Medikamentöse Therapie neuropathischer Schmerzen
Nach der Lektüre dieses DFP-Literaturstudiums wissen Sie über die Definition und Diagnose neuropathischer Schmerzen und über Therapieziele und -optionen Bescheid. Sie erhalten außerdem einen Überblick über die klinisch relevanten Arzneimittelinteraktionen der Analgetika.
Primäre Zielgruppe: Allgemeinmediziner, Neurologen
Therapieansätze und -ziele
Chronischer Schmerz belastet die Patienten in mehrfacher Hinsicht. Die Lebensqualität wird nicht nur durch die Schmerzintensität als solche beeinträchtigt, sondern auch durch die Auswirkungen des Schmerzes auf den Alltag, die sich insbesondere durch Einschränkungen körperlicher und sozialer Aktivität und im Arbeitslebenals auchdurch psychische Auswirkungen, wie Schlaf- und Angststörungen und Depressionen, äußern. Insbesondere beim chronischen neuropathischen Schmerz ist die Verminderung der Lebensqualität deutlich ausgeprägt, und Symptome von Komorbiditäten wie Schlafstörungen, Energie- und Kraftlosigkeit, Konzentrationsstörungen sowie Angst und Depression treten häufig auf.[1] Für die Praxis bedeutet dies, dass im Gespräch mit dem Patienten nicht allein die Schmerzlinderung als Therapieziel festgelegt werden sollte, sondern auch eine Verbesserung der Lebensqualität, des Aktivitätslevels und des Schlafes. Schmerzfreiheit ist bei vielen chronischen Patienten ohnehin nicht erreichbar, und der Therapieansatz ist meist palliativ, nicht kurativ. Es ist daher sinnvoll, z.B. bei einer Schmerzstärke von 7 auf der 10-teiligen Analogskala ein realistisches Therapieziel von 3–4 zu vereinbaren und gleichzeitig Ziele zur Verbesserung, z.B. bei Alltagsaktivitäten, der Belastbarkeit bei der Arbeit oder hinsichtlich sozialer Beziehungen, festzulegen.[2] Eine medikamentöse Monotherapie wird dafür oft nicht ausreichen. Vielmehr soll ein multimodales Konzept verfolgt werden, mit der Kombination verschiedener Analgetika, mit Physiotherapie, Bewegung als wichtige Maßnahme zur Schmerzprävention, Entspannungstherapie, psychologischen Therapieansätzen und Patientenedukation.
Neuropathischer Schmerz – Definition und Diagnose
Die Identifizierung der Schmerzart stellt die Grundlage der Therapie dar. Schmerz wird gemäß seiner Ursache verschiedenen Typen zugeordnet:[3]
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Nozizeptiver Schmerz wird durch noxische Stimuli ausgelöst, die periphere Schmerzrezeptoren aktivieren. Er übt eine Schutzfunktion aus. Beispiele sind viszerale und ischämische Schmerzen, Kopfschmerzen, Tumorschmerzen und manche Formen des Rückenschmerzes.
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Beim Entzündungsschmerz werden Nozizeptoren durch Entzündungsreaktionen im Rahmen pathologischer Heilungs- und Reparaturprozesse aktiviert (z.B. bei rheumatoider Arthritis).
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Neuropathische Schmerzen werden durch eine Schädigung oder Fehlfunktion des peripheren oder zentralen Nervensystems verursacht. Der Schmerzimpuls strahlt hier vom Nerv selbst aus. Beispiele sind die diabetische Polyneuropathie (DPNP), Post-Zoster-Neuralgien (PZN), neuropathische Schmerzen bei HIV-Erkrankung, Rückenschmerzen mit Nervenverletzungen, zentrale Schmerzen, das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) II und Phantomschmerzen.
