Was steckt dahinter?
Genetik und biologische Mechanismen der therapieresistenten Depression
Im Vergleich zu anderen psychiatrischen Erkrankungen fällt die Heritabilität der Depression mit ca. 30−40% geringer aus. Dennoch zeichnen sich in groß angelegten Studien relevante genetische Loci ab, die unser Verständnis erweitern. Das gilt auch für die Subgruppe der therapieresistenten Depression (TRD). Hier erörtern wir, wie das Wissen um biologische Mechanismen deren Behandlung künftig beeinflussen kann.
Mit einer Lebenszeitprävalenz von ca. 15% gehören Depressionen zu den häufigsten Diagnosen weltweit und sind eine der führenden Ursachen für Erwerbsunfähigkeit.1 Depressionen sind jedoch keine homogene Erkrankung, sondern eine pragmatische Gruppierung verschiedener Krankheitsbilder, die durch das Vorhandensein eines oder mehrerer Hauptsymptome (depressive Stimmungslage, Antriebslosigkeit und/oder Freudlosigkeit) gekennzeichnet sind. Diese können im Rahmen unterschiedlicher psychiatrischer und somatischer Erkrankungen auftreten und unterscheiden sich bezüglich der Symptomkonstellation, des zeitlichen Verlaufs, auftretender Komorbiditäten u.v.m.2,3
GWAS geben Auskunft über Assoziationen mit dem Genom
Wie bei den meisten anderen psychiatrischen Erkrankungen spielen Umweltfaktoren und Vererbung bei der Entstehung von Depressionen eine wichtige Rolle. Um abzuschätzen, wie stark eine Krankheit durch das Erbgut beeinflusst wird, wird in epidemiologischen Studien die sogenannte Heritabilität errechnet, die einen Hinweis darauf liefert, welche Anteile eines Merkmals durch genetische Faktoren bestimmt werden. Manche psychiatrische Erkrankungen, wie z.B. die Schizophrenie oder bipolare Störung, kommen dabei auf eine Heritabilität von 70−90%. Im Vergleich dazu ist die Heritabilität der Depression mit ca. 30−40% eher gering,4 während Umweltfaktoren einen etwas größeren Einfluss haben.5 Moderne genetische Studien haben in den letzten 15 Jahren zu einem besseren Verständnis der genetischen Ursachen und biologischen Mechanismen psychiatrischer Erkrankungen geführt.6 Mittels genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) wurden in großen Kohorten Assoziationen zwischen psychiatrischen Erkrankungen und genetischen Varianten („Loci“) über das gesamte humane Genom erforscht. Diese Ergebnisse können in weiterführenden Analysen Aufschlüsse über die Biologie der Krankheit geben. So ist es z.B. möglich, die Gene und Pathways zu erfassen, auf die die Varianten möglicherweise einen Einfluss haben. Weiters können auch jene Zelltypen und Organsysteme identifiziert werden, welche am ehesten von den beschriebenen genetischen Variationen betroffen sind. Schlussendlich ermöglichen die Studien auch, genetische Überschneidungen zwischen verschiedenen Erkrankungen zu erforschen.
Aufgrund der oben erwähnten Heterogenität und der geringen Heritabilität erwies sich die Entdeckung robuster Assoziationen mit Depression anfänglich als schwierig. Während für Schizophrenie schon 2009 in einer – für heutige Verhältnisse – relativ kleinen Fall-Kontroll-Studie mit einigen tausend Teilnehmer*innen die ersten Loci beschrieben wurden,7 ergaben Studien mit einer ähnlichen Anzahl depressiver Patient*innen keine replizierbaren Ergebnisse.8,9 Belastbare Ergebnisse wurden erst nach einer gigantischen Vergrößerung der Stichprobengrößen auf mehrere 100000 Proband*innen entdeckt.10−12
Die derzeit größte Studie ist eine rezente Metaanalyse mit über 800000 Proband*innen. In dieser beschrieben die Autor*innen 102 mit Depression verbundene Loci.13 In den weiterführenden Analysen konnten die Autor*innen zeigen, dass die genetischen Signale hauptsächlich im Zentralnervensystem eine Rolle spielen. Weiters wurden Gene, die mit synaptischer Übertragung assoziiert waren, als krankheitsrelevant beschrieben, z.B. Gene der dopaminergen (DRD2) und der glutamatergen Neurotransmission (GRIK5, GRM5 und GRM8). Während DRD2 für den Dopamin-D2-Rezeptor kodiert, der eines der Hauptziele antipsychotischer Medikation ist, kodiert GRIK5 für eine Untereinheit des Kainatrezeptors und GRM5 und GRM8 kodieren für zwei verschiedene metabotrope Glutamatrezeptoren. Dass Glutamat in der Genese der Depression eine Rolle spielt, ist besonders im Kontext der antidepressiven Therapie mit (Es-)Ketamin interessant. Obwohl Gene des NMDA-Rezeptors, über den (Es-)Ketamin seine Hauptwirkung entfaltet, in dieser Studie nicht mit Depression assoziiert wurden, bekommt die Modulation des glutamatergen System als Wirkmechanismus der Depressionsbehandlung durch unvoreingenommene genetische Analysen eine theoretische Grundlage.
