Pathophysiologie, Prävention und Therapie von Steinerkrankungen

Mikrobiom und Nephrolithiasis

In den letzten 20 Jahren sind die Inzidenz und Prävalenz von Steinerkrankungen bei Erwachsenen und Kindern weltweit enorm angestiegen. Studien haben gezeigt, dass sowohl die urogenitale wie auch die intestinale Besiedelung mit Bakterien eine essenzielle Rolle für die Steinentstehung spielt. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für Prävention und Therapie.

Das Mikrobiom der Blase

Die Sequenzanalyse der 16S-rRNA hat in den letzten 15 Jahren völlig neue Einblicke in die bakterielle Besiedelung unseres Körpers ermöglicht. Der genetische Code der Ribosomen (16S-rRNA) ist evolutionär hoch konserviert, wobei sich der von Bakterien signifikant von dem des Menschen unterscheidet, das erlaubt eine Identifizierung von Bakterien auf Speziesebene. Mithilfe der 16S-rRNA-Sequenzierung wurde bewiesen, dass auch die Blase bakteriell besiedelt ist und das urologische Mikrobiom bei gesunden Erwachsenen aus über 200 Gattungen besteht.1,2 Während es bei Erwachsenen Unterschiede betreffend Geschlecht, Alter und Demografie gibt, weisen Kinder unter 4 Jahren ein sehr uniformes urogenitales Mikrobiom auf, das vor allem durch Prevotella, Peptoniphilus, Escherichia, Veillonella und Finegoldia charakterisiert ist.3,4 Erst mit der routinierten Benützung der Toilette bzw. später in der Pubertät entwickelt sich eine geschlechtsspezifische Differenzierung des Mikrobioms, die sich wie folgt charakterisiert:

  1. Frauen: Actinomyces, Lactobacillaceae (Lactobacillus crispatus, L. gasseri, L. jensenii)2,5

Männer: Veillonella, Streptococcus, Corynebacterium6

Bakterien sind essenziell für die Homöostase der Blase. Störungen im physiologischen Mikrobiom (Dysbiose) konnten in zahlreichen Studien mit Harnwegsinfekten, Dranginkontinenz, überaktiver Blase, Zystitis und sogar Blasentumoren in Zusammenhang gebracht werden.2,5,6

Dysbiose und Nephrolithiasis

Bakterien besiedeln nicht nur die Blase, sondern auch das Nierenbecken und nehmen damit auch Einfluss auf die Entstehung von Nierensteinen. Generell sind E.coli und andere Enterobacteriaceae die häufigsten Pathogene bei Harnwegsinfekten als auch bei Nierensteinen von Kindern und Erwachsenen. Diese Bakterien fördern durch ihre Stoffwechselprodukte eine vermehrte Kristallbildung, genauer eine vermehrte Entstehung von CaOx-Aggregaten.7 Aber nicht nur klassische Infektsteine (Struvit) sind besiedelt, vielmehr weisen alle Steintypen ein mehr oder weniger ausgeprägtes Mikrobiom auf.8–10 Allerdings konnte bis jetzt kein spezifisches Bakterium als alleiniger Steinverursacher identifiziert werden. Auch eine charakteristische Besiedelung der unterschiedlichen Steintypen konnte noch nicht gezeigt werden.9,10 Vielmehr scheint es, als würde eine systemische Dysbiose die Steinentstehung begünstigen (Tab.1).

Global wird ein massiver Anstieg der Prävalenz für Nephrolithiasis bei Erwachsenen beobachtet. Außerdem weisen Kinder um bis zu 70% mehr Steinerkrankungen auf als vor 30 Jahren. Weiters sind Inzidenz und Rekurrenz bei Kindern und Jugendlichen disproportional hoch.11–14 Ursachen dafür könnten unsere aktuellen Ernährungsgewohnheiten und die übermäßige und ungerichtete Verwendung von Antibiotika sein:

Hochprozessierte, ballaststoffarme Nahrung ist meist reich an raffiniertem Zucker und verändert das Darmmikrobiom und dadurch auch das Darmmetabolom. Diese bakteriellen Stoffwechselprodukte haben eine schützende Wirkung auf die Darmschleimhaut und sind somit für die Integrität des Darms mitverantwortlich. Dadurch wird die Ansiedelung von Pathogenen begünstigt, die durch die Veränderung der Schleimhaut in den Körper eintreten können, was zu Infektionen führen kann und die Gabe von Antibiotika nötig macht. Die Störungen des Darmmikrobioms verändern die Reaktivität des Immunsystems und begünstige weitere Infekte wie z.B. die des Harntrakts und der Atemwege, was wiederum eine Antibiose notwendig macht. Problematisch dabei ist der häufige Einsatz von Breitband-Antibiotika, die nicht nur Pathogene abtöten, sondern auch Kommensalen zerstören. Weiters führt eine schlechte Zuverlässigkeit bei der Antibiotikaeinnahme zu Resistenzen, was wiederum die Behandlung erschwert und zu einer Beeinträchtigung der Kommensalen führt, die in den unterschiedlichen Körpernischen mit Pathogenen um Ressourcen konkurrieren. So entsteht ein Ungleichgewicht der bakteriellen Besiedelung, das sich oft systemisch auswirkt und mit weiteren Infekten einhergeht und meist nur schwer zu restaurieren ist. Darüber hinaus kann eine Dysbiose im Darm die Verdauung und Absorption von Nährstoffen beeinträchtigen und zu erhöhten Konzentrationen von Oxalat und Kalzium im Urin führen, was wiederum das Risiko für eine Nierensteinbildung erhöht.15–17