Während die Reizschwelle beim nozizeptiven Schmerz hoch ist, liegt sie bei den anderen Schmerzarten niedriger, sodassPatienten mit DPNP oder PZN schon bei leichten Berührungen (etwa mit der Kleidung oder Bettdecke) über Schmerzen (Allodynie) klagen. Es gibt rein nozizeptive oder neuropathische Schmerzen, aber auch Mischformen, wie chronische Rückenschmerzen mit Nervenläsion oder -fehlfunktion, CRPS I (Morbus Sudeck) und Tumorschmerzen mit Nerveninfiltration.
Zur Diagnose können Fragebogen eingesetzt werden (z.B. PainDetect)[4], doch ist deren Einsatz in der Praxis zeitaufwendig. Der neuropathische Schmerz kann aber durch einfache Fragen nach seinen klassichen Schmerzqualitäten erkannt werden:
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Kribbeln, Ameisenlaufen
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elektrisierender/einschießender Schmerz
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brennende Qualität, wie Feuer
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Taubheit (Minussymptomatik)
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Allodynie
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Schmerzausstrahlung in eine oder mehrere Körperregionen
Je mehr der aufgelisteten Symptome oder Zeichen vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist eine neuropathische Komponente.
Neuropathischer Schmerz ist häufig. Man rechnet, dass circa jeder vierte Diabetespatient eine DPNP entwickelt und mindestens 10% der Herpes-Zoster-Patienten eine PZN.[5] 20–40% der Tumorpatienten und rund ein Drittel der HIV-Patienten haben neuropathische Schmerzen.
Medikamentöse Therapie
Überblick
Gemäß den Empfehlungen der Special Interest Group on Neuropathic Pain (NeuPSIG) der International Association for the Study of Pain (ISAP) sind Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle (Gabapentin, Pregabalin) die systemische Therapie der ersten Wahl (Abb.1).[6] Ebenfalls für die Erstlinie empfohlen sind trizyklische Antidepressiva (TCA; z.B. Amitriptylin) sowie selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), wie Duloxetin (für DPNP zugelassen) und Venlafaxin (allerdings ohne Zulassung für neuropathischen Schmerz), deren noradrenerge Aktivität entscheidend für die analgetische Wirkung ist. Zusätzlich erwähnt sei, dass das Antikonvulsivum Carbamazepin, welches auf neuronale Natriumkanäle wirkt, als der Goldstandard in der Behandlung der Trigeminusneuralgie gilt.[7]
Für die systemische Therapie in der Zweitlinie gibt es eine Empfehlung der NeuPSIG für die Kombination aus einem Erstlinienmedikament plus Tramadol und schließlich in der Drittlinie für andere Opioide wie Morphin, Oxycodon und Tapentadol (Abb.1).[6] Nur für die lokale Anwendung bei peripherem neuropathischem Schmerz sind Pflaster mit Lidocain oder Capsaicin in der Zweitlinie und das Spezialisten vorbehaltene BotulinumtoxinA in der Drittlinie vorzusehen. Die NeuPSIG sprach sich gegen Valproat und Cannabinoide aus, wobei eine neuere Metaanalyse für Letztere einen gewissen Nutzen bei neuropathischem Schmerz sieht.[8]
Die Verschreibungsrealität in Österreich weicht leider stark von diesen Empfehlungen ab, denn die am häufigsten bei neuropathischem Schmerz verschriebenen Medikamente sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und COX2-Hemmer. Diese sind aber in der Regel wirkungslos, wenn es sich um rein neuropathische Schmerzen handelt. Diese Substanzen sollten bei einer DPNP wegen der kardiovaskulären und anderen Nebenwirkungen, insbesondere bei Diabetespatienten, niemalsangewendet werden.
Auf einige wichtige Substanzen sei im Folgenden genauer eingegangen:[9]
Gabapentinoide – Pregabalin bindet an die α2δ-Untereinheit des präsynaptischen Kalziumkanals und reduziert den Ca2+-Einstrom in die Neuronen. Dadurch kommt es zu verminderter Freisetzung von Glutamat, Noradrenalin und Substanz P, was die antikonvulsive, anxiolytische und analgetische Wirkung erklärt.Somit können Patienten mit neuropathischen Schmerzen verbunden mit Angststörung besonders profitieren. Nebenwirkungen der Gabapentanoide sind unter anderem Müdigkeit und Schwindel, bei manchen Patienten eine Gewichtszunahme. Sehr wichtig ist, dass bei Nierenfunktionseinschränkung die Dosis reduziert werden muss (siehe auch Tab.1). Plötzliches Absetzen der Gabapentanoide kann zu Krämpfen führen.
