Hereditäre Ichthyosen

Korrekter Umgang mit Kollodiumbabys

„Kollodiumbabys“ präsentieren sich mit neonataler Erythrodermie mit einer kollodiumartigen Membran, die das gesamte Integument des Neugeborenen überspannt. Es handelt sich dabei um kinderdermatologische Notfälle, die einer raschen intensivmedizinischen Versorgung bedürfen. Dem klinischen Bild liegt fast immer eine hereditäre Ichthyose zugrunde.

Der Begriff „Kollodiumbaby“ beschreibt Kinder mit einer neonatalen Erythrodermie mit einer das gesamte Integument überspannenden, fest ansitzenden, straffen, kollodiumartigen Membran als Zeichen einer angeborenen Verhornungsstörung (Abb. 1). Aufgrund der großen Hautspannung sind die Lippen und die Lider bei den Patientinnen zu einem Eklabium beziehungsweise zu Ektropien verändert, die Ohrmuscheln können deformiert und die Beweglichkeit der großen Gelenke kanndurch Beugekontrakturen eingeschränkt sein. In den Beugefalten können schmerzhafte Rhagaden entstehen, die als potenzielle Eintrittspforte für Infektionen gelten. Typischerweise löst sich die Membran in den ersten Lebenswochen sukzessiv ab und es bildet sich der Phänotyp der meist zugrundeliegenden hereditären Ichthyose aus.

Dermatologischer Notfall

Neonatale Erythrodermien gelten als kinderdermatologische Notfälle. Da sie leider pränatal oft nicht bekannt sind, erfordern sie von den betreuenden Ärztinnen und Ärzten postnatal rasches Handeln. Neben den typischen postnatalen respiratorischen Adaptierungsstörungen sind die betroffenen Kinder vor allem durch einen erhöhten transdermalen Flüssigkeitsverlust, eine fehlende Temperaturregulation über die Haut und erhöhte Infektionsgefahr bedroht, sodass sie möglichst rasch auf einer neonatologischen Intensivstation weiterversorgt werden sollten. Sowohl während des Transportes als auch anschließend sollten die Babys in einem Inkubator mit erhöhter Luftfeuchtigkeit (80–90%) behandelt werden.

Der genaue Nutzen einer Lokaltherapie in den ersten Wochen ist nicht gesichert und sollte aufgrund der erhöhten transdermalen systemischen Resorption mit wirkstofffreien und möglichst Zusatzstoff-armen Salbengrundlagen (besonders keine Keratolytika wie Urea und Salizylsäure) erfolgen.1

Erstdiagnostik

Bei Erstbegutachtung eines Kollodiumbabys empfiehlt es sich, neben einem genauen klinischen Hautstatus (inklusive Haarmikroskopie) und Familienanamnese, besonders in Hinblick auf eine mögliche Konsanguinität, auch eine internistische Durchuntersuchung zum Ausschluss von Komplikationen und möglicherweise assoziierten Fehlbildungen durchzuführen. Bei persistierendem Ektropium empfiehlt sich eine augenärztliche Vorstellung und bei unzureichender spontaner Besserung muss eventuell eine operative Versorgung geplant werden. Ähnlich kann bei ausbleibender Besserung von Ohrmuscheldeformationen eine Korrektur mit speziellen Ohrmodellen (wie zum Beispiel dem „EarWell Infant Ear Correction System®“) oder später eine Operation notwendig sein.

Zur Diagnostik der zugrundeliegenden hereditären Ichthyose sollte, nach entsprechender Beratung und dem Einverständnis der Eltern, möglichst rasch eine molekulargenetische Untersuchung mittels Panelsequenzierung an einem Zentrum mit entsprechender humangenetischer Expertise durchgeführt werden. In den letzten 20 Jahren wurden bereits über 36 Gene als Ursache für eine hereditäre Ichthyose sequenziert.2 Zur korrekten Durchführung empfiehlt sich im Vorhinein eine Kontaktaufnahme mit dem entsprechenden Zentrum (in Österreich: Universitätsklinikum Salzburg und Universitätsklinikum Innsbruck).