Interessanterweise wurden in der beschriebenen Studie keine Gene des serotonergen Systems mit Depression assoziiert, obwohl etliche Antidepressiva über eine Modulation desselben wirken. Die Autor*innen stellen deshalb die Frage, ob das serotonerge System zwar in der Therapie, nicht jedoch in der Ätiologie der Depression eine Rolle spielen könnte.
Schließlich untersuchte die Studie auch die Überlappung mit anderen Krankheitsbildern. Sie zeigte, dass sich die genetischen Ursachen der Depression mit denen anderer psychiatrischer Krankheiten, insbesondere der Angststörung, der ADHS, der bipolaren Störung und der Schizophrenie, überschneiden.12,13 Auch ein genetisches Risiko für Neurotizismus, eine der „Big Five“-Persönlichkeitseigenschaften, ist mit erhöhtem Risiko für Depressionen verbunden. Interessanterweise gab es außerdem genetische Überschneidungen mit somatischen Krankheitsbildern und metabolischen Faktoren. Insgesamt bildete sich das komplexe klinische Bild der Depression auf genetischer Ebene ab.
TRD als Subphänotyp in genetischen Analysen
Da es (fast) unmöglich ist, die riesigen Stichproben, die für solche Untersuchungen nötig sind, alleine durch den Einschluss von Patient*innen mit einer klinisch gesicherten Diagnose zu erreichen, wurden in der besagten Studie Fälle mittels einer breiteren Falldefinition eingeschlossen. So wurden z.B. Personen, welche angegeben hatten, aufgrund von „Nervosität, Angst, Anspannung oder Depression“ eine*n Allgemeinmediziner*in oder eine*n Psychiater*in aufgesucht zu haben, als Depressionsfälle kodiert.14 Obgleich die Ergebnisse unbestrittenerweise vielversprechend sind und die gewonnenen Erkenntnisse das Verständnis der biologischen Grundlagen der Depression erweitern, besteht die Gefahr, durch eine weniger stringente Definition der Erkrankung die Heterogenität noch weiter zu erhöhen bzw. den Fokus statt auf die klinische Depression auf depressive oder ängstliche Züge zu setzen.
Ein anderer Ansatz ist deshalb die Analyse von sogenannten Sub- oder Endophänotypen. Hier wird in erster Linie nicht versucht, die Stichprobengrößen mittels Einschluss weniger gut definierter Fälle zu vergrößern, sondern auf Stichproben gut phänotypisierter Fälle, die sich aufgrund gewisser Merkmale ähneln, zurückzugreifen. Für die Depression bietet sich das Ansprechen auf Pharmakotherapie als ein solcher Endophänotyp an. Antidepressive Medikamente sind einer der Grundpfeiler der Behandlung der Depression.5,15 Obwohl diese Medikamente im Allgemeinen gut verträglich sind, sprechen nur circa 30−40% aller Patient*innen auf das erste Medikament an16 und es wird davon ausgegangen, dass es bei einem Drittel der Patient*innen auch nach mehreren medikamentösen Therapieversuchen zu keiner Besserung kommt. Dies wird als therapieresistente Depression (TRD) bezeichnet, wenn andere Gründe für das Ausbleiben eines guten Ansprechens (z.B. Fehldiagnose, inadäquate Dosierung oder Behandlungsdauer, mangelnde medikamentöse Plasmaspiegel aufgrund veränderter Medikamentenmetabolisierung) ausgeschlossen werden können.2
Obwohl nicht gesichert ist, ob es sich hierbei um eine eigenständige Krankheitsentität handelt, ist es der Versuch, eine homogenere Untergruppe innerhalb der Depressionen zu definieren. Denn auch bei der TRD besteht eine gewisse Heterogenität. Eine rezente systematische Literaturanalyse hat über 150 Definitionen der therapieresistenten Depression identifiziert.17 Zum Teil wird TRD als Oberbegriff für inadäquate Response, therapieresistente, therapierefraktäre und chronische Depressionen benützt, auch gibt es unterschiedliche Ansichten, wie viele medikamentöse Therapieversuche es geben muss.2,17 Eine Übersicht der Definitionen für die Beurteilung einer ungenügenden Therapieresponse, wie sie im Konsensus Statement von Kasper et al. definiert werden, findet sich in Tabelle 1.2 Die geläufigste Definition der TRD besagt, dass ein*e Patient*in als therapieresistent definiert wird, wenn er*sie auf mindestens zwei aufeinanderfolgende pharmakologische Behandlungsmaßnahmen mit adäquater Dosierung und Behandlungsdauer nicht ausreichend angesprochen hat.17,18
Erste genetische Hintergründeder TRD geklärt?