Ein Vergleich in einer randomisierten kontrollierten Studie zeigte, dass Pregabalin und Gabapentin beim radikulären Schmerz eine signifikante Effektivität haben können; Gabapentin war aber überlegen und hatte weniger Nebenwirkungen.[10]Eine andere gut durchgeführte Studie konnte jedoch keine Wirksamkeit von Pregabalin feststellen.[11] Auch eine Metaanalyse über die Wirksamkeit von Gabapentinoiden zur Behandlung einer Radikulopathie zeigte im Vergleich zu Placebo keine Unterschiede bzgl. der Schmerzreduktion.[12]Ob das auch bei DPNP oder PZN zutrifft, ist nicht bekannt. Zu beachten ist auch das höhere Suchtpotenzial von Pregabalin,[13] vor allem bei komorbider Substanzabhängigkeit.[14]
SNRI – Das Antidepressivum Duloxetin entfaltet seine analgetische Wirkung durch Aktivierung hemmender, absteigender Bahnen mittels Erhöhung von Noradrenalin im synaptischen Spalt an den postsynaptischen Rezeptoren. Es wird mit 30–60mg/d dosiert, doch bei Rauchern (>20Zigaretten/Tag) muss es wegen des erhöhten Metabolismus in der Leber (Induktion von CYP1A2) und dadurch reduzierter Bioverfügbarkeit höher dosiert werden. Die mannigfachen Nebenwirkungen von Duloxetin sind zu beachten, und bei Nieren- und Lebererkrankungen ist es mit Vorsicht einzusetzen.
Off-label kann auch Milnacipran bei neuropathischem Schmerz eingesetzt werden, bei dem Blutdruckanstieg, Tachykardie und Agitiertheit als Nebenwirkungen zu beachten sind. Dieser SNRI führt zu einem ausgewogenen Verhältnis serotonerger und noradrenerger Wirkung, wohingegen mit Duloxetin und vor allem Venlafaxin eine im Vergleich zur serotonergen geringere noradrenerge Wirkung erzielt wird.[15]
Amitriptylin wird weiterhin ein hoher Stellenwert in der Therapie neuropathischer Schmerzen zugemessen, doch ist es wegen seiner anticholinergen Nebenwirkungen (z.B. Mundtrockenheit, Kardiotoxizität, Obstipation, Verminderung kognitiver Fähigkeiten) für viele Patienten nicht geeignet und sollte bei ≥60-Jährigen und Dementen generell nicht angewendet werden.
Tramadol ist ein schwacher μ-Opioidrezeptoragonist. Es ist aber kein reines und typisches Opioid und entfaltet zusätzlich eine noradrenerge und serotonerge Wirkung, wie die SNRI.
Capsaicin-Patch – Das Pflaster mit 8% Capsaicin ist in der EU zur Behandlung peripherer, neuropathischer Schmerzen zugelassen. Es wird einmalig für 30 oder 60 Minuten durch medizinisches Fachpersonal appliziert und gibt die Substanz rasch in die Haut ab. Die Schmerzlinderung kann danach für ≥3 Monate anhalten.
Lidocain-Patch – Dieses Pflaster mit 5% des Wirkstoffes ist für die Behandlung der PZN zugelassen, in Österreich ist es allerdings in der „No-Box“. Das Pflaster wird für 12 Stunden appliziert, dann 12 Stunden pausiert. Systemische Nebenwirkungen treten nicht auf. Diese Therapie ist besonders für multimorbide Patienten geeignet, bei denen man durch die lokale Anwendung Arzneimittelwirkungen vermeidet.
