Mastzellerkrankungen
Hohe Krankheitslast bei systemischer Mastozytose
Abb. 1: Klassifikation der Mastozytose (nach Horny et al. 2017, Sotlar et al. 2022)6, 7
Nicht
fortgeschrittene
Mastozytose
Fortgeschrittene
systemische
Mastozytose
Kategorie
Kutane Mastozytose
-
Makulopapulöse kutane Mastozytose
-
Diffuse kutane Mastozytose
-
Kutanes Mastozytom
Systemische Mastozytose
-
Knochenmark-Mastozytose
-
Indolente systemische Mastozytose
-
Schwelende systemische Mastozytose
-
Systemische Mastozytose mit assoziiertem hämatologischem Neoplasma
-
Aggressive systemische Mastozytose
-
Mastzellleukämie
Mastzellsarkom
© UNIVERSIMED
Entgeltliche Einschaltung
Mit freundlicher Unterstützung durch Blueprint Medicines GmbH
AT-BP-MED-AVANASM-23004 erstellt 08/2023
Viele Patient:innen mit systemischer Mastozytose (SM) leiden weiterhin unter einer hohen Symptomlast, obwohl sie vier oder mehr Medikamente täglich nehmen. Das ist für die Betroffenen, aber auch für die Behandler:innen eine große Herausforderung.
Im Rahmen des Jahrestreffens der Europäischen Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI) vom 9. bis 11. Juni 2023 in Hamburg widmeten sich in mehreren Symposien internationale Expert:innen einer häufig wenig bekannten Erkrankung mit mitunter extremem Leidensdruck für betroffene Patient:innen: der systemischen Mastozytose (SM). Durch Verbesserung der Kenntnis über Symptomatik und korrekte Diagnostik der Erkrankung sollen mehr Patient:innen angemessen therapiert werden können.
Krankheitslast und „unmet medical need“
„Etwa 95% aller SM-Patient:innen haben eine indolente systemische Mastozytose (ISM) ohne Organschädigung, aber mit hoher Symptomlast“, erklärte Prof. Dr. Frank Siebenhaar, Institut für Allergieforschung, Charité-Universitätsmedizin, Berlin (Deutschland).„Die Lebensqualität dieser Menschen kann so massiv beeinträchtigt sein, dass sie ihren Alltag nicht sinnvoll leben können.“ Gerade bei schwerem Verlauf können viele Patient:innen trotz Polypharmakotherapie und hochfrequenter Arztbesuche keinem geregelten Leben und keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen.1
„Die sogenannte indolente systemische Mastozytose kann ein breites Spektrum von Symptomen – von leichten bis sehr schweren – auslösen; manche Patient:innen haben schwere Anaphylaxien, Hautläsionen, Flushs, Pruritus und gastrointestinale Symptome“, schilderte Prof.in Dr.in Karin Hartmann, Department für Dermatologie, Universitätsspital Basel (Schweiz). Der Grund für die hohe Symptomlast bei der an sich niedrigaggressiven ISM liegt darin, dass es sich hier hauptsächlich um mediatorbedingte Symptome handelt, während bei fortgeschrittenen Formen bis hin zur Mastzellleukämie die organspezifischen Symptome vorherrschen.2
„Wir müssen also die Symptomlast und die Lebensqualität bei ISM beurteilen“, fuhr Siebenhaar fort. „Dazu gibt es bereits eine Reihe von validierten Werkzeugen, die es uns auch erlauben, eine gewisse objektive Quantifizierung der Symptomlast vorzunehmen.“ Ein Beispiel ist der „Mastocytosis Activity Score“ (MAS), der sowohl für klinische Studien als auch für die tägliche Praxis verwendet werden kann und aus 9 Items besteht.3 Ein ähnliches Tool, „Mastocytosis Quality of Life“ (MC-QoL), bezieht sich auf die Lebensqualität.4 „Wir können und sollen diese Tools verwenden, um zu sehen, wie gut wir die Patient:innen behandeln, und zu objektivieren, wie es ihnen mit ihrer Krankheit geht“, so der Experte.
