Venalpina IX
Ulcus hypertonicum Martorell: Facetten einer unterdiagnostizierten Entität
Das Ulcus hypertonicum Martorell (UHM) stellt eine wichtige Differenzialdiagnose bei schmerzhaften Beinulzera dar. Die Erkrankung ist mit lange bestehender arterieller Hypertension assoziiert und mündet in einer Hautnekrose am laterodorsalen Unterschenkel. Die Therapie erfolgt primär chirurgisch, wobei sich vor allem ein Wunddébridement sowie eine Spalthauttransplantation bewährt haben.
Das Ulcus hypertonicum Martorell (UHM) ist nach Fernando Martorell Otzet(1906–1984) benannt, einem spanischen Pionier im Fachbereich der Angiologie. Er hat zum ersten Mal über das Auftreten von Beinulzera bei lange bestehender arterieller Hypertonie mit entsprechenden Veränderungen der Arteriolen berichtet. In seiner 1945 publizierten Fallserie berichtete er über vier hypertensive Patienten, welche äußerst schmerzhafte Ulzerationen an den Unterschenkeln aufwiesen.1 In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde weltweit eine Vielzahl weiterer Fälle publiziert, welche sich bis ins Jahr 2010 auf insgesamt rund 900 Fälle summierten.2 Trotzdem gilt das Krankheitsbild des UHM weiterhin als chronisch unterdiagnostiziert.3 Der Grund hierfür ist zum einen, dass das UHM in medizinischen Lehrbüchern bislang kaum Erwähnung findet oder als seltene Erkrankung bzw. sogar als Rarität dargestellt wird. Zum anderen handelt es sich um eine herausfordernde Differenzialdiagnose, welche umfassende dermatologische, dermatohistopathologische, angiologische und phlebologische Kenntnisse voraussetzt. Anhand der Fallzahlen spezialisierter Wundzentren an Universitätskliniken geht man von einem Anteil von 10–15% der ebendort behandelten chronischen Beinulzera aus. Schätzungen gehen daher allgemein von einem Anteil des UHM von bis zu 5% aller chronischen Beinulzera aus.3
Das Hauptproblem ist nicht nur die fehlende Diagnose des UHM, sondern vielmehr auch die Verwechslung mit anderen Erkrankungen, wie dem Pyoderma gangraenosum (PG) oder der nekrotisierenden leukozytoklastischen Vaskulitis. In manchen Erhebungen zeigten sich Raten von über 50% von Patienten mit UHM, welche initial mit der Verdachtsdiagnose PG zugewiesen wurden.4Nachdem der therapeutische Ansatz dieser beiden Diagnosen konträr ist, hat eine Fehldiagnose in diesen Fällen mitunter gravierende Folgen für die betroffenen Patienten.
Klinisches Bild
Das UHM ist klinisch primär durch extrem schmerzhafte Ulzerationen am lateralen Unterschenkel gekennzeichnet.5 Initial besteht in den meisten Fällen eine livide Makula oder sogar eine Livedo racemosa, aus welcher dann die Hautnekrose hervorgeht.3 Diese Nekrose zeigt sich vor allem im entzündlich-livide veränderten Randbereich sukzessive progredient, während sich im Zentrum die Ulzeration zeigt (Abb. 1a). Neben der typischen Lokalisation am lateralen bzw. laterodorsalen unteren Drittel des Unterschenkels und den nekrotischen Auflagerungen sind vor allem auch die unerträglichen Schmerzen ein wichtiges klinisches Zeichen. Diese sind in Bezug auf die Ausdehnung des Ulkus unverhältnismäßig stark ausgeprägt.6 Auch die Hochlagerung des betroffenen Beins führt, im Gegensatz zur venösen Insuffizienz, nicht zu einer Besserung der Beschwerden.3
An sich findet sich die Arteriolosklerose stets an beiden Unterschenkeln, wobei in ca. 50% aller Fälle auch tatsächlich Ulzera an beiden Unterschenkeln auftreten.4 Diese können sich jedoch Monate bzw. Jahre zeitlich versetzt manifestieren. In einigen Fällen findet sich an der korrespondierenden Stelle am kontralateralen Bein zwar kein Ulkus, stattdessen aber teils eine hyperpigmentierte Makula, welche im Fachjargon als „pigmented patch“ umschrieben wird.2
Pathogenese
Die Pathogenese des UHM ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt und daher auch regelmäßig Inhalt kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen. Bekannt ist, dass es bei Patienten mit UHM zu einer Erhöhung des lokalen mikrovaskulären Widerstandes an der befallenen Stelle am Unterschenkel kommt, was eine Senkung des Perfusionsdruckes der Haut bedingt.7 Histologisches Korrelat hierfür ist eine Stenose bzw. Sklerose der jeweiligen Arteriolen am dermohypodermalen Übergang2 (Abb. 1b). Dieser Abfall des Perfusionsdruckes führt über eine Hypoxie zum Gewebeuntergang und erklärt daher auch die ausgeprägte Schmerzsymptomatik. Im Unterschied zur peripheren arteriellen Verschlusserkrankung, welche primär die Extremitätenarterien befällt, ist beim UHM der Knöchel-Arm-Index typischerweise im Normbereich.
