Praxisregeln im Umgang mit NOAK

NOAK bei Niereninsuffizienz

In Österreich leben etwa 235000 Menschen mit einer Medikamentenverordnung für nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK). Mit zunehmendem Alter steigt nicht nur die Inzidenz einer Indikation für NOAK, des Vorhofflimmerns, sondern auch das Risiko für eine Niereninsuffizienz. So wirksam und sicher NOAK grundsätzlich sind, bei Niereninsuffizienz führt die Akkumulation der Blutverdünnungsmedikamente zu Blutungen. Wie können wir diesem Nieren-NOAK-Risiko begegnen?

Nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulation – NOAK

Die Entwicklung der nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulation (NOAK) kann als Fortschritt in der Patientenbehandlung bewertet werden: NOAK sind wirksam, nicht nur in den Zulassungsstudien, sondern auch in den Real-World-Daten und Registersammlungen. Darüber hinaus sind NOAK sicherer als die herkömmlichen Vitamin-K-Antagonisten (VKA), denn die Evidenz zeigt auch geringere spontane Blutungen. Ein weiterer Motor für die Verwendung der NOAK sind natürlich auch der Patientenkomfort sowie die postulierte Verbesserung der Lebensqualität. Während früher regelmäßige Gerinnungskontrollen mittels International Normalized Ratio (INR) bei der Behandlung mit VKA erforderlich waren, so sind diese Patientenwege bei den NOAK in der Regel nicht nötig. Das therapeutische Fenster der NOAK ist breiter, die Interaktionen mit Medikamenten sind wesentlich seltener und der Einfluss von Nahrungsmitteln ist vernachlässigbar. NOAK sind auch sicherer als VKA bezüglich perioperativer Blutungen. Mit der Entwicklung NOAK-spezifischer Antidote steigern NOAK-Verordnungen die Patientensicherheit auch in der Akutmedizin und Traumatologie.

Ob und wann ein Patient auf ein NOAK eingestellt wird, obliegt dem betreuenden Internisten bzw. Allgemeinmediziner. Unterstützung bei der Entscheidung liefern Expertenempfehlungen. Derzeit leben in Österreich etwa 235000 Menschen mit einer Medikamentenverordnung für ein NOAK.

Niereninsuffizienz

Zu den häufigsten Ursachen der Niereninsuffizienz zählen Bluthochdruck und Diabetes mellitus, aber auch die Einnahme von nierenschädigenden Medikamenten, wie nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), trägt zur Nierenschädigung bei. Die Korrektur dieser modifizierbaren Risikofaktoren und die Vermeidung präzipitierender Faktoren mit Anpassung der Lebensgewohnheiten sind volkswirtschaftlich und gesundheitspolitisch relevant und sollten stets angestrebt werden. Mit zunehmendem Alter steigt nicht nur das Auftreten einer Indikation für NOAK, des Vorhofflimmerns, sondern auch das Risiko für eine Niereninsuffizienz.

Zu den häufigsten Folgen der Niereninsuffizienz zählen Bluthochdruck, (Lungen-)Ödem, Anämie, Elektrolyt- und Herzrhythmusstörungen und die Akkumulation von renal eliminierten Medikamenten. Dazu gehören die NOAK, deren renale Elimination in absteigender Reihe folgendermaßen verläuft: Dabigatran > Edoxaban > Rivaroxaban > Apixaban. Die Leistung der Niere wird an der glomerulären Filtrationsrate (GFR) gemessen, abhängig von Alter, Geschlecht und Körpergröße. Die Berechnung der Kreatinin-Clearance kann nach verschiedenen Formeln erfolgen (Cockcroft-Gault, Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration [CKD-EPI], Modification of Diet in Renal Disease [MDRD]). Fällt der GFR-Wert unter 15ml/min, kann die Niere ihre Funktion nicht mehr erfüllen.