„Was nun den ,unmet medical need‘ angeht, so wissen wir, dass viele Patient:innen vier oder mehr verschiedene Medikamente täglich nehmen und dennoch eine hohe Symptomlast und eine schlechte Lebensqualität aufweisen. Hier müssen wir in Zukunft ansetzen“, betonte Siebenhaar.
Krankheitspräsentation und Diagnose
Die systemische Mastozytose ist gekennzeichnet durch die klonale Proliferation von neoplastischen Mastzellen und betrifft die Haut, das Knochenmark und andere Organe. Von der Präsentation her ist es eine heterogene Erkrankung, die häufig als Differenzialdiagnose bei Allergiepatient:innen in Betracht kommt.
Laut WHO wird die Erkrankung in kutane Mastozytose, systemische Mastozytose (SM) und lokalisierte Mastzelltumoren eingeteilt. Auf Basis histomorphologischer Kriterien wird die SM weiter unterteilt in die ISM sowie verschiedene Varianten der fortgeschrittenen SM, einschließlich aggressiver SM und Mastzellleukämie.5
Die meisten Mastozytosepatient:innen tragen die aktivierende Punktmutation KIT D816V, die charakteristisch für nahezu alle Formen der systemischen Mastozytose ist.6,7Abbildung 1 zeigt die aktuelle Klassifikation der Mastozytose. „Dabei ist zu beachten, dass Patient:innen mit Knochenmarksmastozytose keine Hautläsionen haben, aber sehr oft durch anaphylaktische Reaktionen auffallen“, ergänzte Hartmann.
Die ISM ist eine benigne Form der SM, die sich durch Anaphylaxie, erhöhte Tryptasespiegel, typische Hautläsionen, gastrointestinale Symptome sowie Osteoporose mit pathologischen Frakturen auszeichnet. „Tatsächlich ist, nach dem Lebensalter, die Mastozytose der zweithäufigste Risikofaktor für Anaphylaxie“, so die Expertin.8 Erwachsene mit Mastozytose sind von Anaphylaxien signifikant stärker betroffen als Kinder und Patient:innen mit SM signifikant mehr als solche mit kutaner Mastozytose.9 Insektengift von Hymenoptera (Bienen, Wespen) ist der häufigste Anaphylaxieauslöser in dieser Patient:innengruppe.10
Die Tryptasespiegel bei ISM sind sehr variabel und reichen von ungefähr 20 bis über 200ng/ml.11 „Die Hautläsionen bei ISM sind typischerweise monomorph und makulopapulös“, berichtete Hartmann. „Diese Läsionen können sehr ausgeprägt oder auch ziemlich diskret sein“, fuhr die Expertin fort. „Ich empfehle immer, nicht nur auf den Rücken, sondern auch auf die Oberschenkel zu schauen.“ Typische Hautsymptome bei ISM sind Jucken, Brennen, Rötung, Schwellung und Blasenbildung.
Ca. 30% der Männer und 45% der Frauen mit ISM haben auch gastrointestinale Symptome. Aber auch Osteopenie, Osteoporose, Knochenschmerzen und pathologische Frakturen sind bei ISM nicht selten.12 Der Grund dafür liegt in einem auf dem Weg über verschiedene Zytokine verschobenen Gleichgewicht zwischen Knochenbildung und -resorption zugunsten Letzterer.13
Diagnosealgorithmus und Risikostratifikation bei ISM
„Die Mastozytose ist eine seltene Erkrankung und wird deshalb oft erst durch ein akutes Ereignis, z.B. eine Anaphylaxie, diagnostiziert“, so Prof. Dr. Vito Sabato, Immunologe und Allergologe, Universitätsklinik Antwerpen (Belgien). Ein hoher Verdachtsindex ist notwendig, um Fehldiagnosen und verspätete Behandlung zu vermeiden.14 Klinische Algorithmen, sowohl für Patient:innen mit Hauterscheinungen als auch für solche ohne Hautveränderungen, wurden vorgeschlagen.15 Für Patient:innen mit Anaphylaxie, aber ohne sonstige Hauterscheinungen, gibt es zwei Scores, REMA16 und NICAS17, die sich beide im Wesentlichen auf das Geschlecht, die klinischen Symptome und die Serumtryptase stützen. Im Fall des NICAS wird zusätzlich eine eventuell vorhandene KIT-Mutation berücksichtigt. „Für beide Scores gilt, dass ein Wert unter 2 eine primäre Mastzellerkrankung unwahrscheinlich macht“, betonte Sabato.