Metamizol – Gemäß der klinischen Erfahrung scheint Metamizol auch bei neuropathischem Schmerz gut wirksam zu sein. Es könnte einen Stellenwert als Rescue-Medikation bei Durchbruchsschmerz haben. Der Mechanismus seiner analgetischen Wirkung ist immer noch nicht vollständig geklärt.
Erwartungen an die Therapie
Welche Erwartungen kann man an diese Medikamente in der Therapie neuropathischer Schmerzen stellen? Eine Studie kam zu dem Schluss, dass Duloxetin, Pregabalin und Gabapentin bei DPNP nur in 22–30% der Fälle erfolgreich waren (hier definiert als Schmerzreduktion um 50%) und Pregabalin und das Capsaicin-Pflaster nur bei 30 bzw. 19% der PZN-Patienten.[16•] Es ist daher wichtig, jeden Patienten individuell zu behandeln. Insbesondere muss ein Medikament abgesetzt werden, wenn es keinen Behandlungserfolg zeigt, anstatt bei Nichtansprechen die unwirksame Therapie fortzusetzen.
Weiters sind folgende Erfahrungssätze festzuhalten:
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in einzelnes Medikament wird nie bei mehr alseinem kleinen Teil der Patienten erfolgreich sein.
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Das Versagen mit einem Medikament impliziert nicht auch das Versagen mit anderen Medikamenten.
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Man orientiert sich am Therapiealgorithmus, aber darüber hinaus ist nicht generell festzulegen, in welcher Reihenfolge Medikamente verwendet werden sollen.
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Erfolg oder Versagen können innerhalb von 2–4 Wochen erkannt werden. Bei einem Erfolg, also Erreichen des Therapiezieles bei akzeptablen Nebenwirkungen, kann mit einer langanhaltenden Wirkung gerechnet werden.
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Da die Erfolgsrate niedrig ist, benötigen wir eine große Auswahl an Medikamenten, um für die meisten Patienten das beste Ergebnis zu erzielen, speziell bei komplexen chronischen Zuständen.
Opioidanalgetika bei nichttumorbedingten Schmerzen
Opioide sind bei nichttumorbedingten neuropathischen Schmerzen erst in der Drittlinie empfohlen. Das bekannte Suchtpotenzial und die damit verbundenen Gefahren dieser Medikamente sind in der „Opioidkrise“ in den USA überdeutlich geworden. Für eine Langzeittherapie (>12 Wochen) mit Opioidanalgetika bei neuropathischem Schmerz müssen strenge Richtlinien befolgt werden:[17]
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Der Einsatz erfolgt nur bei Respondern, d.h. beim Erreichen des primär definierten Therapiezieles mit geringen bzw. tolerablen Nebenwirkungen.
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Eine psychiatrische Konsultation istbei Langzeittherapie alle 3 Monate sinnvoll.
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Opioide werden nie als Monotherapie bei chronischen Schmerzen, sondern immer im Rahmen eines multimodalen Therapieansatzeseingesetzt.
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Morphinäquivalentemaximal möglichst mit 120mg geben; bei höheren Dosen unbedingt Schmerzspezialist bzw. Schmerzzentrum beiziehen.
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Bei extrem hohen Dosen sollte im Konsens ein Entzug in die Wege geleitet werden.
Tumorbedingte Schmerztherapie bei neuropathischen Schmerzen
Sehr viele Tumorpatienten haben neuropathische Schmerzen. Es treten tumorbedingte Neuropathien auf, therapiebedingte (postoperativ oder durch Bestrahlung oder Chemotherapie ausgelöst) sowie tumorassoziierteSchmerzen.