Kinder mit Nierensteinen haben ein gestörtes Darmmikrobiom

Beweis für den Einfluss der Darm-Nieren-Achse auf die Steinentstehung bietet eine rezente Studie mit 44 Kindern, die mit „Early-onset“-Kalzium-Oxalat-Steinen diagnostiziert wurden (Alter: ∅15 Jahre, 59% Rekurrenz, 52% Mädchen), und 44 angepassten Kontrollen. Es wurde gezeigt, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Steinbildung und Darmmikrobiom gibt: Steinbildner hatten ein signifikant verarmtes Mikrobiom im Darm und weniger Bakterien, die kurzkettiges Butyrat produzieren (z.B. Roseburia). Butyrat ist wichtig für die Aufrecherhaltung der Mukosabarriere und den Abtransprot von Oxalat. Zusätzlich enthielt das Mikrobiom weniger Bakterien, die Oxalat degradieren (z.B. Bifidobacterium animalis, diverse Lactobacillus) und einen Überhang an Clostridia und Bacteroidetes (Bacteroides vulgatus), die Entzündungen verursachen können. Weiters bestand eine Korrelation zwischen geringster bakterieller Diversität und dem Zeitpunkt der Steindiagnose. Außerdem lag eine Störung des Metaboloms vor, die durch mehr Aminosäuremetaboliten und weniger Lipide charakterisiert war.

Die große Gemeinsamkeit bei Kindern mit Nephrolithiasis war die vermehrte Einnahme von Antibiotika. Sie war sowohl in den letzten 3–12 Monaten (p-Wert: 0,001) als auch in den ersten drei Lebensjahren (p-Wert: 0,03) im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erhöht.16

Antibiotika fördern die Nierensteinbildung

Um den Einfluss unterschiedlicher Antibiotika auf die Nierensteinentstehung näher zu untersuchen, hat eine englische Forschungsgruppe die Daten von 25981 Steinpatienten und 259797 angepassten Kontrollen (Alter: Ø51 Jahre, 35% Frauen) untersucht. Die Einnahme erfolgte 3–12 Monate vor der Steindiagnose, wobei 5 von 12 Antibiotika signifikant mit Steinbildung assoziiert waren:

  1. Sulfonamide, Odds-Ratio (OR)=2,33

  2. Cephalosporine, OR=1,88

  3. Fluorchinolone, OR=1,67

  4. Nitrofurantoin/Methenamin, OR=1,70

Breitspektrum-Penicilline, OR=1,2715

Charakteristisches Steinmikrobiom bei metabolisch entgleisten Patienten

In einer unserer eigenen Studien konnten wir bestätigen, dass Patienten mit Nephrolithiasis eine Dysbiose im Harn aufweisen und mit signifikant weniger Lactobacillaceae, Prevotella, Corynebaktericeae und Bifidobacteriaceae als Probanden ohne Nierensteine besiedelt sind.

Patienten, bei denen Bakterien auch im Steinmaterial nachweisbar waren, litten häufiger an postoperativen Komplikationen wie Fieber (16,6%), Blutungen (16,6%) und Schmerzen (12,5%), wodurch der stationäre Aufenthalt signifikant verlängert wurde (p-Wert:0,0214).

Weiters wiesen Steinpatienten mit Merkmalen des metabolischen Syndroms (BMI>30, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Dyslipidämie) ein anderes Mikrobiom als metabolisch intakte Patienten auf (Abb.1). Steine von metabolisch entgleisten Patienten waren durch klassische Fäkalkeime wie E.coli, Shigella, Klebsiella und diverse Enterococcaceae charakterisiert, während die Steine metabolisch normaler Patienten vorwiegend mit unterschiedlichen Staphylococcaceae und Ureaplasma besiedelt waren.10

Fazit und Perspektiven

Das Mikrobiom spielt eine bedeutende Rolle in der Entwicklung von Nierensteinen bei Kindern und Erwachsenen. Eine Störung der mikrobiellen Vielfalt im Darm kann zu einer erhöhten Konzentration von Substanzen führen, die zu Nierensteinbildung beitragen. Die Förderung einer ballaststoffreichen Ernährung, Verzicht auf prozessierte Lebensmittel, genug Flüssigkeitszufuhr sowie der Einsatz von Probiotika könnten vielversprechende Ansätze zur Stärkung des Darmmikrobioms und zur Prävention und Behandlung von Nierensteinen sein. Weiters könnte der gezieltere Einsatz von Antibiotika eine Dysbiose und somit die Steinbildung vermeiden. Obwohl internationale Studien einen hochinteressanten Einblick in das urogenitale Mikrobiom und die komplexe Rolle des Darms für die bakterielle systemische Homöostase gebracht haben, sind weitere standardisierte Forschungsprojekte und klinische Studien notwendig, um Kommensalen/Probiotika zu identifizieren, den systemischen Einfluss von Bakterien für die Steinbildung und für die Relevanz von Bakterien außerhalb von pathologischer Symptomatik besser zu verstehen, die gezielte Beeinflussung des Mikrobioms durch Probiotika oder Präbiotika zu erforschen und neue Möglichkeiten für Präventions- und Behandlungsansätze zu etablieren.◼

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Element not implemented: <keypoints>Element not implemented: <article-left-content-boxes>Element not implemented: <quotes>Element not implemented: <author>U. Lemberger, Wien

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Abb. 1:Steinpatienten mit Merkmalen des metabolischen Syndroms haben ein charakteristisches Mikrobiom

Patienten ohne Merkmale eines metabolischen Syndroms (n = 13)

Patienten mit Merkmalen eines metabolischen Syndroms (n = 12)

Tab. 1:Personen mit Nephrolithiasis weisen charakteristische Dysbiosen von Urin, Stuhl & Steinen auf

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