Behandlungsansätze der therapieresistenten Depression
Welche medikamentösen Optionen habe ich bei einer TRD?
Für Patient*innen mit therapieresistenter Depression (TRD) steht ein zunehmend großes Repertoire an medikamentösen Therapien zur Verfügung. Im Folgenden wird dargelegt, welche Optionen wann zur Anwendung kommen sollten. Gewiss ist, dass sich eine erfolgreiche Behandlung immer auch an den individuellen Besonderheiten und Bedürfnissen der Betroffenen orientieren muss.
Je nach Definition haben Patient*innen mit einer TRD bereits mehrere Therapieversuche erfahren. Der Terminus ist in dieser Hinsicht allerdings durchaus irreführend. Hilfreich ist der im wissenschaftlichen Bereich zunehmend verwendete Begriff „difficult-to-treat“ Depression, welcher den Schweregrad der Erkrankung vermittelt, ohne dabei einen unangebrachten Nihilismus zu äußern.
Einen hilfreichen Leitfaden für die klinische Behandlung von Patient*innen mit TRD – und die inhaltliche Grundlage für diesen Artikel – stellen Leitlinien und Konsensus-Statements dar, wie jenes der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB)1, das online abrufbar ist ( https://oegpb.at/publikationen/konsensus-statements/). Obwohl verschiedene Definitionen der TRD vorliegen, wird meist von einem unzureichenden Ansprechen auf zumindest zwei antidepressive Therapieversuche innerhalb der gegenwärtigen depressiven Phase ausgegangen. Diese müssen in ausreichender Dosierung und Dauer (meist mit 4 Wochen definiert) erfolgen. In diesem Artikel werden medikamentöse Behandlungsansätze der TRD diskutiert.
1. Schritt: Optimierung der Therapie
Nach der Kontaktaufnahme sollte zunächst der Ausschluss einer therapeutischen Pseudoresistenz erfolgen. Hier werden möglicherweise behebbare Faktoren, die ein Ansprechen erschweren könnten, ausgeschlossen. Die Dosis der Medikamente soll überprüft und die Compliance hinterfragt werden. Als ergänzende Diagnostik in dieser Phase können Plasmaspiegelbestimmungen und eine pharmakogenetische Abklärung hilfreich sein. Letztere kann z.B. ursächliche Hinweise für unzureichende Plasmaspiegel liefern. Außerdem sollte die Diagnose überprüft, eventuelle Komorbiditäten diagnostiziert und behandelt und auf erschwerende psychosoziale Umstände eingegangen werden.
Als erste Wahl zur Behandlung einer depressiven Episode als Erstmanifestation oder mit rezidivierendem Verlauf stehen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI, z.B. Escitalopram, Sertralin), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI, z.B. Duloxetin, Venlafaxin, Milnacipran), Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (Bupropion), Serotonin-Antagonisten und -Wiederaufnahmehemmer (Trazodon), Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Reboxetin), noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva (Mirtazapin, Mianserin), der multimodale Serotonin-Modulator Vortioxetin, der Glutamat-Modulator Tianeptin und reversible Monoaminooxidase(MAO)-Hemmer (Moclobemid) zur Verfügung. Trizyklische Antidepressiva (z.B. Clomipramin, Amitriptylin) und irreversible MAO-Hemmer (Tranylcypromin) sind aufgrund ihrer Nebenwirkungsprofile eher als zweite Wahl bzw. bei der TRD von Relevanz. Die Wahl des Antidepressivums sollte auf einer Nebenwirkungsreduktion (z.B. metabolische Effekte bei bekanntem Diabetes) sowie auf zusätzlichen Effekten, die möglicherweise förderlich sein könnten (z.B. sedierender Effekt bei komorbider Angst- oder Schlafstörung), basieren.1
2. Schritt: bei inadäquater Response
Augmentationstherapie
Wenn eine TRD vorliegt, sollte zunächst eine Augmentationstherapie erwogen werden.1 Hierfür stehen atypische Antipsychotika, Lithium und nasales Esketamin zur Verfügung. Für atypische Antipsychotika und Lithium besteht eine vergleichbare Evidenzlage,2, 3 allerdings wird empfohlen, die Wahl basierend auf dem klinischen Bild zu treffen. Dies bedeutet, dass bei einer bipolaren Störung eher Lithium verwendet wird, wohingegen bei psychotischen Symptomen eher ein atypisches Antipsychotikum zum Einsatz kommt.4 In Österreich ist Quetiapin in der „Extended release“-Formulierung zur Augmentation zugelassen, wobei in der Literatur die Effektivität von weiteren atypischen Antipsychotika beschrieben wird, wie z.B. von Aripiprazol, Olanzapin und Risperidon.1 Esketamin wird im Text weiter unten behandelt.
