Benefit für das Neugeborene

Impfungen in der Schwangerschaft

In der Schwangerschaft ist der Schutz des ungeborenen Kindes und der Schwangeren besonders wichtig. Durch eine gute und konsequente Impfstrategie können Krankheitskomplikationen vermieden werden. Es ist daher von essenzieller Bedeutung, dass Schwangere gut über die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Impfungen vor, während und nach der Schwangerschaft aufgeklärt werden.

Durch die physiologische Anpassung des kardiopulmonalen Systems sowie die Veränderung des Immunsystems in der Schwangerschaft haben Schwangere eine signifikant erhöhte infektionsbedingte Morbidität und Mortalität. Einige Erreger haben zudem die Fähigkeit, über die Plazentaschranke den Fetus zu schädigen. Der Fetus kann direkt durch Embryo- bzw. Fetopathien, indirekt durch Aborte, Wachstumsretardierung oder Frühgeburten oder spät durch gesundheitliche Einschränkungen infolge einer intrapartalen Infektion beeinträchtigt werden.1 Beispiele hierfür sind das fetale Varizellensyndrom oder die Röteln-Embryopathie (Gregg-Syndrom).

Ein kompletter Impfschutz

  1. verhindert die Krankheitskomplikationen der Schwangeren,

  2. baut beim Neugeborenen durch maternale Leihantikörper über die Plazenta einen Nestschutz auf (passive Immunisierung),

schützt das Ungeborene vor direkten und indirekten Schädigungen sowie Langzeitfolgen.

Die Nebenwirkungen nach einer Impfung sind sehr gering. Es kann zu grippeähnlichen Beschwerden (wie z.B. Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber), lokalen Reaktionen (wie Rötung, Schwellung und Schmerzen an der Einstichstelle) und sehr selten zu Allergien kommen. Nach der Impfung mit Covid-19-mRNA wurden selten eine milde Myokarditis und Perikarditis beschrieben.

Welche Impfungen stehen uns zur Verfügung?

Es stehen uns aktive Impfungen mit Tot- und Lebendimpfstoffen sowie die passive Impfung mit Immunglobulinen zur Verfügung.1–3

Totimpfstoffe dürfen jederzeit bei Notwendigkeit vor, in und unmittelbar nach der Schwangerschaft appliziert werden.

Lebendimpfstoffe sind in der Schwangerschaft kontraindiziert, obwohl bisher kein erhöhtes Risiko für eine kongenitale Fehlbildung dokumentiert wurde. Die Lebendimpfstoffe dürfen sowohl vor der Schwangerschaft mit mindestens vier Wochen Abstand bis zum Schwangerschaftseintritt als auch nach der Schwangerschaft ab Wochenbett verabreicht werden. Eine versehentliche Lebendimpfung ist keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.

Die passive Impfung kann jederzeit appliziert werden.

Empfehlungen zu Impfungen vor der Schwangerschaft

Alle gebärfähigen Frauen sollten über einen vollständigen Impfschutz gegen folgende Krankheiten verfügen:

  1. Masern/Mumps/Röteln (2x)

  2. Varizellen (2x)

  3. Tetanus/Diphtherie/Pertussis/Poliomyelitis (3x)

  4. Hepatitis B (3x, bei Anti-HBs-Ag>100 lebenslanger Schutz)

  5. HPV (bis 14 Jahre=2 Dosen, ab 15 Jahre=3 Dosen)

  6. FSME in Risikogebieten (3x)

Empfehlungen zu Impfungenin der Schwangerschaft

Gemäss den aktuellen Leitlinien des BAG-, EKIF- und SGGG-Expertenbriefes sind folgende Impfungen in der Schwangerschaft empfohlen:3,4

Influenza

Jede Schwangere soll möglichst vor Ausbruch der Grippeepidemie (meist ab Mitte Oktober) bis Ende der Grippeepidemie unabhängig von der Schwangerschaftsdauer geimpft werden. Um Diskussionen bzgl. natürlicher Aborte im 1. Trimenon zu vermeiden, wird in einigen Ländern die Impfung erst ab dem 2. Trimenon empfohlen, jedoch gibt es hierzu keine signifikanten Studienbelege.

Pertussis

Jede Schwangere soll unabhängig von einer vorhergehenden Pertussisimpfung in jeder Schwangerschaft erneut zwischen SSW 13 und 26 bis mindestens zwei Wochen vor der Geburt geimpft werden. Die Wirksamkeit der Pertussisimpfung in der Schwangerschaft ist ausgezeichnet und bietet mehr als 90% Schutz vor einer Pertussisinfektion beim Neugeborenen. Eine Impfung der Mutter im Wochenbett kann den Säugling nicht in der vulnerablen Phase direkt nach der Geburt schützen, ist jedoch besser als keine Impfung.