Das WHO-Stufenschema für die Tumorschmerztherapie sieht mit steigender Schmerzintensität den Einsatz von Nichtopioiden, dann von Nichtopioiden plus niederpotenten Opioiden und schließlich von Nichtopioiden plus hochpotenten Opioiden vor (Abb.2). Nach der aktualisierten Fassung ist weiterhin eine durchgängige orale Behandlung (alternativ eine transdermale) zu bevorzugen; Versorgungslücken sind mit Notfalldosierungen zu überbrücken.[18] Neu ist der Hinweis, dass auf das unterschiedliche Ansprechen zu achten ist. Nur Responder sollen mit einem individuellen Analgetikum behandelt werden. Das strikte Befolgen des Stufenschemas ist nicht mehr vorgesehen. Man soll sich bei der Therapiewahl nicht nur an der Schmerzstärke, sondern auch an der Schmerzqualität orientieren.
Dosierung bei eingeschränkter Leber- bzw. Nierenfunktion
Im Alter gibt es vielfältige Veränderungen in der Physiologie, die sich auf die Pharmakokinetik und -dynamik auswirken. Wichtige Beispiele sind die Abnahme der Filtrationsleistung der Nieren, die zu verminderter renaler Elimination von Wirkstoffen führt, oder eine Lebererkrankung (z.B. Steatose, Zirrhose), die die hepatische Clearance reduziert. Es muss daher gerade bei älteren Schmerzpatienten sichergestellt werden, dass die Biotransformation und die Ausscheidung eines Medikaments nicht durch eingeschränkte Leber- bzw. Nierenfunktion beeinträchtigt sind.
Eine gute Hilfestellung, um notwendige Dosisanpassungen vornehmen zu können, bietet die Internetseite www.dosing.de, die Hinweise zu Medikamenten, die bei neuropathischem Schmerz häufig eingesetzt werden, zusammenfasst (Tab.1).[19]
Arzneimittelinteraktionen der Analgetika
Wechselwirkungen zwischen zwei oder mehreren Arzneistoffen können über Veränderungen im Bereich der Pharmakokinetik (z.B. Veränderung des Metabolismus und der Plasmakonzentration) und/oder der Pharmakodynamik (synergistische Wirkungen) zu unerwünschten Nebenwirkungen führen bzw. diese verstärken.Im Folgenden finden sich wichtige Beispiele hierfür aus dem Bereich der Analgetika, die bei neuropathischem Schmerz eingesetzt werden.
Serotonin-Syndrom
Das Serotonin-Syndromzeichnet sich in erster Linie durch das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen und motorischer Unruhe, Tremor und Agitiertheit aus.[20] Es kann durch die Kombination von Substanzen, die kumulativ den Serotonin-Spiegel erhöhen, ausgelöst werden.Dazu gehören Tramadol, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Noadrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), Amitriptylin, Fentanyl und viele andere. Die Symptome treten rasch nach Aufdosierung oder Kombination solcher Substanzen auf und klingen nach Absetzen auch bald wieder ab.Tramadol wirkt nur dann alsμ-Opioidrezeptoragonist, wenn es über CYP2D6 aktiviert wird. Wird es gleichzeitig mit einem CYP2D6-Hemmer gegeben, dann wirkt es nur als SNRI und es wirdkeine ausreichende analgetische Wirkung erzielt.Kombinationen sollten vermieden werden. CYP2D6-Hemmer sind z.B. Paroxetin, Fluoxetin, Amiodaron, aber auch Duloxetin. Werden bei neuropathischen Schmerzen Tramadol und Duloxetin gemeinsam eingesetzt, erhöht sich die Gefahr eines Serotonin-Syndroms sowohl durch eine pharmakodynamische (beide erhöhen Serotonin) als auch durch eine pharmakokinetische Wechselwirkung (Duloxetin hemmt die Umwandlung des Tramadols zum aktiven Metaboliten). Bei der Kombination mit Hydromorphon gibt es dieses Problem nicht.
Polypharmazie
Das Fallbeispiel (Abb.3) illustriert, wie bei einer Polypharmazie (d.h. einer regelmäßigen Einnahme von≥5 Wirkstoffen) Nebenwirkungen durch die Kombination serotonerger Wirkstoffe induziert werden können, die sich zudem durch pharmakokinetische Interaktionen (hier insbesondere zwischen Tramadol und Duloxetin) verstärken.
