischen Erkrankungen dabei, v.a. ihre Dyspnoe und Atemnotattacken besser in den Griff zu bekommen. Wenngleich derzeit noch nicht einheitlich von einem Post-Covid-19-Syndrom in der Ärzteschaft ausgegangen wird, so ist die Studienlage dennoch vielversprechend, dass Patienten nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion eine erhebliche Alltagserleichterung von einer PR erwarten können und nach langem Krankenhausaufenthalt wieder schneller zurück ins Leben finden bzw. eine PR zur Unterstützung eines stabilen Post-Covid-19-Zustandes beitragen kann.
Quelle
„Pneumologische Rehabilitation: von Atemphysiotherapie bis Post-Covid-Syndrom“, Vortrag von Alexander Müller, MSc., beim ALLGEMEINE+ Frühlingsduett am
20. März 2021 in Wien
Literatur:
Vonbank K et al.: Richtlinien für die ambulante pneumologische Rehabilitation in Österreich. Wien Klin Wochenschr 2015; 127(13-14): 503-13
ÖGP: Pocket Card Pneumologische Rehabilitation, Auflage 1, 2021
Bolton CE et al.: BTS Guideline for pulmonary rehabilitation. Thorax 2013; 68(Suppl 2): 1-36
Spruit MA et al.: An official American Thoracic Society/European Respiratory Society statement: key concepts and advances in pulmonary rehabilitation. Am J Respir Crit Care Med 2013; 188: 13-63
Aigner K et al.: Richtlinien für die Pneumologische Rehabilitation. Zuletzt aufgerufen unter: https://www.ogp.at/media/publikationen/AKfrRichtlinienPneum.Reh.4.pdf am 22. 3. 2021
after a SARS-CoV-2 infection: the post-Covid-19 syndrome? ERJ Open Res 2020: 6(4): 00542-2020
Glöckl R et al.: DGP-Empfehlungen zur pneumologischen Rehabilitation bei Covid-19. Pneumologie 2020; 74(08): 496-504
Liu K et al.: Respiratory rehabilitation in elderly patients with Covid-19: a randomized controlled study. Complement Ther Clin Pract 2020; 39: 101166
Lamprecht B: Gibt es ein Post-Covid-Syndrom? Pneumologe 2020; 17: 398-405