Hereditäres Prostatakarzinom – Hintergrund und klinische Implikationen
Durch die wachsende Anzahl an Forschungsergebnissen und Therapiemöglichkeiten gewann die Aufarbeitung verschiedener häufiger Genalterationen beim Prostatakarzinom vor allem in den letzten Jahren stark an Bedeutung. Während immer mehr auch potenziell vererbbare Genalterationen entdeckt werden und das hereditäre Prostatakarzinom so besser definiert werden kann, steigt auch die Anzahl an möglichen zielgerichteten Therapien, welche in der Zukunft ein engeres maßgeschneidertes Vorsorge- und Therapiekonzept erlauben.
Neben Alter und Ethnie ist eine positive Familienanamnese ein wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten eines Prostatakarzinoms. Bei bis zu 20% aller Prostatakarzinompatienten zeigt sich eine familiäre Häufung.1 Da diese möglicherweise eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren ohne klare Vererbung ist, sollte sie vom rein erblichen Prostatakarzinom abgegrenzt werden. Klinisch erfolgte die Abgrenzung erstmals anhand der Johns-Hopkins-Kriterien, die das Vorliegen eines erblichen Prostatakarzinoms verbinden mit dem Auftreten in drei Generationen bei zumindest drei Verwandten ersten Grades, von denen zumindest zwei Betroffene unter 55 Jahre alt sein müssen.
Genetisch konnte in den vergangenen Jahren ein großer Fortschritt in der Erforschung des erblichen Prostatakarzinoms anhand von Keimbahnmutationen bei Prostatakarzinompatienten erreicht werden. Bei ca. 10% aller erkrankten Männer liegt eine monogenetische Erkrankung vor, die auf Keimbahnmutationen in Desoxyribonukleinsäure(DNA)-Reparatur-Genen, wie z.B. BRCA1, BRCA2, den Lynch-Syndrom-Genen oder Tumorsuppressorgenen, zurückzuführen ist. Ist eine solche monogenetische Vererbung Ursache für die Entwicklung des Prostatakarzinoms, so ist die Erkrankung mit einem aggressiveren Verlauf und einer schlechteren Prognose assoziiert, des Weiteren besteht für Betroffene und deren Familienangehörige ein höheres Risiko für weitere Tumorerkrankungen (Tumorprädispositionssyndrom).2
Homologe Rekombination
Die homologe Rekombination spielt in der Reparatur von Doppelstrangbrüchen der DNA eine wesentliche Rolle. Eine Mutation der DNA-Reparatur-Gene der homologen Rekombination BRCA1 und BRCA2 sind neben einer erhöhten Inzidenz von Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, Pankreaskarzinom und auch mit einem häufigeren Auftreten von Prostatakarzinomen assoziiert. Zudem weisen Prostatakarzinompatienten mit Mutationen in BRCA1 oder BRCA2 einen aggressiveren Krankheitsverlauf und eine schlechtere Prognose auf.3 Die erbliche Komponente von aggressiveren Prostatakarzinomen konnte eine Analyse von Keimbahnmutationen untermauern: Im Vergleich zu Patienten mit ISUP-1-Karzinomen war der Anteil an BRCA2- und ATM-Keimbahnmutationen bei Patienten mit ISUP-4/5-Prostatakarzinomen erhöht.4 Eine weitere Arbeit konnte einen signifikant höheren Anteil an Keimbahnmutationen in BRCA1, BRCA2 und ATM bei Patienten mit letal verlaufendem Prostatakarzinom, verglichen mit Patienten nach kurativer Therapie, beschreiben (6,07% vs. 1,44%).5 Keimbahnmutationen in weiteren DNA-Reparaturgenen wie NBN, CHEK2, FANCA und PALB2 erhöhen ebenfalls das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken. In einer Arbeit konnte gezeigt werden, dass Mutationen im NBN-Gen (auch bekannt als NBS1-Gen) etwa 1,4% aller Prostatakarzinompatienten und 2,4% aller Patienten mit familiärem Prostatakarzinom betreffen, auch das 5-Jahres-Überleben bei Mutationsträgern war deutlich eingeschränkt.6
Eine Keimbahnmutation im FANCA-Gen erhöht das relative Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken. Etwa 15% aller Prostatakarzinompatienten mit Keimbahnmutation weisen eine Mutation in einem der weiteren DNA-Reparatur-Gene (ATR, BRIP1, FAM175A, GEN1, MRE11A, RAD51C, RAD51D) auf.3
DNA-Mismatch-Reparatur und Mikrosatelliteninstabilität
Mutationen in der Gruppe der DNA-Mismatch-Reparatur-Gene sind vor allen mit Tumorerkrankungen des Lynch-Syndroms mit seinen zahlreichen möglichen Neubildungen vergesellschaftet. Das Risiko, mit einer Mutation in einem Mismatch-Reparatur-Gen an einer Neoplasie zu erkranken, variiert abhängig von der Art der Tumorerkrankung, vom Geschlecht und von der vorliegenden Mutation. Als Mikrosatelliten ist die Zahl kurzer repetitiver Basenabfolgen im Vergleich zur Normalbevölkerung zweimal so hoch.7 Keimbahnmutationen im MSH2-Gen traten vor allem bei Patienten mit Hochrisiko-Prostatakarzinom auf (ISUP 4 und 5).4
HOXB13-Gen
Mutationen im HOXB13-Gen (auch bekannt als PRAC2-Gen) sind ebenfalls mit einem erhöhten Risiko vergesellschaftet, an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Bei Mutationsträgern besteht ein Risiko von bis zu 35%, im Laufe des Lebens ein Prostatakarzinom zu entwickeln (Penetranz).8
Tumorsuppressorgene
Keimbahnmutationen im TP53-Gen, auch bekannt unter dem Li-Fraumeni-Syndrom, sind mit einer hohen Penetranz (ca. 80%) sowie einem jungen Alter bei Erstmanifestation verschiedener Tumorentitäten vergesellschaftet. Im fortgeschrittenen Alter treten bei den Betroffenen auch Zweit- und Drittmalignome auf, hierzu zählt auch das Prostatakarzinom.9
Klinische Implementation
In jüngster Zeit konnten Studien den Einsatz einer maßgeschneiderten Therapie im Rahmen von oben erwähnten Mutationen beweisen. Die meisten Studien befassten sich mit somatischen Mutationen der oben genannten potenziell vererblichen Genalterationen. Jedoch fehlen bisher ausreichende Daten zur Relevanz der Keimzellmutationen in klinischer Anwendung.