Anticholinerge Wirkverstärkung
Auch die anticholinerge Wirkung von kumulierenden Wirkstoffen kann durch die gleichzeitige Gabe entsprechender Medikamente verstärkt werden. Ein Beispiel ist die Kombination des auf der Anticholinergic Risk Scale[21] hoch angesiedelten Amitriptylins mit anderen anticholinergen Substanzen (z.B. Hydroxyzin, Tizanidin), was sich in Nebenwirkungen, wie Mundtrockenheit, Tachykardie, Delir u.v.m., äußern kann. Anders als beim Serotonin-Syndrom dauert es bis zum Einsetzen der Symptome meist eine längere Zeit.
Elektrolytentgleisungen
Eine symptomatische Hyponatriämie äußert sich zunächst z.B. durch Übelkeit, Erbrechen, Reizbarkeit, erhöhtes Sturzrisiko und Muskelschwäche und gelangt ab Werten <110mmol/l in einen lebensbedrohlichen Bereich. Viele Pharmaka lösen eine Verdünnungshyponatriämie durch unangemesse, hohe Ausschüttung von antidiuretischem Hormon (SIADH) aus bzw. verstärken diese. Darunter sind Analgetika, wie Antikonvulsiva (z.B. Carbamazepin, Lamotrigin), SNRI (z.B. Duloxetin), TCA (z.B. Amitriptylin) und NSAR.[22] Eine Hyponatriämie kann insbesondere bei einer Polypharmazie auftreten (z.B. bei Kombination von Analgetika untereinander oder mit Diuretika) oder wenn eine streng salzarme Diät eingehalten wird. Unter der Therapie etwa mit Carbamazepin und Duloxetin sollten die Elektrolyte mindestens drei Monate kontrolliert werden.
GI Blutungsrisiko und Krampfschwelle
Eine Kombination von NSAR mit SSRI, aber auch SNRI (z.B. Duloxetin) hat ein 15-fach erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen.[23]
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Eine Senkung der Krampfschwelle wird z.B. durch Tramadol in Kombination mit Theophyllin, Alkohol, Bupropion oder Metronidazol bewirkt.
Beim Auftreten von Nebenwirkungen sollte in jedem Fall immer auf mögliche klinisch relevante Arzneimittelinteraktionen geachtet werden (Tab.2).
Weitere wichtige Interaktionen
Einige wichtige Interaktionen seien hier noch gesondert erwähnt:
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Ein Vorteil der Gabapentinoide ist das fehlende Interaktionspotenzial mit Cytochrom-P450-Enzymen, doch pharmakodynamische Interaktionen, die Müdigkeit, Schwindel etc. verstärken können, sind zu beachten. Die Kombination von Gabapentin und Pregabalin mit Opioiden und Benzodiazepinen kann zu Atemdepression, Krämpfen und starker Sedierung führen.[24]Daher ist hier eine einschleichende Dosierung zur Ermittlung der verträglichen Dosierung wichtig.
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Duloxetin darf nicht mit Ciprofloxacin kombiniert werden, denn beide Substanzen wirken QT-Zeit-verlängernd (Risiko für ventrikuläre Tachykardien, plötzlichen Herztod). Zusätzlich hemmt Ciprofloxazin den Abbau von Duloxetin über CYP1A2.
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Bei der Kombination von Metamizol mit Carbamazepin erhöht sich die Gefahr für eine Neutropenie bis hin zur Ausbildung einer Agranulozytose.[
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25] Zudem können beide Substanzen häufig Hautausschläge, in seltenen Fällen Erythema multiforme, das Stevens-Johnson-Syndrom oder Lyell-Syndrom (Epidermolysis acuta toxica) hervorrufen. Bei einer Kombination von Metamizol und Carbamazepin (z.B. bei Trigeminusneuralgien) müssen die Patienten daher gut überwacht werden, die Therapieist bei ersten Anzeichen einer Agranulozytose (Halsschmerz, Fieber, Aphthen) oder von Hautausschlägen sofort abzubrechen.