Wichtig: Es entstehen nicht genügend Antikörper für belastbaren Nestschutz nach einer Erkrankung oder Impfung vor einer Schwangerschaft. Die Impfung besteht immer aus der Kombination Pertussis-Diphtherie-Tetanus. Falls erforderlich, kann auch die Kombination mit Poliomyelitis angewandt werden.

Covid-19

Das BAG empfiehlt nur besonders gefährdeten Personen >16.LJ im Herbst/Winter eine Covid-19 Impfung.

Schwangeren Frauen wird im Herbst/Winter möglichst ab dem 2. Trimenon, ab 6 Monaten nach der letzten Impfung oder bekannter Infektion, eine Impfung gegen Covid-19 mit einem mRNA-Impfstoff dann empfohlen, wenn es der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin im Individualfall als medizinisch indiziert erachtet (Stand 2024).

Schwangere mit Grunderkrankungen, wie z.B. Herz- und Lungenerkrankungen oder Immunsuppression, gehören zu den besonders gefährdeten Personen. Die ausführliche Definition der besonders gefährdeten Personen kann der BAG-Homepage entnommen werden.3 Ihnen wird eine Covid-19-Impfung empfohlen, da sie aufgrund ihrer Vorerkrankung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Nach einer Impfung kann dieses Risiko für mehrere Monate reduziert sein. Allgemein ist bei den aktuellen Virusvarianten das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen oder Frühgeburt infolge einer Infektion geringer als bei vorangegangenen Varianten. Schwangere ohne Risikofaktoren haben ein kleineres Risiko, schwer zu erkranken. Trotzdem können auch sie von der Impfung profitieren. Der Nutzen der Impfung ist aber geringer als bei den besonders gefährdeten Personen.

Es können alle erwähnten Impfungen inklusive einer Anti-D-Prophylaxe zeitgleich erfolgen. Ein Abstand der i.m. Injektionsstellen von 2,5cm ist zu empfehlen.

In speziellen Situationen, wie z.B. bei unvermeidbaren Reisen in bestimmte Gebiete, muss bezüglich einer Impfung in der Schwangerschaft individuell beraten werden.

Neben der Impfung der Schwangeren ist für den optimalen Schutz des Neugeboren auch die vollständige Impfung weiterer enger Kontaktpersonen wie des Vaters, der Geschwister oder der Grosseltern (sogenanntes Cocooning) bis vier Wochen vor Geburt zu empfehlen. Wichtig ist vor allem der Schutz gegen Masern, Röteln, Varizellen und Pertussis. Die Pertussisimpfung sollte nicht länger als 10 Jahre zurückliegen.

Empfehlungen zu Impfungen im Wochenbett

Es dürfen alle fehlenden Impfungen mit Lebend- und Totimpfstoffen, auch zur gleichen Zeit, nachgeholt werden. Ausnahme ist die Gelbfieberimpfung. Da vereinzelte Fälle beschrieben worden sind, bei denen gestillte Säuglinge nach Impfung der Mutter gegen Gelbfieber an einer Enzephalitis oder Meningitis erkrankt sind, wird davon abgeraten.

Zukunftsvisionen

Angesichts des sehr guten Schutzes durch eine Impfung in der Schwangerschaft für die Schwangere und den Fetus bzw. das Neugeborene sind weitere neue Impfstoffe Gegenstand aktueller Studien. Es liegen zum Beispiel bereits vielversprechende Phase-I- bis -III-Impfstudien gegen Streptokokken Gruppe B, CMV, Herpes-simplex-Virus, Hepatitis E, Zika-Virus und Ebola-Viren vor.

Aktuell ist seit Sommer 2023 in der EU die Zulassung des RSV-Impfstoffes Abrysvoin der Schwangerschaft und für Senioren.5,6

Respiratorisches-Synzytial-Virus(RSV)-Impfung

RSV ist die häufigste Ursache für Krankenhausaufenthalte bei Kindern in Europa. Das Virus kann milde bis schwere Atemwegsinfektionen der unteren Atemwege, Pneumonien und schwere Dyspnoe, die letal sein kann, verursachen. Besonders gefährdet sind v.a. Säuglinge <1 Jahr wie auch Erwachsene >60 Jahre. Es gibt keine spezifische Behandlung für RSV, sondern nur unterstützende Massnahmen wie Flüssigkeits- oder Sauerstoffsubstitution. Bisher gab es keine aktive Impfung, lediglich eine zurückhaltende monatliche passive Impfung in der RSV-Saison mit Palivizumab (monoklonaler IgG1k-Antikörper) von ehemals Frühgeborenen mit Hochrisikofaktoren (wie z.B. bronchopulmonale Dysplasie oder hämodynamisch relevante Herzerkrankung). Seit Herbst 2023 ist in der EU ein neuer monoklonaler Antikörper (Nirsevimab) mit nur einmaliger Impfung für alle Säuglinge und Kinder in ihrer ersten RSV-Saison zur Prävention in der RSV-Saison zugelassen.