Kombinationstherapie als 2. Wahl
Die Kombination von zwei Antidepressiva bei der TRD wird als Ansatz zweiter Wahl beschrieben.1 Ein kompletter Wechsel auf ein anderes Antidepressivum sollte bei ausgeprägten, nicht klinisch vertretbaren Nebenwirkungen erfolgen.1 Bei einer Kombinationstherapie ist insbesondere auf eine komplementäre Pharmakodynamik zu achten.2 Außerdem sind klinisch sinnvolle Kombinationen, die eine Nebenwirkungsreduktion bewirken können, zu bevorzugen. Hierzu zählt etwa die Kombination von SSRI oder SNRI mit noradrenergen und spezifisch serotonergen Antidepressiva, die sexuelle Nebenwirkungen potenziell reduzieren.1
Dosissteigerung
Um eine mögliche Pseudoresistenz auszuschließen, sollte eine Spiegelkontrolle erfolgen. Bei Werten innerhalb des Referenzbereiches gibt es keine ausreichende Evidenz für eine weitere Dosissteigerung.2,5 Eine mögliche Ausnahme besteht allerdings für trizyklische Antidepressiva und irreversible MAO-Hemmer. Für diese Substanzen wurde ein potenzieller Zusammenhang zwischen Dosiserhöhung und Ansprechen beschrieben.6
MAO-Hemmer
In klinischen Studien wurde die antidepressive Wirksamkeit von irreversiblen MAO-Hemmern wiederholt gezeigt.7 Lediglich aufgrund ihres Sicherheitsprofils kommen sie als Antidepressivum zweiter Wahl zum Einsatz. Unter einer Therapie mit einem irreversiblen MAO-Hemmer wie Tranylcypromin ist eine tyraminarme Diät Voraussetzung. Außerdem muss aufgrund der Gefahr eines serotonergen Syndroms die Kombination mit anderen serotonergen Medikamenten vermieden werden.
Augmentation abseits der klassischen Psychopharmakologie
Die antidepressive Augmentation mit Schilddrüsenhormonen wird zwar selten angewandt, ihre Wirksamkeit wurde jedoch in klinischen Studien gezeigt.8 Außerdem sprechen Daten für antidepressive Effekte durch die Substitution von Sexualhormonen wie z.B. Androgenen, allerdings nur bei nachgewiesenem Mangel.9
Ketamin
Als zugelassene medikamentöse Behandlung der TRD steht seit 2020 nasales Esketamin zur Verfügung. Dieses ist in der Kombinationstherapie mit einem SSRI oder SNRI zugelassen.In einer klinischen Zulassungsstudie zeigte nasales Esketamin in Bezug auf den primären Endpunkt, welcher mit einer Reduktion der depressiven Symptomatik nach 4 Wochen definiert wurde, Überlegenheit gegenüber Placebo.10 Andere Zulassungsstudien waren nicht einheitlich positiv in Bezug auf den primären Endpunkt, allerdings zeigten sich in sekundären Endpunkten klinisch bedeutsame Symptomverbesserungen.11 Inkonsistente Ergebnisse wurden unter anderem auf eine möglicherweise reduzierte Effektivität im höheren Patient*innenalter (über 75 Jahre) zurückgeführt.12
Nasales Esketamin wird innerhalb einer Initiierungsphase zwei Mal wöchentlich über vier Wochen verabreicht. Bei klinischem Ansprechen schließt sich eine Erhaltungsphase an, im Rahmen derer Esketamin alle 1–2 Wochen über mindestens 6 Monate weiter verabreicht wird. Die 6-monatige Erhaltungstherapie wird in Analogie zur Erhaltungstherapie bei klassischen Antidepressiva gesehen. Es wurde gezeigt, dass ein Fortführen der nasalen Esketamin-Behandlung zu einer signifikanten Reduktion des Rückfallrisikos führt.13
Nasales Esketamin darf auch bei bipolarer Depression verabreicht werden. Allerdings ist dabei Vorsicht geboten, da das Risiko für einen durch Antidepressiva induzierten „Switch“ in eine (Hypo-)Manie nicht ausreichend untersucht ist. Die Zulassungsstudien wurden bei Patient*innen mit unipolarer Depression durchgeführt, sodass bisher nur unzureichende Erkenntnisse zu diesem Thema gewonnen werden konnten. Das Phänomen wird in Case Reports beschrieben,14 scheint aber basierend auf (kleinen) randomisierten kontrollierten Studien zu Ketamin im Allgemeinen eher selten vorzukommen.15
Ketamin ist seit Langem als Anästhetikum und Narkotikum bekannt, hat breite Anwendung in den 1970ern gefunden und ist auch gegenwärtig ein Routinemedikament in der Anästhesie und Schmerztherapie. Insbesondere in Notfallsituationen wird Ketamin gerne angewandt, da die atemsupprimierende Wirkung geringer als bei anderen Narkosemedikamenten ausfällt. Außerdem hat das Medikament keinen supprimierenden Effekt auf das Herz-Kreislauf-System, sondern kann im Gegenteil zu Blutdruck- und Herzfrequenzanstiegen führen. Sowohl in der pädiatrischen Anästhesie als auch in der Schmerztherapie, sowie akut z.B. perioperativ, findet Ketamin Anwendung.