Was die Erhöhung der Serumtryptase angeht, so handelt es sich hier um eine unspezifische Veränderung, die sogar bei Gesunden, aber auch bei einer ganzen Reihe anderer Erkrankungen wie chronischer Niereninsuffizienz, Adipositas, verschiedenen Leukämieformen und auch als hereditäre α-Tryptasämie auftreten kann.18,19 „Und obwohl die Serumtryptase eines der wichtigsten Kriterien für die Diagnose einer SM ist, ist eine solche auch bei niedrigen Tryptasewerten nicht gänzlich ausgeschlossen“, warnte der Experte.20
Der zweite Aspekt der Diagnose ist die Bestimmung der KIT-D816V-Mutation. „Hier ist es extrem wichtig, einen hochsensitiven PCR-Assay zu verwenden“, forderte Sabato. Während für die initiale Evaluierung peripheres Blut verwendet werden kann, sollte die vollständige Analyse des KIT-Mutationsstatus auch das Knochenmark umfassen.21 „Das ist besonders dann wichtig, wenn der Test im peripheren Blut negativ, der Verdachtsindex aber hoch ist“, so Sabato.
Das Major-Kriterium für die Diagnose einer SM sind Mastzellaggregate im Knochenmark oder in extrakutanen Organen; Minor-Kriterien sind atypische oder spindelförmige Mastzellen, aberrante Expression von CD2, CD25 oder CD30 auf Mastzellen, KIT-Mutation im Knochenmark oder in extrakutanen Organen und eine Tryptase ≥20ng/ml.18 Für die Diagnose müssen das Major- und ein Minor-Kriterium oder drei Minor-Kriterien erfüllt sein. Daneben gibt es noch sogenannte B- und C-Kriterien. B-Kriterien weisen auf eine hohe Mastzelllast hin, jedoch ohne Organschädigung, während C-Kriterien auf Organschädigung hindeuten.18,22
Die Therapie der indolenten systemischen Mastozytose erfolgt aktuell ausschließlich symptomatisch, unter anderem mit H1/H2-Blockern, Mastzellstabilisatoren, Leukotrienantagonisten sowie einer Therapie der spezifischen Ausprägungen, wie etwa Bisphosphonate bei Osteoporose.2 Es befinden sich jedoch mehrere zielgerichtete Therapieoptionen in fortgeschrittenen Phasen der klinischen Entwicklung, was die Relevanz einer korrekten Diagnostik und Zuweisung der Patient:innen zusätzlich erhöht.23
Insgesamt herrschte Einigkeit unter den Expert:innen, dass es sich bei der SM um eine wenig bekannte und daher häufig nicht oder zu spät diagnostizierte Erkrankung handelt. Aufgrund des mitunter enorm hohen Leidensdrucks und der schlechten Lebensqualität der betroffenen Patient:innen kommt der Kenntnis der Symptomatik und der korrekten Diagnostik eine besondere Bedeutung zu. Häufig kann hier die Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum den entscheidenden Schritt bedeuten. Neben Hinweisen wie Anaphylaxie, typischen Hautläsionen, gastrointestinalen Symptomen sowie Osteoporose mit pathologischen Frakturen können vor allem die Messung der Serumtryptase und eine weiterführende KIT-Diagnostik mit einer geeigneten, sensitiven Methode zu einer korrekten Diagnose führen.◼
Quelle:
„Many Faces of Systemic Mastocytosis: Indolent is not Insignificant“, Satellitensymposium von Blueprint Medicines am hybriden Kongress der EAACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology), 9. Juni 2023, Hamburg