Als Ursache der Arteriolosklerose wird primär eine über viele Jahre bestehende arterielle Hypertension angenommen, welche zu einer Verdickung der arteriolären Gefäßwand und konsekutiver Einengung des Lumens führt. Hierbei muss jedoch angemerkt werden, dass der wissenschaftliche Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen arterieller Hypertonie und UHM noch aussteht. Vielmehr wird heutzutage eine multifaktorielle Pathogenese diskutiert2, wobei sich auch zahlreiche Parallelen zur urämischen kalzifizierenden Arteriolopathie, auch bekannt als Kalziphylaxie, finden lassen8. Aufgrund der unklaren Ätiopathogenese wird das UHM in der englischsprachigen Literatur mittlerweile deskriptiv als „arteriolosclerotic ulcer of Martorell“ bezeichnet und der Terminus „hypertensiv“ bewusst vermieden. An sich findet man bei Hypertonikern in vielen Organen sklerotische Veränderungen der Arteriolen, bei Patienten mit UHM sind diese jedoch am Unterschenkel besonders stark ausgeprägt. Die Ursache für diese verstärkte Ausprägung der Sklerose ist nicht bekannt, auch wenn Kofaktoren wie Diabetes mellitus diskutiert werden. Auch die Ursache für die frappante Regelhaftigkeit des Auftretens des UHM am distalen Drittel des lateralen Unterschenkels ist nicht gesichert. Hier werden anatomische Gegebenheiten der Gefäßversorgung und eine Prädisposition für Kontusionstraumata an dieser Lokalisation vermutet.3
Differenzialdiagnostik
Die klinische Differenzialdiagnose des UHM ist herausfordernd. Die Ursache hierfür liegt vor allem im Fehlen von objektiv nachweisbaren positiven klinischen Kriterien, welche die Verdachtsdiagnose UHM bestätigen können. Die gängigen Diagnosekriterien leiten sich bis heute von den fünf ursprünglich von Fernando Martorell Otzet postulierten Charakteristika der Erkrankung ab6:
-
Eine länger bestehende arterielle Hypertonie (1),
-
das Fehlen einer relevanten peripheren arteriellen Verschlusserkrankung (2),
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das Fehlen einer relevanten venösen Insuffizienz (3),
-
ein extrem schmerzhaftes Ulkus in typischer Lokalisation am Unterschenkel (4) und
Bei diesen Kriterien handelt es sich jedoch zum einen nur um Ausschlusskriterien (Kriterien Nr. 2 und 3), zum anderen sind sie unspezifisch (Kriterien Nr. 1, 4 und 5) oder keinesfalls obligatorisch (Kriterien Nr. 2, 3 und 5). Daher kommt bei dieser Erkrankung der histologischen Begutachtung einer korrekt entnommenen Biopsie eine besondere Bedeutung zu.2 Bei der Biopsie ist darauf zu achten, dass nicht nur das Ulkus selbst, sondern auch der Wundrand bzw. das gesunde umliegende Gewebe miteinbezogen werden. Denn nur hier sind die typischen Veränderungen zu sehen und nicht durch die starke Entzündungsreaktion des Ulkus überlagert. Typische Veränderungen in der Histologie sind vor allem die hyalinisierende bzw. großteils auch kalzifizierende Sklerose und Stenose der Arteriolen der unteren Dermis bzw. oberen Subkutis.2,4,8 Die typische Histologie kann einen klinischen Verdacht erhärten und so die Diagnose eines UHM sichern.