PARP-Inhibitoren schaffen es, durch künstlich hervorgerufene Doppelstrangbrüche der DNA-Zellen mit homologen Rekombinationsmutationen in die Apoptose zu führen, da die Vielzahl an notwendiger Doppelstrangreparatur nicht mehr mit einer lebensfähigen (Tumor-)Zelle vereinbar ist. In der Phase-III-Studie PROfound wurden Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom (CRPC) auf Genmutationen der homologen Rekombinationsreparatur getestet.
Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass ca. 20–25% aller CRPC-Patienten eine solche (somatische) Mutation aufweisen. PROfound-Teilnehmer wurden nach Test auf 15 verschiedene Genalterationen der homologen Rekombination getestet und in 2 Kohorten eingeteilt. Patienten mit Genalterationen von BRCA1, BRCA2 oder ATM bildeten Kohorte A. Kohorte B bestand aus Patienten mit zumindest einer der 12 anderen Genalterationen. In beiden Kohorten wurde der PARP-Inhibitor Olaparib mit einer antiandrogenen Therapie (Enzalutamid oder Abirateron) verglichen. Der primäre Endpunkt radiologisch progressionsfreies Überleben (rPFS) konnte erreicht werden und zeigte einen Vorteil für die Behandlung mit Olaparib (rPFS 7,4 vs. 3,6 Monate, HR:0,34; 95% CI: 0,25–0,47; p<0,01), des Weiteren zeigte sich eine Ansprechrate von 33% unter Olaparib in Kohorte A. Ebenso konnte ein signifikanter Überlebensvorteil unter Olaparib in Kohorte A festgestellt werden (HR: 0,64: 95% CI: 0,43–0,97; p=0,02). In Kohorte B zeigte sich kein Unterschied in primären und sekundären Endpunkten hinsichtlich der erhaltenen Therapie.
Aktuell werden bei CRPC-Patienten mit Mutationen der DNA-Reparatur PARP-Inhibitoren wie Rucaparib, Niraparib, Talazoparib in Phase-II- und Phase-III-Studien sowie Kombinationstherapien aus PARP-Inhibitoren und antiandrogener Therapie wie Abirateron und Apalutamid getestet.
Nach der FDA-Zulassung des Immuncheckpoint-Inhibitors Pembrolizumab zur Behandlung von soliden Tumoren mit ausgeprägter Mikrosatelliteninstabilität oder einem Mangel an DNA-Mismatch-Reparaturproteinen erfolgte eine prospektive Analyse bei CRPC-Patienten anhand ihrer somatischen und Keimbahn-Mutationen. Von den 1033 getesteten Patienten wiesen lediglich 3,1% die genetischen Veränderungen auf, und von diesen hatte gut jeder fünfte Patient eine Keimbahnmutation. Obwohl am Ende lediglich 11 Patienten Pembrolizumab erhielten, zeigte sich ein Ansprechen (PSA-Ansprechen oder radiologisches Ansprechen) bei mehr als der Hälfte der Patienten.10
Da Tumoren mit Mismatch-Repair-Mutationen besserauf die PD-1-Inhibitoren ansprechen, laufen derzeit mehrere klinische Studien zu Pembrolizumab beim Prostatakarzinom.11 Hierbei wird Pembrolizumab als Monotherapie oder in Kombination mit Olaparib, Enzalutamid oder Abirateron beim metastasierten CRPC untersucht. Die Raten des Ansprechens auf platinbasierte Chemotherapie werden ebenfalls bei metastasierten CRPC-Patienten mit Mutationen der homologen Rekombination evaluiert. Die dabei verabreichten systemischen Therapien umfassen Carboplatin oder eine Kombination aus Docetaxel und Carboplatin.
Zusammenfassung
Das hereditäre Prostatakarzinom wird anhand desVorliegensvon (Keimbahn-)Mutationen intensiv erforscht. Die vorhandenen Ergebnisse, vorwiegend gewonnen anhand von somatischen Mutationen, lassen bereits jetzt neue Wege der personalisierten Medizin zu, vor allem im Bereich des fortgeschrittenen metastasierten Prostatakarzinoms. Aktuell beschäftigt sich eine Vielzahl an klinischen Studien mit weiteren neuen Therapieoptionen in diesem Feld. ◼
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