Zerebrovaskuläre Ereignisse und Rehabilitation
Ischämischer Schlaganfall: kompletter diagnostischer «Work-up» ist essenziell
Die Diagnose «embolic stroke of undetermined source» (ESUS) ist stark von der vollständigen Diagnostik abhängig. Bei selektionierten ESUS-Patienten könnte eine duale Antikoagulation zur Prävention rekurrierender Schlaganfälle von Vorteil sein. Die Erweiterung kardialer Rehabilitationsprogramme durch kognitive Interventionen würde den Einschluss von Schlaganfallpatienten erlauben und käme vielen Herzpatienten ebenfalls zugute.
Etwa 30% der ischämischen Schlaganfälle werden gemäss TOAST («Trial of Org 10172 in acute stroke treatment») als unbestimmte oder kryptogene Schlaganfälle klassifiziert.1 Schätzungsweise 17% davon sind sogenannte «embolic stroke of undetermined source» (ESUS). Der Anteil von ESUS-Fällen nimmt mit einem unvollständigen diagnostischen Work-up zu. Die Cryptogenic Stroke/ESUS International Working Group hat folgende Kriterien für einen ESUS definiert: kryptogener ischämischer Schlaganfall, bei dem ein lakunärer Infarkt, eine ≥50% Stenose der extra- oder intrakraniellen Arterien, eine kardioembolische Quelle und andere spezifische Schlaganfallursachen wie Arteriitis, Dissektion, Migräne/Vasospasmen und Medikamentemissbrauch ausgeschlossen wurden.2
Die Ätiologie der ESUS ist heterogen. Die ESUS-NAVIGATE-Studie identifizierte als potenzielle Ursachen eines ESUS in:
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37% atriale Kardiopathien
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36% linksventrikuläre Erkrankungen
Bei 41% der untersuchten ESUS-Patienten fanden sich Hinweise auf mehrere potenzielle Ursachen.3 Verschiedene Studien, die anstelle des üblichen 24-Stunden-Rythmusmonitorings ein Langzeit-Rhythmusmonitoring einsetzten, fanden bei ca. 30% der ESUS-Patienten ein subklinisches Vorhofflimmern (VHF). «Der grosse ‹Overlap› von kardioembolischen Schlaganfallursachen und ESUS zeigt, dass man einen kompletten diagnostischen Work-up durchführen und sorgfältig nach Subgruppen schauen sollte», sagte Prof. Dr. med. Marcel Arnold vom Universitätsspital/Inselspital Bern.4
ASS, DOAK oder beides?
Die beiden Studien ESUS-NAVIGATE und RE-SPECT-ESUS, die die Behandlung mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) mit ASS zur Prävention rekurrierender Schlaganfälle verglichen, konnten keinen signifikanten Benefit zeigen.5,6 Das führte zu der Frage, ob eine duale Antikoagulationsstrategie mit einem niedrig dosierten DOAK plus ASS bei diesen Patienten von Vorteil sein könnte.
Eine Antwort darauf lieferte die COMPASS-Studie, die eine tägliche Behandlung mit 2x2,5mg Rivaroxaban plus 100mg ASS versus Rivaroxaban (2x5mg) oder Aspirin (100mg) bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder peripher-arterieller Erkrankung untersucht und eine Reduktion des relativen Risikos für grosse kardiovaskuläre Events (MACE: kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) im Vergleich zu einer alleinigen Therapie mit ASS gezeigt hatte (HR: 0,76; p<0,001). Den grössten Benefit hatte die duale Antikoagulation bei der Prävention ischämischer Schlaganfälle (HR: 0,58; p<0,001).7 Eine anschliessend durchgeführte Subanalyse konnte zeigen, dass die duale Antikoagulationsstrategie vor allem zu einer Abnahme kardioembolischer und kryptogener Schlaganfälle sowie zu einer Reduktion von ESUS mit einem inkompletten diagnostischen Work-up führte.8 Die Daten der COMPASS-Studie sind nicht ausreichend, um ESUS-Patienten eine duale Antikoagulation zu empfehlen. Bei Patienten mit vergleichbaren Einschlusskriterien wie in der COMPASS-Studie könnte die Kombination von low-dose Rivaroxaban und ASS eine mögliche Behandlungsoption darstellen, so der Spezialist.
Kardiale Rehabilitation nach Schlaganfall?
