Hyperlipidämie und kardiovaskuläres Risiko bei Typ-2-Diabetes
Nach der Lektüre dieses Kapitels der CME-Fortbildung kennen Sie die pathophysiologische Assoziation zwischen LDL-C-Senkung und der Entwicklung einer Atherosklerose und die besonderen Zusatzrisiken bei Patienten mit Diabetes mellitus. Sie können die empfohlenen LDL-C-Zielwerte der aktuellen ESC/EAS-Leitlinie zum Management von Dyslipidämien zuordnen und wissen, wie Sie die risikoadjustierten LDL-C-Zielwerte mithilfe verschiedener lipidsenkender Therapieoptionen erreichen können.
Die CME-Fortbildung «Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch modernes Lipidmanagement» und die unten stehenden Multiple-Choice-Fragen finden Sie auch auf http://www.med-diplom.ch. Dort können Sie die Fragen online beantworten und Ihr Zertifikat sofort downloaden und ausdrucken.OA Dr. med. Lars StechemesserÜberlegen Sie:Wie lautet der LDL-C-Zielwert für einen 67-jährigen Raucher mit einer Diabetesdauer von 15 Jahren, einer Hypertonie und einer Hypercholesterinämie?Self-Check1. Diabetes mellitus: Epidemiologie
Rund 537 Millionen Menschen waren im Jahr 2021 weltweit von Diabetes mellitus (DM) betroffen – 90% von ihnen von Typ-2-Diabetes (T2DM). Bis ins Jahr 2045 rechnet die International Diabetes Federation (IDF) mit einem Anstieg um 46% auf 783 Millionen Menschen mit DM. [1]
In Deutschland lebten im Jahr 2021 geschätzt 8,5 Millionen Menschen mit dokumentiertem T2DM. Dazu kommt eine Dunkelziffer von mindestens 2 Millionen Menschen, die nichts von ihrem DM wissen. Die geschätzte Prävalenz bezogen auf die erwachsene Bevölkerung beträgt 9–10%. Die Zahl der Menschen mit T2DM wird bis ins Jahr 2040 auf geschätzt 11,5 Millionen steigen. [2]
In Österreich beträgt die geschätzte DM-Prävalenz auf Basis von Daten aus dem Jahr 2015 7–11%. Von diesen rund 600000 Patienten sind ca. 90% von T2DM betroffen. Die Prävalenz an nicht diagnostiziertem DM (Dunkelziffer) liegt zwischen 2% und 4%. Dazu kommen geschätzt 1600 Kinder im Alter bis einschliesslich 14 Jahre, die an T1DM erkrankt sind (0,1%). [3,4]
Nach den letzten verfügbaren Daten aus dem Jahr 2017 sind in der Schweiz 4,4% der Bevölkerung ab 15 Jahren von DM betroffen oder nehmen blutzuckersenkende Medikamente ein (rund 310000 Menschen). Der Anteil ist bei Erwachsenen ab 65 Jahren mit 11% mehr als doppelt so hoch. Die DM-Prävalenz ist in der Schweiz verglichen mit 2007 (damals 3,4%) gestiegen. [5]
2. Kardiovaskuläres Risiko bei Diabetes
2.1. Der kardiometabolische Patient
Patienten mit DM werden aufgrund ihrer erhöhten kardiovaskulären (CV) Morbidität und Mortalität als kardiometabolische Patienten bezeichnet. Etwa ein Drittel der Patienten mit T2DM ist von manifesten kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) betroffen. Etwa 50% aller Todesfälle bei Menschen mit DM gehen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurück – insbesondere auf die koronare Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfall.[6] Die 7-Jahres-Inzidenz für einen Myokardinfarkt (MI) ist bei Patienten mit DM signifikant höher als bei Menschen ohne DM (Abb. 1). In einer Studie mit rund 2400 Teilnehmenden beträgt sie bei Patienten mit T2DM 45,0% mit vorhergegangenem MI beziehungsweise 20,2% ohne vorhergegangenen MI. Bei den stoffwechselgesunden Kontrollpersonen mit bzw. ohne vorherigen MI betrugen die Inzidenzwerte 18,8% bzw. 3,5% (p<0,001). Die Hazard-Ratio (HR) für Tod durch KHK bei Patienten mit DM, aber ohne vorherigen MI unterschied sich gegenüber Menschen ohne DM, aber mit vorherigem MI nicht signifikant (HR: 1,4; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,7–2,6). Damit ist die 7-Jahres-Inzidenz für MI bei Menschen mit DM ohne vorherigen MI etwa gleich hoch wie bei Menschen ohne DM nach einem MI. [7] Die DM-assoziierte Risikodisposition geht zudem mit vorzeitigem Tod einher. Eine gross angelegte Analyse der Daten aus 97 prospektiven Studien mit 820900 Teilnehmenden und 123205 Todesfällen der Emerging Risk Factors Collaboration zeigt, dass ein 50-Jähriger mit DM durchschnittlich eine um sechs Jahre geringere Lebenserwartung hat als ein Gleichaltriger ohne DM. Dabei gehen etwa 40% des Unterschieds hinsichtlich der Überlebensrate auf die nichtvaskuläre Übersterblichkeit zurück.[8] Seit den 1990er-Jahren nehmen die DM-assoziierte Morbidität und Mortalität ab. So sank z.B. in den USA die Rate der akuten MI bei Menschen mit DM von 1990 bis 2010 überdurchschnittlich um 67,8% (95% KI: −76,2 bis −59,3). Bei Menschen ohne DM verringerte sich die Zahl der MI-Ereignisse im gleichen Zeitraum um 31,2% (95% KI: −42,7 bis −22,0). Als Ursache für diesen Rückgang vermutet man u.a. Vorteile der modernen Diabetestherapien und eine bessere Versorgung der kardiovaskulären Risikofaktoren Dyslipidämie und arterielle Hypertonie. Allerdings sind die DM-assoziierten Belastungen nach wie vor hoch, da die Prävalenz der Erkrankung weiter zunimmt. [9] Heute liegen bei der Mehrheit der Patienten mit DM (68%) zwar keine manifesten CVD vor. Sie weisen aber CV Risikofaktoren auf, die sich – genauso wie atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen (ASVD) – oftmals bereits 10 bis 15 Jahre vor der DM-Diagnose entwickeln. [10,]
2.2. Diabetes als Risikofaktor
DM gehört zu den unabhängigen Risikofaktoren für CVD. Wie Studien zeigen, haben Menschen mit DM ein per se zwei- bis vierfach erhöhtes CV Risiko im Vergleich zu Stoffwechselgesunden – insbesondere Frauen mit DM. [11, 12] So ist z.B. das Risiko, an einer CVD zu sterben, bei Frauen mit DM höher als bei den Männern mit DM. In einer grossen populationsbasierten Studie mit 3,3 Millionen Teilnehmenden hatten Männer mit DM eine HR für CV Tod von 2,42 (95% KI: 2,35–2,49) und Frauen mit DM eine HR von 2,45 (95% KI: 2,38–2,51). Die HR für CV Tod bei Patienten mit vorhergehendem MI betrug 2,44 bei Männern mit DM (95% KI: 2,39–2,49) und 2,62 bei Frauen mit DM (95% KI: 2,55–2,69) im Vergleich zu Männern bzw. Frauen ohne DM (Abb. 2).[13] Trotz der Fortschritte in der medizinischen Versorgung bleiben CVD die häufigste Morbiditäts- und Mortalitätsursache bei Patienten mit T2DM. Sie haben wie Patienten mit KHK ein wesentlich höheres Risiko für künftige CV Ereignisse. Überdies verstärken die oft bestehenden Komorbiditäten wie Hypertonie, Dyslipidämie, abdominelle Adipositas und nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) die CV Risikodisposition. [12,14–16] Schliesslich ist die Mortalität bei Patienten mit DM nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS) höher als ohne DM. Diese schlechtere Prognose verdeutlicht die Notwendigkeit einer intensiven Therapie bei diesen Hochrisikopatienten. [12,17]