Therapie
Auch wenn es zahlreiche Studien zur Therapie des UHM gibt, erfolgten nur wenige davon mit ausreichender Fallzahl und in kontrollierter bzw. randomisierter Form. Unsere Therapieentscheidungen basieren daher bis dato großteils auf Erfahrungsberichten und Fallserien. Es bleibt daher zu hoffen, dass es zukünftig größer angelegte, kontrollierte Studien zum UHM gibt – auch wenn dies in Anbetracht der limitierten Fallzahl und der fehlenden Bekanntheit weiterhin eine Herausforderung bleiben wird.
Grundsätzlich muss unter konservativer Wundbehandlung mit langen Krankheitsverläufen und geringen Raten an Spontanheilungen gerechnet werden. Auch die antihypertensive Therapie hat im akuten Stadium keine Auswirkung auf die Arteriolosklerose und damit auf den Hautinfarkt per se.3 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass von einer Gabe von nichtselektiven Betablockern in jedem Fall abzusehen ist, da diese zu einer weiteren Verschlechterung der mikrovaskulären Hautperfusion führen können.2 Außerdem sollte, analog zur Kalziphylaxie, eine bestehende Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten in jedem Fall auf andere Formen der Antikoagulation umgestellt werden, da diese die Entwicklung der kalzifizierenden Arteriolopathie fördern können.8 Der wichtigste Schritt in der Therapie des UHM sind weiterhin das frühzeitige Erkennen des Krankheitsbildes und eine Abgrenzung zum PG – vor allem, weil eine Immunsuppression beim UHM den Krankheitsverlauf verschlimmern kann.4
Als Therapie der ersten Wahl hat sich das rasche Wunddébridement, gefolgt von einer Spalthauttransplantation, bewährt. Dies wird auch häufig mit einer Unterdruck-Wundtherapie über einige Tage kombiniert.2–4,8 Interessant erscheint hierbei, dass die behandelten Patienten bereits nach wenigen Stunden bis Tagen über eine deutliche Besserung der Schmerzsymptomatik berichten.
Ausblick
In der Zusammenschau muss man festhalten, dass das UHM eine unterdiagnostizierte Krankheitsentität darstellt und dies wohl auch zukünftig bleiben wird. Daher ist die korrekte Diagnose auch gewissermaßen der erste therapeutische Schritt für betroffene Patienten.
In der Differenzialdiagnostik nimmt unserer Ansicht nach die Dermatohistopathologie einen ganz zentralen Stellenwert ein und sie wurde diesbezüglich bislang wohl unterschätzt. Vonseiten der pharmakologischen Intervention stehen uns derzeit in der akuten Therapie des Hautinfarktes keine kausalen Modalitäten zur Verfügung. Hier bleibt zu hoffen, dass die Entwicklungen in der Therapie anderer hyalinisierender Arteriolopathien (wie z.B. der hypertensiven Nephropathie oder der subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie) zukünftig kausale Behandlungsoptionen mit sich bringen. Die Therapie der Wahl bleibt weiterhin primär chirurgisch, mittels Wunddébridement und Spalthauttransplantation. Hierdurch lässt sich bei vielen Patienten eine rasche Besserung bis hin zur vollständigen Abheilung erzielen.◼
Autor:
PD Dr. Dr. Benedikt Weber, FEBDV
Universitätsklinik für Dermatologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail:benedikt.weber@meduniwien.ac.at
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Mit freundlicher Unterstützung durch
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Fachkurzinformation siehe Seite XXXX | FREIGABENUMMERXXXX
B. Weber, Wien© XXXXX
Abb. 1:Klinisches Bild (a) und Histopathologie (b) des UHM (# arterioläre Kalzifikation, * subendotheliale Fibrohyalinose)
© Mario Holzner