Etwa 30–50% aller Patienten nach einem Schlaganfall leiden an kognitiven Einschränkungen («post-stroke cognitive impairment», PSCI). Die vergleichbaren Ätiologien und präventiven Interventionen werfen die Frage auf, ob Schlaganfallpatienten von den evidenzbasierten Massnahmen gut etablierter kardialer Rehabilitationsprogramme ebenfalls profitieren könnten. Gemäss den irischen Guidelines zur kardialen Rehabilitation qualifizieren PSCI-Patienten für die Teilnahme an kardialen Rehabilitationsprogrammen. «In der Praxis werden von den Patienten, die primär einen Schlaganfall haben, aber nur 11% in diese Programme eingeschlossen», sagte Isabelle Jeffares vom Royal College of Surgeons in Irland. Zudem beinhaltet nur ein kleiner Teil der kardialen Rehabilitationsprogramme kognitive Interventionen, wie ein systematischer Review zeigte.9
Im Rahmen einer qualitativen Studie mit Interviews von beteiligten Fachpersonen wie u.a. Kardiologen, Neurologen, Physiotherapeuten, Logopäden etc. in Irland und der Schweiz konnten verschiedene Barrieren und begünstigende Faktoren für die Teilnahme an einer kardialen Rehabilitation identifiziert werden.10 Wie die Autoren zeigen konnten, war die wichtigste Barriere für die Partizipation in kardialen Rehabilitationsprogrammen ein PSCI. Demgegenüber sprechen die häufigen kognitiven Einschränkungen bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, beispielsweise Herzinsuffizienz oder nach Herzstillstand, für eine kombinierte Intervention. Die Studienautoren kamen zum Schluss, dass ein Einschluss von Patienten mit leichtem Schlaganfall in kardiale Rehabilitationsprogramme grundsätzlich möglich ist. Das bevorzugte Modell wäre eine kardiovaskuläre Rehabilitation mit gemeinsamen Modulen in den Bereichen körperliches Training und Edukation ergänzt durch krankheitsspezifische Module für Patienten mit Herzerkrankungen oder Schlaganfall.
Digitale Tools für kognitives Assessment und Training
Neben konventionellen Methoden wie Papier- und Bleistift-Tests für das kognitive Assessment gewinnen digitale Tools, beispielsweise Computerspiele, zunehmend an Bedeutung. «Mit den Computerspielen können wir den Patienten etwas anbieten, das die kognitiven Fähigkeiten verbessert und gleichzeitig Spass macht», sagte Prof. Dr. Tobias Nef vom ARTORG Center for Biomedical Engineering Research in Bern. Ein Vorteil der extra zu diesem Zweck designten Computerspiele ist, dass sie sowohl zur Diagnose wie auch zum Training zu Hause oder im Spitalbereich eingesetzt werden können. Inhaltlich stehen abstrakte, spassorientierte Spiele und Spiele mit alltäglichen Aktivitäten zur Verfügung, z.B. Spaghetti kochen. Dabei ist nicht nur das Outcome interessant, sondern die Forscher erhalten auch wichtige Informationen darüber, wie die Patienten die ihnen gestellten Probleme lösen. Da die Aktivitäten des täglichen Lebens schnell langweilig werden, sollten zu Trainingszwecken bevorzugt abstrakte Computerspiele eingesetzt werden. Ältere Menschen bevorzugen zudem oft Puzzlespiele, anstelle von Actionspielen oder Sportsimulationen, wie eine Umfrage zeigte. Vielversprechend ist auch die Methode, anhand von motorischen Fähigkeiten Rückschlüsse auf die Kognition zu ziehen. Eine Untersuchung bei Patienten mit einem MCI («mild cognitive impairment») und gesunden Kontrollen konnte zeigen, dass die Bewegungen der Computermaus ein potenzieller früher Marker für kognitive Veränderungen im Sinne eines MCI sein könnten.11 Andere Studien versuchen anhand der Schreibgeschwindigkeit auf dem Smartphone oder den mittels Sensoren aufgezeichneten Aktivitäten des täglichen Lebens Rückschlüsse auf die kognitive Gesundheit zu ziehen.12 Die neuen digitalen Methoden befinden sich noch in einem experimentellen Stadium. Ihr Potenzial dürfte vor allem in der Langzeitbeobachtung und Anwendung liegen.◼
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Quelle:
Virtueller Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, 9. bis 11. Juni 2021
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