3. Besonderheiten der Dyslipidämie bei Typ-2-Diabetes
Atherogene Dyslipidämie ist einer der Hauptrisikofaktoren für CVD bei Menschen mit T2DM, Adipositas und mit Insulinresistenz oder beeinträchtigter Glukosetoleranz. Charakteristisch für die diabetische Dyslipidämie ist das metabolische Zusammenspiel verschiedener Lipid- und Lipoproteinanomalien. Der Anstieg der Zahl grosser VLDL-Partikel initiiert eine Folge von Reaktionen, in deren Verlauf atherogene Remnant-Partikel (Abbauprodukte), kleine dichte LDL-Cholesterin(LDL-C)-Partikel (sdLDL) sowie kleine triglyzeridreiche und dichte HDL-C-Partikel entstehen. Auffällig ist die Erhöhung des Apolipoprotein-C-(ApoC)-III-Spiegels. ApoC-III verhindert den Abbau triglyzeridreicher Lipoproteine (TRL) und deren Remnants, wobei sich die Verweildauer dieser Metaboliten im Blut verlängert. Diese TRL-Remnants bilden zusammen mit den sdLDL- und kleinen, dichten HDL-C-Partikeln das atherogene Lipidprofil bei Patienten mit DM, die zudem erhöhte Werte für Apolipoprotein-B(ApoB)-haltige Lipoproteinpartikel aufweisen. Entscheidend ist, dass nicht nur das LDL-C, sondern auch die TRL – einschliesslich VLDL und Chylomikronen und deren Remnants – ApoB-Moleküle enthalten. Deshalb ist es wichtig, bei Patienten mit DM auch den Non-HDL-C-Wert zu bestimmen, da bei ihnen das LDL-C im Normalbereich bleiben kann. Typische Merkmale der diabetischen Dyslipidämie sind erhöhte Werte für Triglyzeride (TG) nüchtern und postprandial, ApoB-haltige Lipoproteine und sdLDL sowie erniedrigte Werte für HDL-C und Apolipoprotein A1 (ApoA1). [12,18–26]
4. Kardiovaskuläre Risikokatego-rien bei Menschen mit Diabetes
Patienten mit DM haben ein erhöhtes CV Risiko. Das Ausmass der Risikoerhöhung unterscheidet sich aufgrund patientenindividueller Faktoren. [27] In der Leitlinie zum Management von Dyslipidämien (Dyslipidämieleitlinie) der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) sind drei CV Risikokategorien für Patienten mit DM definiert (Tab. 1). Dabei hängt das Risiko u.a. ab vom DM-Typ, vom Lebensalter, von der Dauer der DM-Erkrankung sowie weiteren Risikofaktoren und bestehenden Endorganschädigungen (Mikroalbuminurie, Retinopathie oder Neuropathie). [12]
5. Risikoreduktion durch Lipidsenkung bei Diabetes
Eine lipidsenkende Therapie bei Patienten mit T2DM zielt vorrangig auf die Reduktion des LDL-C. In der ESC/EAS-Dyslipidämieleitlinie werden folgende risikoabhängige LDL-C-Zielwerte empfohlen:
-
Sehr hohes Risiko: <55mg/dl (<1,4mmol/l) und ≥50% Senkung des Ausgangswerts
-
Hohes Risiko: <70mg/dl (<1,7mmol/l) und ≥50% Senkung des Ausgangswerts
-
Moderates Risiko: <100mg/dl (<2,6mmol/l)
Der Ausgangswert ist definiert als LDL-C-Wert bei einer Person, die keine lipidsenkenden Medikamente einnimmt, oder der extrapolierte Ausgangswert für Personen, die derzeit eine Behandlung erhalten. [12]
5.1. Risikoreduktion durch Lebensstilmodifikation