Dialysepflichtigkeit ist eine Kontraindikation für alle NOAK. Unter 15ml/min GFR sind die Faktor-Xa-inhibierenden NOAK Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban kontraindiziert, unter 30ml/min GFR das Thrombin-inhibierende NOAK Dabigatran. Bei GFR-Leistungen zwischen diesen Grenzwerten und 80ml/min ist mit verzögerter NOAK-Elimination und erhöhtem Blutungsrisiko zu rechnen. Wie können wir diesem Nieren-NOAK-Risiko begegnen? Am ehesten mit einem wachsamen Blick auf die Nierenfunktion und therapeutischen Konsequenzen bei zunehmender Insuffizienz.

Drug-Check

Der wachsame Blick auf die Nierenfunktion unter NOAK-Therapie bedeutet in der klinischen Praxis die regelmäßige Kontrolle der GFR. Modifiziert nach der Empfehlung der European Heart Rhythm Association (EHRA) sollen GFR-Kontrollen zu Beginn der NOAK-Verordnung und danach alle 12 Monate erfolgen. Beim 1. Follow-up nach einem Monat sollen diese Kontrollintervalle individuell angepasst werden. Der Drug-Check soll intensiviert werden auf ein Intervall von 6 Monaten bei über 75-Jährigen bzw. bei Gebrechlichkeit. Unter 60ml/min GFR soll der Zeitabstand zur nächsten Kontrolle verkürzt werden nach der Formel
GFR /10 (in Monaten). Zu beachten im Alter: Sarkopenie kann den Abfall der GFR maskieren. Das Hinzuziehen eines Nephrologen wird bei einer GFR <30ml/min empfohlen sowie bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes, z.B. wegen interkurrenter Infekte. Therapeutische Konsequenz aus einer abfallenden GFR kann eine Dosisreduktion sein, etwa von zweimal auf einmal täglich.

Drug-Monitoring im Sinne der Kontrolle der biologischen Wirkung der NOAK mittels Gerinnungsanalysen sind nicht routinemäßig nötig. Aber bei manifesten Blutungen oder bei imminentem Blutungsrisiko werden neben der GFR sensitive Gerinnungsanalysen durchgeführt. Qualitative Aussagen über eine Restwirkung der Faktor-Xa-inhibierenden NOAK können mit der Anti-Xa-Aktivität getroffen werden, über die Restwirkung des Thrombin-inhibierenden Dabigatrans mit der Thrombinzeit. Für quantitative Aussagen soll die Anti-Xa-Aktivität auf das jeweilige NOAK kalibriert bzw. die dilutierte Thrombinzeit gemessen werden.

NOAK und Niere perioperativ

Bei kleinen Eingriffen ohne relevantes Blutungsrisiko mit der Möglichkeit der lokalen Blutstillung werden OPs im Talspiegel durchgeführt, also 12–24h nach der letzten Einnahme. Bei Eingriffen mit niedrigem oder hohem Blutungsrisiko hingegen ist ein präoperatives Absetzen die therapeutische Konsequenz je nach GFR: Bei einer GFR >80 ml/min werden alle NOAK mind. 24h vor der OP (bei niedrigem Blutungsrisiko) oder mind.48h davor (bei hohem Blutungsrisiko) abgesetzt. Dieses Intervall verlängert sich für Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban bei niedrigem Blutungsrisiko und einer GFR von 15–30 ml/min auf ≥36h. Für Dabigatran steigen die Karenzzeiten steiler an: Bei einer GFR von 50–79ml/min soll Dabigatran mind. 36h vor der OP (bei niedrigem Blutungsrisiko) oder mind. 72h davor (bei hohem Blutungsrisiko) abgesetzt werden, bei einer GFR von 30–49ml/min mind. 48h (bei niedrigem Blutungsrisiko) oder mind. 96h vor der OP (bei hohem Blutungsrisiko).

Eine präoperative Überbrückung mit niedermolekularen Heparinen (LMWH), z.B. Enoxaparin, soll laut aktuellen Empfehlungen bei NOAK nicht erfolgen, weil dadurch nur das Blutungsrisiko potenziert wird. Der perioperative Behandlungspfad ist also einfach: NOAK absetzen (je nach GFR und anstehendem Eingriff) – dann operieren – dann Thromboseprophylaxe (je nach Eingriff und patientenabhängigem Risiko) – dann nach definitivem Blutungsstopp Wiederansetzen des NOAK.