Pharmakologische Grundlagen
Ketamin ist ein Razemat, bestehend aus einem S- und R-Enantiomer, und steht als Esketamin und als gesamtes Razemat zur Verfügung. In Bezug auf die anästhetische Potenz scheint das S-Enantiomer etwa doppelt so potent zu sein.16 Unterschiede in der antidepressiven Effektivität sind noch nicht ausreichend untersucht. Sie wurde human sowohl für das S-Enantiomer als auch für das gesamte Razemat beschrieben.10,17 In Tierstudien wird auf die antidepressive Effektivität von R-Ketamin hingewiesen,18 wobei noch keine Studien zur antidepressiven Effektivität des R-Enantiomers im Menschen publiziert wurden.
Ketamin wird über das Cytochrom-P-450-Enzymsystem hepatisch metabolisiert. Hier sind einige Enzyme an der Verstoffwechselung beteiligt.19 Manche Metaboliten von Ketamin sind aktiv, für Hydroxynorketamin werden antidepressive Effekte angenommen.20
Die antidepressive Wirkung von Ketamin
Der Zulassung von nasalem Esketamin gehen über 20 Jahre Forschung voraus. Bereits um 2000 wurde die Effektivität von Ketamin bei der TRD in kleinen randomisierten klinischen Studien beobachtet. In einer der ersten Studien zum Thema zeigten Berman et al. in nur 8 TRD-Patient*innen Ansprechraten von etwa 50% nach 3 Tagen.21 Weitere kleine Studien, vor allem um Zarate et al., zeigten bis zu 70% Ansprechen in der uni- und bipolaren Depression.22,23 Im Verlauf der letzten Jahre wurden diese Daten um größere randomisierte kontrollierte Studien ergänzt.24 Daneben bestätigen Metaanalysen die rasche, potente antidepressive Wirkung.17 Außerdem wurde eine erweiterte Effektivität in Bezug auf spezielle Subgruppen und spezifische Symptome erforscht. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die antisuizidale Wirkung.25 Auch eine Besserung der Anhedonie wurde gezeigt.26 Aus den klinischen Studien geht hervor, dass Ketamin, im Vergleich zu monoaminergen Antidepressiva, raschere antidepressive Effekte auslöst. Im Gegensatz zur Latenzperiode von 2 Wochen bei „klassischen“ Antidepressiva kann Ketamin innerhalb von Stunden eine Symptomverbesserung bewirken. Allerdings sind für die Aufrechterhaltung seiner antidepressiven Wirkung wiederholte Gaben notwendig.27
Neben der nasalen und intravenösen Applikation wurde die orale, subkutane und intramuskuläre Applikation in kleineren Studien untersucht. Direkte „Head-to-head“-Vergleiche zwischen nasalem und intravenösem Esketamin oder Ketamin sind selten. Jedoch wurde gezeigt, dass nasales Esketamin zum Zeitpunkt von 24h nach Medikationsgabe Ketamin nicht unterlegen ist.28 Andere Studien weisen darauf hin, dass intravenöses Ketamin evtl. ein besseres Ansprechen im subakuten Verlauf (wenige Wochen) zeigt.27 Langzeitstudien zu diesem Thema sind leider noch ausständig. Einen weiteren Vorteil von nasalem Esketamin gegenüber anderer Applikationsformen stellt neben der einfachen Applikation die Zulassung und somit „on-label“ Therapie dar.