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Zusammenfassung der in diesem med·Diplom vermittelten Lerninhalte
Neuropathische Schmerzen werden durch Läsionen oder Dysfunktionen des peripheren oder zentralen Nervensystems verursacht.
Der neuropathische Schmerz kann durch einfache Fragen nach der Schmerzqualität erkannt werden.
Der Therapieansatz ist meist palliativ. Es sollten mit den Patienten stets realistische Therapieziele vereinbart werden, mit Hinblick auf die Schmerzlinderung, aber auch auf die Lebensqualität.
Der Therapiealgorithmus für die medikamentöse Behandlung gilt als Richtschnur.Eine individuelle Behandlung der Patienten ist jedoch vorzuziehen.
Es stehen verschiedene Klassen von Medikamenten zur Verfügung, die beim Ansprechen des Patienten eine wirksame Therapie ermöglichen.
Die vielfältigen Arzneimittelinteraktionen der Analgetika sind zu beachten, um einen Wirkungsverlust und teils schwere Nebenwirkungen zu vermeiden.
Klinische Relevanz
Neuropathischer Schmerz ist häufig.Vor allem Patienten mit Diabetes, nach einer Herpes-Zoster-Infektion
sowie mit Tumoren oder einer HIV-Erkrankung sind betroffen. Um eine angemessene Therapie zu wählen, ist es essenziell, denSchmerzmechanismus (neuropathisch vs. nozizeptiv etc.) hinter den vorherrschenden Schmerzen vorab zu ermitteln. Ziel der Therapie sind die Schmerzreduktion und die Verbesserung der Lebensqualität bei tolerablen Nebenwirkungen.
Die Autorensehen folgende Referenz als wissenschaftlich und/oder praktisch besonders relevant an und möchten auf folgende Webseiten zur Abwendung relevanter Arzneimittelinteraktionen verweisen (Literaturstelle im Text und in der Literaturliste markiert mit•).
[16•] Moore A et al.: Expect analgesic failure; pursue analgesic success. BMJ 2013; 46: f2690In dieser Publikation werden die Wirksamkeit, Misserfolge und Erfolge der einzelnen Analgetika unverzerrt und praxisbezogen dargestellt und sinnvolle Zielsetzungen für den Einsatz der einzelnen Analgetika definiert.∙ Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen:www.adrreports.eu/de/index.html∙ Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) und Medikationsfehlern:www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/UAW-Meldung/index.html∙Interaktionstools:www.mediq.ch/www.diagnosia.com/ Seite 3Zu den 4 Schmerzarten zählen nozizeptive Schmerzen, Entzündungsschmerzen, neuropathische Schmerzen (NS) und dysfunktionale Schmerzen. Die klassischen Schmerzqualitäten bei NS können Kribbeln bzw. Ameisenlaufen, elektrisierende/einschießende Schmerzen, Brennen, Taubheit, gesteigerte Schmerzempfindlichkeit und Schmerzausstrahlung in eine oder mehrere Körperregionen sein.Seite 7Nach Neu-PSIG und ISAP sind in der Erstlinientherapie bei NS Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle (Gabapentin, Pregabalin) vorgesehen. Es werden u.a. auch TCA (trizyklische Antidepressiva) sowie SNRI empfohlen. Das WHO-Stufenschema sieht bei tumorbedingten NS zunächst den Einsatz von Nichtopioiden, dann von Nichtopioiden plus niederpotenten Opioiden und zuletzt Nichtopioide plus hochpotente Opioide vor.Seite 10Zu den häufigsten unerwünschten und kontraindizierten Arzneimittelinteraktionen bei Analgetikakombinationen zählen das Serotonin-Syndrom, die anticholinerge Wirkverstärkung, die Hyponatriämie, ein erhöhtes GI Blutungsrisiko und eine herabgesetzte Krampfschwelle.Self-Check-AUFLÖSUNG