Mit dem Ziel, Einblicke in die Erkrankung und die Wirkmechanismen antidepressiver Therapien zu gewinnen sowie bessere Vorhersagen zum Therapieansprechen treffen zu können, hat auch die Erforschung der genetischen Grundlagen der TRD in den letzten Jahren stark zugenommen. Die ersten genetischen Studien zur TRD waren sogenannte Kandidatengenuntersuchungen. In diesen wurden hypothesengeleitet Varianten in Genen untersucht, von denen angenommen wurde, dass sie in der Krankheitsentstehung eine Rolle spielen könnten. Leider bauten die meisten dieser Studien auf schwachen Hypothesen und einem eher geringen Verständnis der Komplexität der genetischen Architektur psychiatrischer Erkrankungen auf: Unter der Annahme relativ großer Effektstärken wurden nur vergleichsweise kleine Stichproben von einigen Hundert Patient*innen analysiert (siehe Überblicksarbeit von Fabbri et al.19). Dies führte zwar zur Beschreibung einiger statistisch signifikanter Ergebnisse, jedoch konnten diese häufig nicht repliziert werden. Heute werden die meisten Ergebnisse dieser Kandidatengenuntersuchungen sowohl für TRD als auch für andere psychiatrische Erkrankungen als falsch positiv und deshalb nicht mehr als starke Evidenz angesehen.20,21
Mit der Zeit wandelte sich der Forschungsansatz und es wurden immer mehr GWAS durchgeführt, um das Ansprechen auf Antidepressiva zu untersuchen. Schon 2009 wurden die Ergebnisse der genetischen Analyse der Munich Antidepressant Response Study (MARS) und der Studie Sequenced Treatment Alternatives to Relieve Depression (STAR*D) publiziert, zweier wegweisender Studien, die bis heute zu einem besseren Verständnis antidepressiver Therapien beitragen.22,23 Es folgten die Ergebnisse etlicher weiterer Studien, die von universitären Forschungseinrichtungen und der Industrie durchgeführt wurden.14,24−30 Obwohl die Stichproben etwas größer waren als die der erwähnten Kandidatengenstudien, fanden die meisten Studien keine relevanten Ergebnisse.
Die größte Einzelstudie mit über 25000 Teilnehmern wurde in Zusammenarbeit mit der Firma 23andMe, die privat genetische Testungen anbietet und Daten zu wissenschaftlichen Zwecken erhebt, durchgeführt.29 Basierend auf ihren eigenen Angaben wurden Studienteilnehmer*innen in verschiedene Gruppen unterteilt: Responder/Nonresponder für einzelne Substanzgruppen (SSRI, SNRI, NDRI) sowie TRD/nicht therapieresistente Depression (NTRD). Insgesamt wurden drei signifikante Loci gefunden: einer, der mit dem Ansprechen auf SSRI assoziiert war, einer mit dem Ansprechen auf SNRI und einer mit TRD. Tiefergehende biologische Analysen der Ergebnisse deuteten auf eine eventuelle Rolle glutamaterger und GABAerger Neuronen sowie Mikroglia hin, diese Ergebnisse hielten jedoch einer strikten Korrektur für multiples Testen nicht stand. Interessanterweise konnten einige Assoziationen der früheren Studien auf nominalem Niveau repliziert werden.
Die derzeit neueste Studie ist eine Metaanalyse aller oben erwähnten Studien, die nicht in Kooperation mit 23andMe durchgeführt wurden.31 Daten von über 5000 Teilnehmer*innen bezüglich Response und der relativen Verbesserung wurden ausgewertet und mittels GWAS analysiert. Obwohl in dieser Studie keine Loci signifikant mit Responder-Status oder relativer Verbesserung assoziiert waren, wurde gezeigt, dass ein erhöhtes polygenes Risiko für Nichtansprechen auf antidepressive Medikation ein Nichtansprechen auch in unabhängigen Kohorten voraussagen kann. Zudem zeigten die Autor*innen, dass ein erhöhtes genetisches Risiko für Schizophrenie mit einem schlechteren Ansprechen verbunden war, und bestätigten somit Daten einer früheren Studie, die das polygene Risiko für Schizophrenie als potenziellen Biomarker vorgeschlagen hatte.32
Ähnliche Ergebnisse brachte auch eine weitere Studie aus Großbritannien, welche TRD aufgrund elektronischer Gesundheits- und Verschreibungsdaten definierte. In dieser konnten die Autoren zeigen, dass ein erhöhtes genetisches Risiko für ADHS mit TRD verbunden war, während erhöhte Risiken für Depression, bipolare Störung und Schizophrenie zwar tendenzielle, jedoch nicht statistisch signifikante Assoziationen aufzeigen.33 Durch Kombination mit Transkriptomdaten aus anderen Datenbanken und einem pharmakologischen Screening wurden auch potenzielle neue Therapien für TRD vorgeschlagen, darunter Zamifenacin, ein selektiver muscarinerger M3-Rezeptor-Antagonist, der als Medikation für Reizdarmsyndrom getestet wurde.34
Die Zukunft liegt in der Klinik
Durch verbesserte genetische Methoden und die weltweite Zusammenarbeit von Forschergruppen wurden in den letzten Jahren immer robustere Ergebnisse zur Genetik der TRD gewonnen. Dennoch steht die Forschungsgemeinschaft erst am Anfang des Weges: Wie bei anderen psychiatrischen Krankheiten sind größere und besser definierte Kohorten notwendig, um die genetischen Signale noch besser erfassen zu können. Der sogenannte Inflektionspunkt, ab dem sich eine Vergrößerung der Stichprobengröße direkt in einer Erhöhung der gefundenen Loci niederschlägt, scheint jedoch schon jetzt erreicht zu sein und weitere Ergebnisse sind für die nächsten Jahre zu erwarten. Insbesondere die Kombination der jetzt schon vorhandenen, noch nicht metaanalysierten Ergebnissewird zu einem starken Anstieg der Stichprobengröße führen.
Heutzutage sind in der Klinik hauptsächlich pharmakogenetische Testungen bekannt, deren Effektivität auf die Depressionsbehandlung gut belegt ist.35 Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Ergebnisse der psychiatrisch-genetischen Forschung in Zukunft in die Klinik Einzug halten werden, sei es durch ein besseres Verständnis der Biologie der TRD, genauere Vorhersagen klinischer Aspekte oder die Entwicklung neuer Therapien.◼
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Online-Kurs:
Den DFP-Kurs finden Sie unter www.med-diplom.at.
Interessenkonflikte:
Univ.-Prof. Dr. Rujescu erhielt Honorare von Janssen-Cilag Pharma GmbH, G.L. Pharma GmbH, Pharmgenetix GmbH, Rovi GmbH, Angelini Pharma Österreich GmbH, Universimed Cross Media Content GmbH und Mylan GmbH
Entgeltliche Einschaltung
Mit freundlicher Unterstützung durch XXXXXXX
Fachkurzinformation siehe Seite XXXX | FREIGABENUMMERXXXX
Abb. 1: Konsequenzen bei Ausbleiben einer Response auf zwei oder mehr Therapieoptionen
© XXXXX
Abb. 2: Klinische Merkmale von TRD-Patienten, die als Prädiktoren und für den Behandlungsverlauf herangezogen werden können und in der Routine leicht zu erheben sind (nach Kautzky et al. 2019)
Prominente Risikofaktoren
Weitere Risikofaktoren
Psychotische Symptome
Größere Anzahl bisher eingesetzter Antidepressiva
Längere Dauer der gegenwärtigen depressiven Episode
Stationäre Behandlung
Suizidalität
Schwere der Symptome
Größere Anzahl depressiver Episoden über die Lebensspanne
Komorbide Angsterkrankung
Krankheitsrelevante Gene für die Entwicklung einer Depressionen sind mit synaptischer Übertragung assoziiert, z.B. mit der dopaminergen (DRD2) und der glutamatergen Neurotransmission (GRIK5, GRM5 und GRM8)1
Tab. 1: Definitionen für die Beurteilung einer ungenügenden Therapieresponse