Eine Veränderung von Lebensstilfaktoren ist die erste Option zur Verbesserung der atherogenen Dyslipidämie. Eine Reduktion des Körpergewichts beeinflusst die Konzentrationen der TG und des HDL-C positiv und führt zu einer moderaten Reduktion des LDL-C-Werts und des Gesamtcholesterins (TC). Gemässigte bis intensive aerobe Bewegung verbessert das Lipidprofil (Reduktion von TG und Erhöhung der HDL-C-Konzentration). Relevante Ernährungsumstellungen sind die Reduktion von Transfetten, der Austausch gesättigter gegen ungesättigte Fettsäuren und das Ersetzen von raffinierten stärkehaltigen Nahrungsmitteln und Einfachzucker durch ballaststoffreiche Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Vollkornprodukte.[12,28,29]
Studiendaten zu Patienten mit hohem CV Risiko (darunter Menschen mit DM) zeigen, dass sich unter einer mediterranen Kost mit Olivenöl und Nüssen die Inzidenz von CV Ereignissen verminderte. [29,30]
5.2. Risikoreduktion durch Statine
Statine sind die Therapie der ersten Wahl zur Reduktion der LDL-C-Konzentration und des CV Risikos bei KHK-Patienten mit DM. [12,31,32] In einer Metaanalyse werteten die Cholesterol Treatment Trialists’ Collaborators 14 Studien zur Statintherapie mit fast 18700 Patienten mit DM und über 71300 stoffwechselgesunden Patienten aus. Sie berechneten u.a. die Reduktion der Zahl schwerer CV Ereignisse und die Gesamtmortalität pro mmol/l (39mg/dl) LDL-C-Senkung nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 4,3 Jahren. Bei DM-Patienten verminderte sich pro mmol/l LDL-C-Reduktion signifikant die Rate schwerer CV Ereignisse um 21% (Rate Ratio [RR]: 0,79, 99% KI: 0,72–0,86; p<0,0001). Die Reduktion der Gesamtmortalität pro mmol/l LDL-C-Senkung betrug 9% (RR: 0,91, 99% KI: 0,82–1,01; p=0,02). Die Resultate bei den Patienten ohne DM waren ähnlich.[29,33] Patienten mit DM profitieren von der lipidsenkenden Therapie mehr, da bei ihnen aufgrund des höheren absoluten Risikos ein höherer absoluter Nutzen besteht. Dadurch sinkt bei ihnen die «number needed to treat» (NNT). [12,31] Einige Studiendaten deuten an, dass eine Statintherapie mit dem Neuauftreten von DM assoziiert sein könnte. Der Nutzen der Statintherapie übersteigt mit Blick auf die Reduktion der CV Ereignisse aber bei Weitem ihre Risiken. [31,34–36]
5.3. Risikoreduktion durch Ezetimib
Patienten mit DM können von einer Intensivierung der lipidsenkenden Statintherapie mit Ezetimib profitieren. In der IMPROVE-IT-Studie waren fast 5000 Patienten nach einem ACS eingeschlossen, die an DM erkrankt waren. Die Kombinationstherapie mit täglich 40mg Simvastatin und 10mg Ezetimib führte bei ihnen zu einer signifikanten Reduktion des relativen Risikos von 15% (HR: 0,85, 95% KI: 0,78–0,94) bezogen auf den kombinierten primären Endpunkt (CV Tod, schwere koronare Ereignisse und Schlaganfall) im Vergleich zur Kontrollgruppe mit 40mg Simvastatin und Placebo. Zu diesem Ergebnis trug vor allem eine geringere Inzidenz für MI und ischämischen Schlaganfall bei. Im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien wurde kein erhöhtes DM-Risiko unter Ezetimib berichtet. [12,31,37,38]
5.4. Risikoreduktion durch Bempedoinsäure
