Neue Leitlinie Vitiligo
„Wir befinden uns in einer therapeutischen Umbruchphase“
Es sei höchste Zeit gewesen, eine Leitlinie für Vitiligo herauszugeben, sagt Prof. Tanew aus Wien. Der Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten werde unterschätzt, weshalb Vitiligo oft nicht ausreichend behandelt werde. Der Dermatologe erklärt, welche Punkte er in der Leitlinie am wichtigsten findet und warum es so lange dauert, bis es endlich auch für Vitiligo zielgerichtete Medikamente gibt.
Manche Menschen meinen, Vitiligo sei ein rein kosmetisches Problem. Was sagen Sie dazu?
A. Tanew: Das ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Manche meiner Patienten haben nur einen minimalen oder geringen Leidensdruck, andere leiden extrem. Das scheint weniger mit dem Ausmaß der Vitiligo zusammenzuhängen als mit anderen Faktoren: Alter, Verteilung der Vitiligo, ethnische Zugehörigkeit, psychosoziales Umfeld und Persönlichkeitsstruktur des Patienten. Ein Teenager kann bisweilen selbst unter kleinen Vitiligostellen furchtbar leiden, während ältere Patienten mit langjähriger Vitiligo sich oft schon mit der Erkrankung abgefunden haben. Es gibt Patienten, die durch Vitiligo an nicht sichtbaren Körperstellen, etwa am Gesäß oder im Genitalbereich, nicht oder kaum belastet sind, während sich andere dadurch möglicherweise sehr beeinträchtigt fühlen. Wie sehr die Patienten darunter leiden, hängt aber auch von der Führung durch uns Ärzte ab.
Wie meinen Sie das?
A. Tanew: Manchmal höre ich von Patienten, dass ihre Erkrankung von anderen Ärzten nicht wirklich ernst genommen oder als rein kosmetisches Problem bagatellisiert wurde. Bemerkungen wie „Sie sind ja ohnehin bereits verheiratet“ oder „Da kann man nichts machen“ helfen dem Patienten entweder nicht oder treffen nicht zu. Inadäquate Informationen und mangelnde Empathie von Ärzten führen nicht selten zu Verunsicherung und Frustration bei den Patienten und dem Gefühl, von der Medizin im Stich gelassen worden zu sein.
Was halten Sie von der neuen Leitlinie?
A. Tanew: Dafür war es höchste Zeit. Vitiligo ist eine häufige Hauterkrankung, deren Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen unterschätzt wird, weshalb Vitiligo oft nicht ausreichend behandelt wird. Wir wissen zunehmend mehr über die pathophysiologischen Abläufe und Therapiemöglichkeiten der Vitiligo und brauchen jetzt eine Leitlinie, die die vorhandene Evidenz zusammenfasst. Ich denke auch, dass wir die Leitlinie in ein paar Jahren erneut aktualisieren werden, da wir uns therapeutisch in einer Umbruchphase befinden. Die klassische Therapie besteht zwar immer noch vor allem aus topischer Therapie und dem Einsatz der Phototherapie, aber es werden mittlerweile auch zielgerichtete Therapien untersucht, einige bereits in Phase-III-Studien.
Was sind für Sie die wichtigsten Aspekte in der neuen Leitlinie?
A. Tanew: Vor allem zwei Punkte. Erstens der korrekte Einsatz der äußerlichen Therapien. Man muss die richtige Therapie für die richtige Lokalisation wählen. Calcineurin-Inhibitoren eignen sich zum Beispiel wunderbar für Gesicht und Hals, aber sie wirken so gut wie nicht an anderen Körperstellen. Dort müssen wir Kortikosteroide anwenden. Ich sehe aber immer wieder Patienten, denen aus Angst vor einer Cortisontherapie ausschließlich Calcineurin-Inhibitoren verschrieben wurden. Die modernen Kortikosteroide sind sehr effektiv und auch in der Langzeitanwendung sicher. Sie verursachen bei korrekter Anwendung und regelmäßigem Monitoring – also alle drei Monate – nur selten Nebenwirkungen, die überdies meist reversibel sind. Man muss die Patienten auch über die richtige Anwendung der äußerlichen Präparate instruieren. Während bei topischen Kortikosteroiden die Anwendungeinmal täglichausreicht, müssen Calcineurin-Inhibitoren zweimal pro Tag angewendet werden. Wichtig ist auch die Information, dass es oft drei Monate und länger dauern kann, bis eine sichtbare Verbesserung des Hautbildes eintritt.
Was ist der zweite Punkt?
A. Tanew: Die Lichttherapie korrekt anzuwenden. Sie wird einerseits als Kurzzeitbehandlung (zum Beispiel zweimal pro Woche über 12 Wochen) durchgeführt, um die Erkrankungsaktivität bei rasch progredienter Vitiligo zu stoppen. Andererseits kann man die Phototherapie über viele Monate anwenden, um bei ausgedehnter Vitiligo eine Repigmentierung hervorzurufen. Auch wenn selten komplette Repigmentierungen zu erzielen sind, können wir bei korrekter Patientenauswahl und richtiger Durchführung der Lichttherapie oft ganz erhebliche Verbesserungen des Hautzustandes erzielen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass auch unvollständige Repigmentierungen für die Patienten subjektiv zumeist sehr bedeutsam sind.
Aber der Patient sieht dann ja trotzdem noch weiße Stellen.
A. Tanew: Das ist richtig. Aber wenn bei einem Patienten 15 Prozent der Hautoberfläche befallen sind und sich die Vitiligo dann um 70 bis 80 Prozent verringert, ist das für die Patienten oft ein unglaublicher Gewinn an Lebensqualität und sehr ermutigend.
Bei Psoriasis und atopischer Dermatitis gehören gezielte Medikamente inzwischen zum Standard. Warum gibt es noch keine gegen Vitiligo?
A. Tanew: Die Vitiligo hinkt anderen Krankheiten wie Psoriasis oder atopischem Ekzem in Bezug auf die komplette Aufschlüsselung des Pathomechanismus hinterher. Wir kennen bisher nur einige Zytokine, die in der Pathogenese eine zentrale Rolle spielen und gegen die dann zielgerichtete Medikamente entwickelt werden können. Die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Vitiligo schreitet etwas langsamer fort, was neben der Komplexität dieser Erkrankung auch daran liegt, dass Vitiligo im Gegensatz zu Psoriasis oder atopischer Dermatitis seltener ist und bisher auch weniger als beeinträchtigende Krankheit wahrgenommen wurde.
Wann stellen Sie die Indikation zu einer chirurgischen Therapie?
A. Tanew: Chirurgische Therapieoptionen gehören zu den effektivsten Interventionen bei stabiler Vitiligo, werden aber im deutschsprachigen Raum nur selten angewendet. Die Techniken sind aufwendig und die Nachfrage ist im Vergleich zu Ländern, wo dunkle Hauttypen vorherrschen oder wesentlich häufiger sind wie in Südamerika, Indien oder den USA und die Stigmatisierung durch Vitiligo ungleich ausgeprägter ist, gering. Eine Indikation zur chirurgischen Therapie besteht für die segmentale und fokale Vitiligo, im Prinzip kann sie aber bei allen stabilen Formen der Vitiligo erwogen werden, wenn eine konservative Behandlung erfolglos geblieben ist.◼
Wir danken für das Gespräch!
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© A. Tanew
Abb.:Patientin mit Vitiligo vor (links) und nach (rechts) der Behandlung mit Schmalband UVB