Eine Hautbiopsie gilt, aufgrund der geringen Aussagekraft der Routinehistologie, nicht als dringend notwendig. Das Biopsat kann jedoch bei unergiebiger Genetik durch ultrastrukturelle, immunhistologische und molekularbiologische Untersuchungen weitere hilfreiche Hinweise für die Diagnose liefern.

Ein Phänotyp – viele Differenzialdiagnosen

Wie bereits erwähnt, kann unmittelbar bei Geburt eines Kollodiumbabys selten eine Aussage über die zugrundeliegende Genodermatose, in der Regel eine hereditäre Ichthyose, getroffen werden. Ichthyosen sind erbliche, meist monogenetische Keratinisierungsstörungen mit unterschiedlichen Pathomechanismen. Allgemein gesagt kommt es durch Mutationen in Genen für unterschiedliche Keratinozytenproteine zu verminderter Desquamation, einer abnormalen Barrierefunktion der Epidermis und aufgrund von Keratinozytenhyperproliferation zu einer generalisierten Schuppung (beziehungsweise zur Ausbildung der Kolloidmembran). Insgesamt werden über 40 verschiedene Ichthyoseformen, von denen 10 syndromisch sind, unterschieden.2

Als Ergebnis des ersten Weltkongresses für Ichthyosen in Münster wurde zum besseren Verständnis und zur Berücksichtigung aktueller molekularbiologischer Erkenntnisse eine neue einheitliche Nomenklatur und Klassifikation hereditärer Ichthyosen veröffentlicht, die auch klinische Merkmale in die Einteilung miteinbezieht.2

Hereditäre Ichthyosen

Generell unterscheidet man bei angeborenen Ichthyosen zwischen solchen mit (syndromische Formen) und ohne assoziierte extrakutane Manifestationen (nicht syndromische Formen).

In circa einem Drittel der Fälle sind angeborene Verhornungsstörungen Ausdruck einer syndromalen Erkrankung. Zu diesen zählen sehr seltene Erkrankungen wie das Sjögren-Larsson-Syndrom (SLS), das Chanarin-Dorfman-Syndrom, die Trichothiodystrophien (TTD) und das Netherton-Syndrom. Beim Chanarin-Dorfman-Syndrom, das heutzutage Neutralfettspeicherkrankheit genannt wird, besteht typischerweise eine Steatosis hepatis sowie eine Myopathie durch einen abnormen Fettstoffwechsel. Zusätzlich können auch neurologische Probleme sowie eine Innenohrschwerhörigkeit auftreten.3 Beim Netherton-Syndrom, dem eine Mutation im SPINK5(„serine peptidase inhibitor kazal type 5“)-Gen zugrunde liegt, und bei der Trichothiodystrophie kommt es zu Haarauffälligkeiten (sogenannten Bambushaaren beim Netherton-Syndrom und Tiger-Tail-Haaren bei Trichothiodystrophie), die durch eine Haarmikroskopie einfach und schnell erkannt werden können.3

In der Gruppe der nichtsyndromischen kongenitalen Ichthyosen werden nach der aktuellen Klassifikation vier Hauptgruppen unterschieden: häufige Ichthyosen, autosomal-rezessiv vererbte Ichthyosen, Ichthyosen mit Veränderungen in Keratingenen und „andere Formen“. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über die Entitäten, ihre Vererbungsmodi und die zugrundeliegenden Genmutationen. Differenzialdiagnostisch relevant bei Kollodiumbabys ist vor allem die Gruppe der autosomal-rezessiv kongenitalen Ichthyosen. 80–90% aller betroffenen Kinder präsentieren sich initial als Kollodiumbaby.3

Autosomal-rezessiv kongenitale Ichthyosen

Die Gruppe der autosomal-rezessiv kongenitalen Ichthyosen gehört zu den seltenen hereditären Verhornungsstörungen mit einer Inzidenz von circa 1:100000.3

In etwa 10% der Fälle kommt es zu einer sehr mild verlaufenden Form, dem sogenannten „selbstheilenden Kollodiumbaby“ (SHCB). In diesen Fällen bleibt glücklicherweise nach Abstoßung der Kollodiummembran keine oder nur eine sehr milde Ichthyose zurück. Bisher wurden circa 25 Fälle in der Literatur mit unterschiedlichen Genmutationen (z.B. in den Genen Transglutaminase 1 [TGM1], „epidermis-type lipoxygenase 3“ [ALOXE3] oder „arachidonate 12-lipoxygenase“ [ALOX12B])4 assoziiert.