Zur CV Risikoreduktion unter Bempedoinsäure liegen derzeit noch keine Ergebnisse aus Endpunktstudien vor. Im Rahmen einer Post-hoc-Subgruppenanalyse wurden Daten zu Patienten mit ASCVD und T2DM des CLEAR-Studienprogramms ausgewertet. Während der Beobachtungszeit von einem Jahr kam es in der Bempedoinsäure-Gruppe weder zu einer Verschlechterung der glykämischen Parameter noch zu einer erhöhten Inzidenz neu manifestierter DM-Erkrankungen. [39]
5.5. Risikoreduktion durch PCSK9-Inhibitoren
5.5.1. Risikoreduktion durch PCSK9-Antikörper
Zu den Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-9(PCSK9)-Antikörpern Alirocumab und Evolocumab liegen Ergebnisse aus Endpunktstudien zur Reduktion des CV Risikos bei Patienten mit DM vor.[40,41]
In die ODYSSEY-OUTCOMES-Studie zu Alirocumab wurden 18924 Patienten eingeschlossen. Die Einschlusskriterien waren: Alter ≥40 Jahre, Hospitalisierung aufgrund eines akuten ACS (Myokardinfarkt oder instabile Angina pectoris) innerhalb der zwölf Monate vor der Randomisierung sowie ein LDL-C-Wert von ≥70mg/dl (≥1,8mmol/l), ein Nicht-HDL-Wert von ≥100mg/dl (≥2,6mmol/l) oder ein ApoB-Wert von ≥80mg/dl (≥1,6µmol/l). Zu Studienbeginn waren 29% dieser Patienten zudem an T1DM oder T2DM erkrankt und 43% an einem Prädiabetes. Patienten mit DM hatten ein doppelt so hohes CV Risiko wie Probanden ohne Glukosestoffwechselstörung (HR: 2,09; 95% KI: 1,78–2,46; p<0,0001). Im Rahmen der Studie ODYSSEY OUTCOMES mit einer medianen Beobachtungszeit von 2,8 Jahren reduzierten sich unter der Alirocumab-Therapie versus Placebo das relative und absolute Risiko für schwerwiegende unerwünschte CV Ereignisse («major adverse cardiovascular events»; MACE) unabhängig vom glykometabolischen Status. Am meisten profitierten die Patienten mit DM, bei ihnen war die Reduktion des absoluten Risikos (ARR) fast doppelt so stark wie bei normoglykämischen Patienten: –2,3% (95% KI: –0,4 bis –4,2) gegenüber –1,2% (95% KI: 0,3 bis –2,7; p-Wert für Interaktion: 0,0019) (Abb. 3). Alirocumab hatte keinen negativen Einfluss auf DM-assoziierte Parameter. Unter der Alirocumab-Therapie erhöhte sich das Risiko für das Neuauftreten von DM nicht. [40]
Im Rahmen der FOURIER-Studie zu Evolocumab wurden 27564 Patienten randomisiert, von denen bei Studieneinschluss 40% DM und 38% Prädiabetes aufwiesen. Die Einschlusskriterien waren: Alter zwischen 40 und 85 Jahren, eine klinisch nachweisbare ASCVD (MI, nichthämorrhagischer Schlaganfall oder symptomatische periphere arterielle Verschlusskrankheit) sowie zusätzliche Merkmale eines erhöhten CV Risikos (einschliesslich DM). Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war die Kombination aus CV Tod, MI, Schlaganfall, Hospitalisierung aufgrund einer instabilen Angina pectoris oder CV Revaskularisation. Die mediane Beobachtungszeit war 2,2 Jahre. In der Evolocumab-Gruppe reduzierte sich das Risiko für Ereignisse des primären Endpunkts in den Subgruppen bei Menschen mit und ohne DM signifikant (Abb. 4): bei Menschen mit DM um 17% (HR: 0,83; 95% KI: 0,75–0,93; p=0,0008), bei jenen ohne DM um 13% (HR: 0,87; 95% KI: 0,79–0,96; p=0,0052; p-Wert für Interaktion: 0,60). Evolocumab erhöhte das Risiko für einen neu auftretenden DM bei Patienten ohne DM zu Studienbeginn nicht – auch nicht bei Patienten mit Prädiabetes. Das glykämische Profil (HbA1c-Wert und Nüchternblutzuckerspiegel) war bei Patienten mit DM, Prädiabetes und Normoglykämie in der Evolocumab- und der Placebo-Gruppe ähnlich. [41]