Antidotieren der NOAK

Das Antidotieren der NOAK mit dem spezifischen Antidot hat einen hohen Stellenwert bei lebens- und organbedrohlichen Blutungen. Für das prompte und nachhaltige Reversieren der Wirkung von Dabigatran ist seit 2015 Idarucizumab zugelassen. Die Initialdosis beträgt 2x2,5 g als Bolusinfusion (im Abstand von max. 15 Minuten). Für das Reversieren der Wirkung von Xa-inhibierenden NOAK ist seit 2019 Andexanet alfa zugelassen. Dosierungsempfehlung bei Einnahme von Rivaroxaban vor ≥7h und von Apixaban: 400mg Bolus plus 480mg infundiert über 2h. Diese Dosierungen verdoppeln sich bei unklarem Einnahmezeitpunkt. Die Kosten für Andexanet alfa sind hoch und es steht derzeit in Österreich noch nicht zur Verfügung. Gegenwärtig werden Xa-inhibierende NOAK mit Prothrombinkomplexkonzentrat (PPSB) in ihrer Wirkung abgeschwächt. Auch bei schwerwiegender Blutung durch VKA soll mit PPSB plus Vitamin K reversiert werden (starke Empfehlung 1B). PPSB birgt jedoch stets das Risiko für venöse Thromboembolien, weil es die Thrombingeneration steigert. Im Gegensatz dazu hat Idarucizumab keine eigenständige prothrombotische Wirkung und die Rate an Thromboembolien ist geringer als bei anderen pharmakologischen Reversierungsstrategien. Die Zielsteuerungsgruppe Gesundheit hat im klinischen Pfad zur Behandlung hüftnaher Frakturen bei zuvor oral antikoagulierten Patientinnen und Patienten empfohlen, Idarucizumab dann einzusetzen, wenn der Knochenbruch unter Dabigatran bei einer Niereninsuffizienz mit einer GFR unter 50ml/min passiert ist. Mit Gabe des Antidots kann die operative Korrektur innerhalb des kritischen Zeitfensters von 48h erfolgen. Dieses Limit gilt als Ergebnisqualitätskennzahl, weil bei Verzögerungen Morbidität und Mortalität deutlich ansteigen. Der klinische Pfad sieht auch vor, nach der OP und vor dem Wiederansetzen des NOAK die aktuelle Nierenfunktion zu berücksichtigen. Wenn durch die interkurrente Verletzung und OP die GFR unter 15–30ml/min abgefallen ist, dann sollte eine Reevaluierung der Indikation und der Dosis erfolgen.

Patientenorientierung

In der modernen Medizin ist der nächste Schritt nach der NOAK-Indikationsstellung die Patientenaufklärung. Wenn Ärzte über NOAK, Behandlungsalternativen und Risiken informieren, dann können die Patienten im Sinne der partizipativen Medizin die Behandlung mitgestalten – so kann das geeignete NOAK gefunden werden. Es müssen auch Verhaltensregeln vereinbart werden, etwa die Vermeidung von NSAR bei eingeschränkter Nierenfunktion oder Gebrechlichkeit. Abgesehen vom direkten Arzt-Patienten-Gespräch händigen Spitalsambulanzen immer öfter NOAK-Informationsblätter an Patienten aus; nicht nur um den Informationstransfer zu unterstützen, sondern auch zur medikolegalen Sicherheit der Behandler. Informationsblätter haben sich auch in der perioperativen Medizin etabliert, um die Einhaltung der korrekten Karenzzeiten der oralen Antikoagulation zu erleichtern (z.B. https://www.ekhwien.at/fileadmin/content/pdf_downloads/Praeanaesthesie/Informationen_fuer_PatientInnen_mit_Blutverduennung.pdf).

Literatur:
bei der Verfasserin

Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, Evangelisches Krankenhaus Wien
und Sigmund Freud Privatuniversität Wien

E-Mail: s.kietaibl@ekhwien.at


Prim. Univ.-Prof. Dr. Sibylle Kietaibl, MBA

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