Aufgrund der multizentrischen, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Zulassungs-Studie MATISSE erteilte die EU-Kommission im August 2023 dem RSV-Impfstoff Abrysvo die Zulassung für die Impfung von Schwangeren (in der 24.–36. SSW) zum passiven Schutz von Neugeborenen durch mütterliche Antikörper.7 Abrysvo ist ein bivalenter Impfstoff, der rekombinant hergestellte Fusionsglykoproteine aus der Virushülle der RSV-Stämme A und B enthält. In der MATISSE-Studie wurde Abrysvo einmalig 3695 Schwangeren mit unkomplizierten Einlingsschwangerschaften in der 24. bis 36. Schwangerschaftswoche verabreicht, während 3697 Vergleichsschwangere ein Placebo erhielten. Die Auswertung ergab, dass der Impfstoff bei Säuglingen innerhalb von 180 Tagen nach der Geburt sowohl generell die Zahl der von RSV ausgelösten Erkrankungen der unteren Atemwege als auch die Zahl der schweren Erkrankungen der unteren Atemwege wirksam reduzierte. Schwere RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege binnen 90 Tagen post natum traten bei 6 Kindern der Impfstoffgruppe und 33 Kindern der Placebogruppe auf (Impfstoffwirksamkeit 81,8%; 99,5%- KI: 40,6–96,3); 19 Fälle bzw. 62 Fälle traten innerhalb von 180 Tagen post natum auf (69,4%; 97,58%-KI44,3–84,1) (Abb. 1).

Die Nebenwirkungen waren sehr gering. Da die verfügbaren Daten jedoch aktuell keine abschliessende Bewertung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Frühgeburtlichkeit und der RSV-Impfung erlauben und in der Post-hoc-Analyse zur Impfstoffwirksamkeit nach Gestationsalter eine höhere Wirksamkeit bei Impfung von SSW 30 bis 36 zeigten, empfehlen die perinatologischen Fachgesellschaften die RSV-Impfung mit Abrysvo in der regionalen RSV-Saison für Schwangere ab der 32.SSW nach informierter partizipativer Entscheidungsfindung.8–10 Die Applikation zeitgleich mit der Influenza-Impfung sowie ein zweiwöchiger Impfabstand zur TdPa-Impfung (Pertussis) sind zu empfehlen.

Aufgrund dieser Studienlage ist es wahrscheinlich, dass ein oder mehrere RSV-Impfstoffe in nächster Zeit auch in der Schweiz zugelassen werden und es ggf. weitere interessante Änderungen geben wird. ◼

◾12

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Entgeltliche Einschaltung

Mit freundlicher Unterstützung durch XXXXXXX

Fachkurzinformation siehe Seite XXXX | FREIGABENUMMERXXXX

Element not implemented: <article-left-content-boxes>Element not implemented: <quotes>Element not implemented: <author>E. Seifert, Münsterlingen

© Spital Thurgau AG

Tab. 1: Empfehlungen zur Impfung gegen Influenza, Pertussis und Covid

Element not implemented: <keypoints>100,03,02,52,01,51,00,50,0

Kumulative Inzidenz (%)

A

Medizinisch betreute schwere RSV-assoziierte Erkrankung des unteren Atemtrakts

RSVpreF-Impfung Placebo

0 30 60 90 120 150 180

Tage nach der Geburt

3480 3292 2973 2899 2833 2776 2749

3495 3349 3042 2981 2916 2867 2820

Anzahl der gefährdeten Personen:

Placebo

RSVpreF-Impfung

Medizinisch betreute RSV-assoziierte Erkrankung des unteren Atemtrakts

B

100,05,04,03,02,01,00,0

Kumulative Inzidenz (%)

Placebo RSVpreF-Impfung

0 30 60 90 120 150 180

Tage nach der Geburt

3480 3288 2964 2879 2804 2738 2700

3495 3348 3035 2968 2898 2845 2792

Anzahl der gefährdeten Personen:

Placebo

RSVpreF-Impfung

Abb. 1: Auswertung der MATISSE-Studie. Nach Kampmann et al.8

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