5.5.2. Risikoreduktion durch PCSK9-Synthese-Hemmer
Zum PCSK9-Synthese-Hemmer Inclisiran liegen noch keine Ergebnisse zur CV Risikoreduktion bei Patienten mit ASCVD und DM vor, da die Endpunktstudien noch nicht abgeschlossen sind.[42–44] In der ORION-1-Studie war die LDL-C-Reduktion unter Inclisiran bei Patienten mit und ohne DM ähnlich.[45] Auch in einer Post-hoc-Analyse der Daten aus den Studien ORION-10 und ORION-11 reduzierte sich der LDL-C-Wert in der Inclisiran-Gruppe stärker als mit Placebo und ähnlich in allen glykämischen Subgruppen. [46]
5.6. Risikoreduktion durch Fibrate
Fibrate beeinflussen vor allem das TG-Profil. Patienten mit T2DM weisen typischerweise eine erhöhte TG- und eine erniedrigte HDL-C-Konzentration auf. Derzeit ist noch umstritten, welchen klinischen Nutzen die Therapie dieser Anomalien mit Fibraten bietet.[12] In der ACCORD-Studie verringerte die Kombination von Fenofibrat und Simvastatin die Rate der tödlichen kardiovaskulären Ereignisse sowie die der nichttödlichen MI oder Schlaganfälle im Vergleich zur Simvastatin-Monotherapie bei Patienten mit T2DM nicht.[47] Ähnliche Ergebnisse brachte die FIELD-Studie, in der die Therapie mit Fenofibrat das Risiko für den primären Endpunkt (Tod durch KHK oder nichttödlicher MI) im Vergleich zu Placebo nicht reduzierte.[48] In einer Post-hoc-Analyse der FIELD-Daten zeigte sich eine Risikoreduktion um 27% mit Fenofibrat bei Patienten mit einem TG-Spiegel von >200mg/dl (>2,3mmol/l) und erhöhtem HDL-C-Wert.[49] Auch in der ACCORD-Studie scheint diese Patientensubgruppe von Fibraten zusätzlich zu Simvastatin zu profitieren.[47] Schliesslich kam eine Metaanalyse mit sechs randomisierten Studien und 11590 Patienten zum Ergebnis, dass eine Langzeittherapie mit Fibraten das Risiko für einen nichttödlichen MI bei Patienten mit T2DM um 21% senkt. Sie hatte jedoch keinen Einfluss auf die CV und Gesamtmortalität.[50] Die ESC/EAS-Dyslipidämieleitlinie zieht daher den Schluss, dass Patienten mit DM und atherogener Dyslipidämie von einer TG-senkenden Therapie ergänzend zu Statinen profitieren könnten.[12]
6. Patientenfall*
Helga X., 62 Jahre, ist seit elf Jahren an T2DM erkrankt – der aktuelle HbA1c-Wert ist 7,8% (62mmol/mol). Ihr Body-Mass-Index (BMI) beträgt 34kg/m2. Bis 2019 war sie Raucherin. Sie weist zahlreiche Komorbiditäten auf und musste sich in der Vergangenheit mehreren kardiologischen Interventionen unterziehen. Neben einer arteriellen Hypertonie lassen sich eine KHK mit einem MI im Jahr 2014 und zwei Stent-PTCA in den Jahren 2014 und 2016 und eine Versorgung mit einem aortokoronaren Bypass im Jahr 2019 erheben. Die Nierenfunktion war mit einer eGFR von 65 ml/min/KO entsprechend einer chronischen Niereninsuffizienz G2A1 eingeschränkt.
Als antidiabetische Medikation erhielt sie damals Metformin (1000mg 2x tägl.), Linagliptin (5mg 1x tägl.) und spritzte seit 1 Jahr eine Mischinsulintherapie (Insulin lispro/lispro protamin Mix50 sc. 28/0/20 IE).