Demgegenüber gilt die sogenannte Harlequin-Ichthyose als schwerste Form der autosomal-rezessiv vererbten Ichthyosen, die, trotz Verbesserung der neonatologischen Versorgung, weiterhin eine postnatale Letalität von circa 10% aufweist.5 Ursächlich gelten Mutationen im ABCA12(„ATP-binding cassette sub-family A member 12“)-Gen, welches am Lipidtransport der Keratinozyten von der lamellären Granula zur apikalen Membran beteiligt ist. Klinisch finden sich schildpanzerartige Hornplatten, die zu Kontrakturen und Bewegungseinschränkungen führen, sowie Synechien der Finger und Zehen.

Standardmäßig sollten diese Kinder neben der intensivmedizinischen Betreuung auch systemische Retinoide (Acitretin 0,5–1mg/kg/Tag) erhalten.5 Vor allem ein persistierendes Ektropium und Gehörgangskomplikationen können für das weitere Leben sehr einschränkend sein. Prinzipiell ist die Harlequin-Ichthyose jedoch mit keinen internistischen oder neurologischen Fehlbildungen assoziiert und die Patienten haben nach der kritischen Neonatalperiode eine normale Lebenserwartung. Nach Abfallen des Hornpanzers bleibt lebenslang eine schuppende Erythrodermie zurück.

Die häufigste Form der autosomal-rezessiv kongenitalen Ichthyose ist die lamelläre Ichthyose. Die häufigste ursächliche Mutation findet sich im TGM1-Gen, das für die Vernetzung von Proteinen des Stratum corneum zuständig ist. Nach Abheilung der Kollodiummembran erscheinen die Schuppen eher groß, dunkel und plattenartig. Die kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie ist genotypisch und phänotypisch sehr ähnlich der lamellären Ichthyose. Klinisch ist die Kollodiummembran jedoch häufig viel milder ausgeprägt und die resultierende Schuppung feiner.2

Ein Überblick über typische klinische Merkmale bei autosomal-rezessiv vererbten Ichthyosen ist in Tabelle 2 zu finden.

Fazit

Dem klinischen Bild des Kollodiumbabys liegteine hereditäre Ichthyose zugrunde. Die Diagnostik, Therapie und genetische Beratung bei diesen seltenen angeborenen Genodermatosen erfordern eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit von Dermatologen, Pädiatern und Humangenetikern. In den ersten Wochen steht neben der optimalen unterstützenden Therapie und Infektionsvermeidung eine rasche Diagnostik mittels DNA-Sequenzierung im Vordergrund. Erst die Korrelation der genetischen Daten mit klinischem Bild und Verlauf ermöglicht eine exakte Diagnose und eine Beratung der betroffenen Eltern hinsichtlich weiterer Prognose und Familienplanung. ◼

Autoren:

Ass. Dr. Valentina Beichl-Zwiauer

Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Trautinger

Klinische Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten

Universitätsklinikum St. Pölten

E-Mail: Valentina.Beichl-Zwiauer@stpoelten.lknoe.at

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© XXXXX

Tab. 2:Überblick über typische klinische Merkmale bei autosomal-rezessiv (AR) vererbten Ichthyosen. Modifiziert nach Oji V et al.2

Tab. 1:Übersicht über nicht syndromische kongenitale Ichthyosen. FLG, Filaggrin; GJB, „gap junction protein beta“; KRT, Keratin; STS, Steroid-Sulfatase. Modifiziert nach Oji V et al.2

Abb. 1:Neugeborenes mit teils in Ablösung befindlicher Kollodiummembran bei Trichothiodystrophie

© F. Trautinger

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