Wissenschaftliche Evidenz zur diagnostischen Abklärung des Symptoms "Müdigkeit"
Müdigkeit als Sekundärsymptomatik:
Sehr belastend ist das Symptom bei bereits länger bestehenden und bekannten Erkrankungen, z.B. Herzinsuffizienz, multipler Sklerose, Parkinson’scher Krankheit, rheumatoider Arthritis, Sarkoidose, chronischer Niereninsuffizienz, postoperativen Zuständen oder Nykturie mit Tagesschläfrigkeit bei Prostatahyperplasie. Das Gefühl tiefer Erschöpfung kann auch Prodrom eines Myokardinfarkts sein. Auch beim Blutdruck fand sich in Studien interessanterweise kein Zusammenhang zur Müdigkeit. Diese kann ja auch Folge von verminderter körperlicher Aktivität mit konsekutiv kurzfristig erniedrigtem Blutdruck sein. Blutdruck-steigernde Medikamente werden auch immer seltener verschrieben, viele davon sind bereits auf der Negativliste. Natürlich kann auch jegliche Schlafstörung Tagesmüdigkeit verursachen (Prävalenz circa 20%), ein Schlafapnoe-Syndrom ist in etwa 4% vorhanden.
Seltenere Erkrankungen: Weitere, weniger häufig anzutreffende Erkrankungen, die ebenfalls mit dem Symptom Müdigkeit assoziiert sein können, sind in Tabelle 2 aufgelistet. Diese Zusammenstellung sollte allerdings keinesfalls für ein somatisches Screening herangezogen werden! Vielmehr ist sie als Gedächtnisstütze zur Hilfestellung für einen diagnostischen Neuansatz zu verstehen, wenn bei einem Patienten bereits sämtliche anderen psychischen oder somatischen Ursachen ausgeschlossen worden sind.
Substanzassoziierte Müdigkeit: Auf Nebenwirkungen von Arzneimitteln muss in diesem Zusammenhang im Besonderen hingewiesen werden: Benzodiazepine, Antidepressiva, Neuroleptika, Antihistaminika, Antihypertensiva, Opiate, Parkinsonmittel, Zytostatika und antivirale Substanzen können allesamt Müdigkeit verursachen, ebenso sämtliche suchterzeugenden Substanzen, allen voran Alkohol. Eine große Anzahl von in der Umwelt vorkommenden Schadstoffen ist mit Ermüdungserscheinungen assoziiert; dazu zählen u.a. Amalgam, Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoff. Spezielle Ausformungen von Umweltbelastungen, die sich ebenfalls als Müdigkeit äußern, sind das "Sick building"-Syndrom (beeinflusst durch Persönlichkeitsfaktoren, Raumtemperatur und Raumluftzusammensetzung) und die "multiple chemical sensitivity". Mit den Kriterien Schnarchen, beobachtete Erstickungsanfälle, Einschlafen beim Autofahren tagsüber ergibt sich die Indikation für eine weitere schlafmedizinische Diagnostik.
Chronisches Fatigue-Syndrom: Das chronische Müdigkeitssyndrom, teils auch als chronisches Erschöpfungs- oder Fatigue-Syndrom (CFS) bezeichnet, ist eine seltene Entität. Es ist bei Frauen sowie bei Personen mit niedrigem Ausbildungsstand und beruflichem Status häufiger. Für diese umstrittene Erkrankung existieren 67 unterschiedliche Bezeichnungen, von der irreführenden "myalgic encephalomyelitis" bis zur "systemischen Belastungs-Intoleranz-Erkrankung" (SEID). Sie wird definiert als Müdigkeit bzw. Erschöpfungsneigung in einem Zeitraum von mehr als 6 Monaten mit dadurch resultierender signifikanter Störung von körperlicher, seelischer und sozialer Funktion mit Belastungsintoleranz. Es fehlt stets eine alternative Erklärung. Gewisse kognitive Einschränkungen und eine orthostatische Intoleranz sind ebenfalls konstant vorhanden. Die Ursache dafür ist unklar, es existieren mehrere Hypothesen (u.a. virologische, myogene, immunologische, umweltmedizinische, psychische Faktoren). Therapeutisch muss auf eine integrierte psychosoziale und somatische Betreuung geachtet werden. Auf keinen Fall dürfen die Beschwerden als eingebildet o.ä. abgetan werden.