Sie stellte sich in der Gefässchirurgie aufgrund einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit vor. Dort wurde sie mit einem femoropoplitealen Bypass versorgt. Ausserdem wurden ihr vor Kurzem zwei Zehen am linken Fuß amputiert. Weiter wurde bei ihr eine Dyslipidämie diagnostiziert, wobei der Ausgangs-LDL-C-Wert nicht bestimmbar ist. Angesichts ihres oben beschriebenen CV Risikoprofils (sehr hohes Risiko) beträgt ihr leitliniengerechter LDL-C-Zielwert <55mg/dl (<1,4mmol/l) mit zugleich ≥50%iger Reduktion des Ausgangswerts. In der Folge wurde sie erfolgreich mit lipidsenkenden Therapien behandelt (Tab. 2). Die antidiabetische Therapie wurde auf Metformin (1000mg 2x tägl.), einen SGLT2-Hemmer (Empagliflozin 10mg 1x tägl.) und ein Basalinsulin (Insulin glargin U-300 sc. 40/0/0 IE) geändert, ein GLP-1-RA wurde nicht vertragen. Nach 4 Monatenunter dieser Therapie lag ihr HbA1c-Wert bei 6,8% (51mmol/mol).
* Fallbeispiel für Lehrzwecke
7. Tipps für die Praxis
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Der Grossteil der Patienten mit Diabetes hat ein hohes bis sehr hohes CV Risiko, dies muss den Patienten kommuniziert und bei Therapieentscheidungen berücksichtigt werden.
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Das hohe bis sehr hohe CV Risiko spiegelt sich in einer höheren Rate an CV Ereignissen sowie einer höheren Mortalität im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes wider.
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Für jeden Diabetespatienten muss eine individuelle Risikoabschätzung mit Definition des LDL-C-Zielwertes erfolgen.
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Bei jedem Diabetespatienten sollten die Lipide inkl. LDL-C, nonHDL-C und TG bestimmt werden.
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Bei Nichterreichen des LDL-C-Zielwertes ist die Therapie zu intensivieren und nach 2–3 Monaten zu kontrollieren. Bei Nichterreichen der LDL-C-Zielwerte unter max. verträglicher Statintherapie (mit/ohne Ezetimib) stehen mit den PCSK-9-Inhibitoren potente Lipidsenker mit bewiesenem CV Benefit zur Verfügung.◼
Die Literatur zum Kapitel finden Sie im Online-Kurs unter www.med-diplom.ch
Zusammenfassung der in diesem med·Diplom vermittelten Lerninhalte
XXXXXXX ist weltweit die häufigste Mangelerkrankung des Menschen. Erhöhtes Risiko für Eisenmangel besteht vor allem in der Schwangerschaft, bei Tumorerkrankungen und chronisch entzündlichen Darmkrankheiten, bei akutem Blutverlust sowie bei ernährungsbedingt oder malabsorptiv reduzierter Eisenaufnahme.
Für die Diagnostik entscheidend sind Hämoglobinwert (Frauen: 12-15 g/dl, Männer: 14–17 g/dl), Ferritin (30-400 µg/l) und Transferrinsättigung (16–45 %).
Die Therapie der Eisenmangelanämie umfasst die Beseitigung der Ursachen und die orale oder intravenöse Eisensubstitution, abhängig von Schweregerad des Eisenmangels und der individuellen Verträglichkeit.
Klinische Relevanz:
XXX Zellen des Körpers benötigen Eisen. Eisenmangel kann alle Systeme des Körpers betreffen. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann ein schwerer chronischer Eisenmangel teils irreversible Wachstumsstörungen, neurologische und kognitive Defizite verursachen. Eine schwere Eisenmangelanämie der Schwangeren führt zu vermehrten Fehl- und Frühgeburten, fetalen Entwicklungsstörungen und einem erhöhten Risiko für mütterliche Infektionen.
Ohne Diabetes (n=1373)
Mit Diabetes (n=1059)
Zusammenfassung der vermittelten Lerninhalte
Patienten mit Diabetes haben ein zwei- bis viermal so hohes kardiovaskuläres Risiko wie Stoffwechselgesunde. Patienten mit Diabetes weisen eine Reihe von Lipidprofilanomalien auf – darunter erhöhte Werte für Triglyzeride, ApoB-haltige Lipoproteine und sdLDL. Diabetespatienten mit Endorganschädigungen haben laut ESC/EAS-Leitlinie ein sehr hohes Risiko. Ihr LDL-C-Zielwert beträgt <55mg/dl (<1,4mmol/l) und eine ≥50%ige Absenkung des Ausgangswerts. Aufgrund ihres hohen Ausgangsrisikos ist der Nutzen einer lipidsenkenden Therapie bei Patienten mit Diabetes noch höher als bei Patienten ohne Diabetes (niedrigere NNT). In Endpunktstudien zur lipidsenkenden Therapie mit Statinen, Ezetimib und PCSK9-Antikörpern zeigte sich bei Diabetespatienten eine signifikante relative und absolute Reduktion der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse gegenüber Placebo.
