DGPPN 2020

Milde-Enzephalitis-Hypothese – Autoimmunenzephalitis – Autoimmunpsychose: Wie geht es weiter?

Die vom Autor um 2000 entwickelte Milde-Enzephalitis(ME)- Hypothese erweist sich als zutreffend: infektiös oder autoimmun bedingte, gering ausgeprägte Neuroinflammation, mit verfügbaren diagnostischen Methoden (damals) nicht erfasst, als Ursache einer Subgruppe schwerer psychiatrischer Erkrankungen. Die seit 2007/08 in der Neurologie als paraneoplastisches Syndrom erkannte Autoimmunenzephalitis (AE) wird inzwischen auch mit psychiatrischer Symptomatik diagnostiziert. Aktuell wurden internationale Konsensuskriterien zu Diagnose und Therapie der Autoimmunpsychose (AP) erstellt. AP und vorwiegend psychiatrische AE entsprechen der ME-Hypothese. Es bleibt Forschungsaufgabe, milde Neuroinflammation weiter zu differenzieren.

Basierend auf eigenen klinischen Studien zur möglichen Bedeutung von Bornavirusinfektionen in der Verursachung psychiatrischer Erkrankungen und auf Grundlage vorliegender Informationen zu natürlichen Bornavirusinfektionen (Vorkommen vor allem bei Pferd und Schaf) und experimentellen Daten wurde um 2000 die Milde-Enzephalitis(ME)-Hypothese entwickelt: mit bisher verfügbaren Methoden der klinischen Diagnostik sei leichtgradige Neuroinflammation nicht ausreichend sensitiv zu diagnostizieren, obwohl in einer Subgruppe schwerer psychiatrischer Erkrankungen vorliegend und Ursache der psychiatrischen Erkrankung. Die ME-Hypothese war eingebettet in eine Vielzahl genereller Befunde (epidemiologisch, genetisch, pathophysiologisch) zum Spektrum schwerer psychischer Erkrankungen, ausgeführt insbesondere am Beispiel der Schizophrenie, einer besonders gut erforschten psychiatrischen Erkrankung.1 Bereits um 2000 wurden erste verhältnismässig aggressive Therapieversuche der Immunmodulation mit Liquorfiltration (eine immunmodulatorische Therapieform, damals in der Neurologie in Gebrauch bei therapieresistentem Guillain-Barré-Syndrom) bei therapieresistenten schizophrenen und affektiven Psychosen durchgeführt, welche in etwa zwei Dritteln der (insgesamt wenigen) so behandelten Fälle zu raschen Besserungen und Remissionen führten. Vielen Kollegen erschien die ME-Hypothese dennoch eher eine kuriose Einzelmeinung denn relevanter neuer diagnostischer und therapeutischer Ansatz in der Ursachenforschung zu schweren psychiatrischen Erkrankungen; dies hat sich durch Ergebnisse vielfältiger klinischer und grosser epidemiologischer Studien inzwischen gründlich geändert,2–6 und nicht zuletzt durch die Erkenntnisse zur AE in der Neurologie.

Autoimmunenzephalitis (AE) und Autoimmunpsychose (AP)

Mit der Entdeckung von Anti-NMDAR-Autoantikörpern bei paraneoplastischer Enzephalitis durch Dalmau et al.7 wurde nicht nur die Ätiologie dieses schon lange bekannten Subtyps von Enzephalitis verstanden, sondern ein Tor aufgestossen zu immer neuen mit ZNS-Autoantikörpern assoziierten neurologischen Erkrankungen,8–13 einschliesslich Epilepsie, Demenz und zerebellärer Ataxie, aber auch mit verschiedenen nicht selten im Verlauf variierenden psychiatrischen Syndromen (siehe ME-Hypothese) und schliesslich zur Neuentdeckung vieler weiterer ZNS-assoziierter Autoantikörper.14 Die aktuelle Konsensus-Diagnose der AE erfordert den Nachweis von ZNS-spezifischen Autoantikörpern, kann aber auch gestellt werden, ohne dass im Neuroimaging direkt Neuroinflammation nachweisbar ist, und auch wenn „klassische“ Befunde einer Enzephalitis im Liquor fehlen.15 Solche, inzwischen als AE erkannten Fälle beginnen typischerweise mit psychiatrischen Symptomen, welche bei einer Subgruppe sogar im Vordergrund bleiben. Frühzeitig diagnostiziert wird AE sehr erfolgreich mit verschiedenen Methoden der Immunmodulation behandelt. Auslöser einer AE können verschiedene Tumoren, insbesondere Lungen- und Ovarialtumoren, sein, d.h. AE als paraneoplastisches Syndrom, in einer Subgruppe gehen Virusinfektionen, z.B. Herpesenzephalitis, voraus; in der Mehrzahl der jetzt diagnostizierten AE-Fälle bleiben die Auslöser allerdings unbekannt.16

Mit der Schwierigkeit, eine AE bei vorwiegend oder rein psychiatrischer Symptomatik zu erkennen,17 ergab sich die Notwendigkeit, die Subgruppe der Autoimmunpsychosen (AP) separat zu definieren:18,19 Eine gesicherte AP steht der AE zwar sehr nahe, verläuft aber ohne neurologische Symptome. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob auch ohne Erfüllung der diagnostischen Kriterien einer gesicherten AP in anderen Fällen eine wahrscheinliche oder mögliche AP vorliegen kann. Entsprechend wurden für „wahrscheinliche AP“ (wAP) und für „mögliche AP“ (mAP) vorläufige Diagnosekriterien konsentiert, wobei die Diagnose mAP spezialisierten Forschungszentren vorbehalten bleiben soll. In Einzelfällen wurde mAP mit komplexer Methodik, z.B. neu eingeführten Antikörpertests, plausibel diagnostiziert bei therapieresistenten Psychosen und schweren Depressionen, welche mit Immunmodulation erfolgreich zu behandeln waren.20–25 Ein Fall vorwiegend psychiatrischer, nämlich schizophrener Symptomatik bei AE, welche zunächst nicht erkannt wurde, hat internationale Berühmtheit erlangt: Die junge Journalistin schrieb ein Jahr nach erfolgreicher Behandlung durch Dr. Souhel Najjar, New York, über ihre Erlebnisse in der Psychose und deren sensationelle Besserung im Verlauf einen Bestseller (S. Cahalan, «Brain on Fire» bzw. «Feuer im Kopf»).

Wichtiger Punkt: AE und AP können nicht aus dem (blossen) Vorliegen von ZNS-Autoantikörpern im Blut diagnostiziert werden, weil solche Antikörper auch bei Gesunden nicht selten vorkommen, ein noch unzureichend verstandener Aspekt.

Wie geht es weiter?

Da bekanntlich die Zukunft schwer vorherzusagen ist, kann hier nur eine Einschätzung der weiteren Entwicklung aus persönlicher Sicht erfolgen. Wie an anderer Stelle ausgeführt, halte ich eine erhebliche Subgruppe schwerer psychiatrischer Erkrankungen vor allem aus dem schizophrenen und affektiven Spektrum für ursächlich verbunden mit milder Neuroinflammation, eine Einschätzung, welche nicht zuletzt auf Liquor-Studien beruht,1,26 aber auch mit epidemiologischen Fakten übereinstimmen würde. Aus der allgemeinen Entzündungsforschung halte ich die von Medzhitov neu definierte Kategorie der Parainflammation (PI)27 für außerordentlich relevant, auch für die psychiatrische Grundlagenforschung. Der Begriff wurde in der psychoimmunologischen Forschung aufgegriffen, aber auf stressinduzierte PI reduziert.28 Nach meiner Ansicht sollte PI auch für das ZNS allgemein definiert bleiben mit allerdings noch zu etablierenden klinisch-diagnostischen Kriterien, d.h. ausgelöst durch ein Spektrum von Ursachen, einschließlich infektiöser oder autoimmuner Ursachen. Stress könnte wie bei anderen psychosomatischen Modellen zwar eine wichtige Rolle spielen, muss aber keine conditio sine qua non darstellen; hierzu siehe die Erfahrungen mit Stresstheorien zum Ulcus duodeni und ventriculi, welche nach Entdeckung von Helicobacter pylori deutlich an Bedeutung verloren haben.

Eine andere, an sich lange bekannte, aber inzwischen pathophysiologisch besser verstandene Problematik schwerer psychiatrischer Erkrankungen ist das Vorkommen von leichtgradiger Hirnatrophie sowohl bei schizophrenen wie bei affektiven Spektrumerkrankungen. Diese wurde kürzlich definiert als Neuroprogression (NP) im Sinne eines psychoimmunologisch verstehbaren Prozesses im Verlauf einer Subgruppe dieser Erkrankungen.29 Auch wenn die klinische Definition und damit die kategoriale klinische Diagnostik von NP noch problematisch erscheint, hat das Konzept sicherlich Potenzial für die weitere Grundlagenforschung in der Psychiatrie.30

Nach meiner Einschätzung ist eine verbesserte klinische Kategorisierung milder Neuroinflammation nach ätiologischen und pathophysiologischen Gesichtspunkten für die weitere psychiatrische Forschung zu den Themen ME, AP, NP und PI erforderlich:31 mindestens 4 verschiedene ätiologische Szenarien, nämlich autoimmune versus infektiöse versus gemischte (Autoimmunität bei persistierenden Infektionen) versus multikonditionale (einschliesslich Stress als relevanter Faktor) sind demnach zu differenzieren. Beachtenswert bleibt in diesem Zusammenhang auch, dass selbst gut etablierte klinische Kategorien wie Enzephalopathie und Enzephalitis bei genauerer Betrachtung erhebliche definitorische Schwächen beziehungsweise Lücken aufweisen, obwohl sich diese in der Klinik als sehr brauchbar und wichtig erweisen.32

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Element not implemented: <keypoints>Element not implemented: <article-left-content-boxes>Element not implemented: <quotes>Element not implemented: <author>K. Bechter, Ulm/Günzburg

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◾2003◆

Tab. 2: Neu beschriebene, (meist) nicht den klassischen diagnostischen Kriterien von (Meningo-) Enzephalitis entsprechende neurologische und psychiatrische Syndrome verbunden mit milder Neuroinflammation bzw. Immunpathologie [31,32]

Tab. 1: Ausgewählte, besonders relevante Hinweise (Symptomatik, Befunde) auf das mögliche Vorliegen einer AE oder AP zur Veranlassung entsprechend gezielter Diagnostik (ausführliche „red + yellow flags“ und Diagnosekriterien siehe zitierte Literatur, besonders [17, 19, 23])

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