Nasales Esketamin wird im subanästhetischen Bereich dosiert. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Schwindel, Dissoziation, Kopfschmerzen und Müdigkeit.29 Die Dissoziation wird nicht in Verbindung mit der antidepressiven Effektivität von Ketamin gesehen.30 Im Rahmen von Langzeitzulassungsstudien wurde die Sicherheit der Erhaltungstherapie mit Esketamin über etwa 48 Wochen erforscht.31
Die antidepressiven Effekte von Ketamin werden vor allem dem glutamatergen System zugeschrieben.32 Seine klinische Effektivität gilt als Grundpfeiler des glutamatergen Modells der depressiven Pathophysiologie. Diese These besagt, dass eine primäre, stressassoziierte, glutamaterge Exzitotoxizität mit neuronaler Atrophie, z.B. im präfrontalen Kortex, einhergeht. Daraufhin kommt es zu einer gestörten glutamatergen Aktivität. Ketamin zeigt eine antagonisierende Wirkung am NMDA-Rezeptor und soll eine besondere Affinität für NMDA-Rezeptoren an inhibitorischen GABA-Interneuronen aufweisen. Somit soll es durch den NMDA-Rezeptor-Antagonismus zur Disinhibition und Zunahme der glutamatergen Aktivität führen. Hierdurch, wie auch direkt über eine Affinität von Ketamin, folgt eine AMPA-Rezeptor-Stimulation, welche „Second messenger“-Kaskaden aktiviert, die zu einer vermehrten Produktion von neuronalen Wachstumsfaktoren, z.B. BDNF, führen.33,34 Neben diesen glutamatergen und neuroplastischen Wirkmechanismen wird allerdings auch monoaminergen, vor allem serotonergen Wirkmechanismen zunehmend Bedeutung zugeschrieben.35,36
Die TRD ist ein sich ständig weiterentwickelndes Forschungsfeld. Unter anderem durch den Erfolg von Ketamin wurden zuletzt weitere psychomimetische Substanzen in dieser Indikation erforscht. Insbesondere Psilocybin zeigt vielversprechende Ergebnisse. Interessant sind in diesem Kontext Hinweise darauf, dass einzelne Gaben auch lang anhaltende Effekte haben könnten.37◼
Online-Kurs:
Den DFP-Kurs finden Sie unter www.med-diplom.at.
Interessenkonflikte:
Dr. Spies erhielt Vortragshonorare von Janssen und Austroplant, sowie Reiseunterstützung von Janssen, Austroplant, AOP Orphan Pharmaceuticals und Eli Lilly.
Entgeltliche Einschaltung
Mit freundlicher Unterstützung durch XXXXXXX
Fachkurzinformation siehe Seite XXXX | FREIGABENUMMERXXXX
Tab. 1: Empfohlene Behandlungsschritte in der medikamentösen Therapie der unipolaren Depression
Abb. 1: Behandlungsalgorithmus bei „major depressive disorder“ unter Einbeziehung von Esketamin-Nasenspray (nach Kasper et al. 2020)
EKT, Elektrokonvulsionstherapie; MDD, „major depressive disorder“; SNRI, „serotonin and norepinephrine reuptake inhibitor“; SSRI, „selective serotonin reuptake inhibitor“; TMS, „transcranial magnetic stimulation“
Psychotherapie und andere nichtpharmakologische Therapien (z.B. EKT, TMS) können in diesem Therapieschema zu jedem Zeitpunkt zusätzlich eingesetzt werden.
Adäquate Response
Inadäquate Response
Dosiseskalation
Behandlung fortsetzen
Fortsetzen der Behandlung
Adäquate Response
Inadäquate Response
Adäquate
Response
Inadäquate Response
Switching-Strategien
Augmentationstherapie
Esketamin-Nasenspray + SSRI oder SNRI
Kombination antidepressiver Therapien
Kombination antidepressiver Therapien
Augmentationstherapie
Switching-Strategien
Dosisoptimierung
Inadäquate Response auf eine Behandlung erster Wahl
1. Schritt
2. Schritt
3. Schritt