Klinische Relevanz
Aufgrund des signifikant höheren kardiovaskulären Risikos im Vergleich zu normoglykämischen Patienten ist bei Patienten mit Diabetes und zugleich bestehender Dyslipidämie eine effektive leitliniengerechte LDL-C-Senkung besonders wichtig, um kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern.
Seite 6XXXXX Symptome: auffällige Blässe, ständige Müdigkeit, Kon-zentrationsschwäche, häufige Infektionen, Rhagaden in den MundwinkelnSeite 7XXXXX der Patientin: 842-1.288 mg(Hb-Referenzbereich: 12-15 g/d,62x(12-9,7)x2,4+500=842,24;62x(15-9,7)x2,4+500=1288,64)Self Check AUFLÖSUNG50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Anzahl der Patienten (%)
Kein MI MI Kein MI MI
3,5
18,8
20,2
45
Abb. 2:Kardiovaskuläre Mortalität bei Männern (A) und Frauen (B), stratifiziert nach Alter und Geschlecht in Abhängigkeit von Diabetes mellitus und einem früheren Myokardinfarkt. [13]Abkürzungen siehe AbkürzungsverzeichnisDM + früherer MI
früherer MI
DM
kein DM + kein früherer MI
Frauen
Männer
250
200
150
100
50
0
Ereignisrate/1000 Personenjahre
250
200
150
100
50
0
30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 80–89
30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 80–89
Lebensalter
Lebensalter
Tab. 1:Kardiovaskuläre Risikokategorien für Patienten mit Diabetes nach der ESC/EAS-Dyslipidämieleitlinie. [12] Abkürzungen siehe Abkürzungsverzeichnis; aEndorganschädigungen sind definiert als Mikroalbuminurie, Retinopathie oder Neuropathie0,75 0,85 1,0 3,2 1,6 0,0
MACE-Inzidenz Reduktion des rel. Risikos Hazard-Ratio Reduktion des absol. Risikos Reduktion des absol. Risikos
p (Interaktion)=0,98 (95% KI) p (Interaktion)=0,0019 (95% KI)
Alirocumab Placebo
n/N (%) n/N (%)
Gesamt 903/9462 1052/9462 0,85 (0,78–0,93) 1,6% (0,7–2,4)
(9,5%) (11,1%)
Normoglykämie 192/2639 220/2595 0,85 (0,70–1,03) 1,2% (–0,3–2,7)
(7,3%) (8,5%)
Prädiabetes 331/4130 380/4116 0,86 (0,74–1,00) 1,2% (0,0–2,4)
(8,0%) (9,2%)
Diabetes 380/2693 452/2751 0,84 (0,74–0,97) 2,3% (0,4–4,2)
(14,1%) (16,4%)
Vorteil Alirocumab Vorteil Placebo
Vorteil Alirocumab Vorteil Placebo
Abb. 4: Kumulative Inzidenz für den kombinierten primären Wirksamkeitsendpunkt bei Patienten mit (A) und ohne (B) Diabetes in der FOURIER-Studie [41]A)
Evolocumab
Placebo
HR: 0,83 (95% KI: 0,75–0,93); p=0,0008
Reduktion des absol. Risikos 2,7% (95% KI: 0,7–4,8)
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Kumulative Inzidenz (%)
B)
Evolocumab
Placebo
HR: 0,87 (95% KI: 0,79–0,96); p=0,0052
Reduktion des absol. Risikos 1,6% (95% KI: 0,1–3,2)
Kumulative Inzidenz (%)
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Tab. 2: