Die delaminierte Rotatorenmanschette

Eine Sehnendelamination wird bei bis zu 90% aller chronischen Rotatorenmanschettenrupturen beobachtet. Mittels Magnetresonanztomografie ist eine Sehnendelamination nur unzureichend erkennbar – allerdings sind chronisch delaminierte Rotatorenmanschettenrupturen mit einer fortgeschrittenen medialen Sehnenretraktion und einer vermehrten fettigen Muskelinfiltration vergesellschaftet.

Epidemiologie von delaminierten Rotatorenmanschettenrupturen

Transmurale Rupturen der Rotatorenmanschette treten bei rund 20% der arbeitenden Bevölkerung über 50 Jahre auf.18,31 Bei rund 60% der Patienten über 80 Jahre werden degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette berichtet, wie eine mediale Retraktion des Sehnenstumpfs oder eine fettige Infiltration der Muskulatur bis hin zur Muskelatrophie.5,16,31

Mikroskopisch betrachtet besteht die Rotatorenmanschette aus fünf verschiedenen Schichten, welche durch eine unterschiedliche Verteilung und Anordnung von Muskel- und Sehnenfasern gekennzeichnet sind.4,20 Von diesen fünf verschiedenen Schichten lassen sich makroskopisch jedoch nur zwei unterscheiden.4 Die oberflächliche bursaseitige Schicht stellt die eigentliche flexiblere Sehne dar, während die tiefer liegende ligamentäre Schicht die steifere glenohumerale Gelenkkapsel ist.17,21,29

Je nach Definition der Sehnendelamination wird ihre Inzidenz im Rahmen von Rotatorenmanschettenrupturen mit 38–92% angegeben.1,2,6,15,28,30 Han et al. berichteten über eine Sehnendelamination von 88% bei posterioren und 42% bei anterioren Rotatorenmanschettenrupturen.6 Die Autoren gaben jedoch nicht an, welche Sehnen genau betroffen waren. In einer eigenen Untersuchung, in welcher arthroskopische Bilder mit Magnetresonanztomografiebefunden von 349 Schultern verglichen wurden, konnten wir eine Sehnendelamination bei 66,2% im Rahmen von chronischen Rotatorenmanschettenrupturen beobachten, jedoch mit einem signifikanten Unterschied in der Verteilung je nach zugrunde liegendem Muster der Rotatorenmanschettenruptur.25 Ähnlich der Studie von Han et al. beobachteten wir eine Sehnendelamination am häufigsten (84,6%) bei postero-superioren Rotatorenmanschettenrupturen mit Beteiligung der Supraspinatus- und Infraspinatussehne. Bei antero-superioren Rotatorenmanschettenrupturen mit Beteiligung der Supraspinatus- und Subscapularissehne konnten wir eine Sehnendelamination bei 57,7% beobachten.25

Kürzlich berichteten Boileau et al. über eine zunehmende Sehnendelamination bei größeren Rotatorenmanschettenrupturen mit fortgeschrittener medialer Sehnenretraktion.1 In ähnlicher Weise beobachteten wir in unserer Untersuchung eine signifikante Zunahme der Sehnenretraktion bei Patienten mit Rotatorenmanschettendelamination.25 Weiters haben wir beim Vergleich verschiedener Rupturmuster signifikante Unterschiede bei der medialen Sehnenretraktion zwischen delaminierten und nicht delaminierten Rotatorenmanschettenrupturen festgestellt: Multivariate Regressionsanalysen zeigten signifikante Zusammenhänge zwischen der Retraktion der Supraspinatus- und der Infraspinatussehne und dem Vorhandensein einer Rotatorenmanschettendelamination.25

In unserer Studie konnten wir signifikanten Unterschiede hinsichtlich der fettigen Muskelinfiltration des Supraspinatus und Infraspinatus zwischen delaminierten und nicht delaminierten Rotatorenmanschettenrupturen beobachten. Außerdem wurden signifikante Unterschiede in der fettigen Muskelinfiltration des Supraspinatus, des Infraspinatus und des Subscapularis beim Vergleich verschiedener Rupturmuster zwischen delaminierten und nicht delaminierten Rotatorenmanschettenrupturen festgestellt.25 Da die fettige Muskelinfiltration in engem Zusammenhang mit der Rupturgröße und -lokalisation steht, welche typischerweise bei chronischen Rotatorenmanschettenrupturen beobachtet werden,12 muss die Sehnendelamination ebenfalls als Befund chronischer Rotatorenmanschettenrupturen interpretiert werden.

Nur wenige Arbeiten befassten sich mit der Detektion einer Sehnendelamination bei Rotatorenmanschettenrupturen. Eine Studie untersuchte die Genauigkeit der Sehnendelamination der Rotatorenmanschette anhand einer Magnetresonanzarthrografie.3 Bei insgesamt 231 Schultern mit Rupturen der Supraspinatus- und Infraspinatussehne berichteten die Autoren über eine Sensitivität von 86 bis 100% sowie eine Spezifität von 82 bis 100%, abhängig vom Ausmaß der Sehnenretraktion.3 Da eine Magnetresonanzarthrografie invasiver, zeitaufwendiger und teurer als eine konventionelle Magnetresonanztomografie ist, wird Erstere nicht routinemäßig für die Diagnose von Rotatorenmanschettenrupturen durchgeführt.14 Unsere Untersuchung an 349 Schultern stellte eine geringe Sensitivität von 35,5%, jedoch eine ausgezeichnete Spezifität von 100% der Magnetresonanztomografie für die Detektion einer Sehnendelamination fest.25 Aber auch wenn in der Magnetresonanztomografie keine Sehnendelamination sichtbar ist, können eine fortgeschrittene Sehnenretraktion und eine stärkere fettige Muskelinfiltration einen Hinweis auf das Vorhandensein einer Sehnendelamination geben (Abb.1). Wurde in der Magnetresonanztomografie eine Sehnendelamination festgestellt, wiesen die Patienten eine signifikant stärkere mediale Sehnenretraktion sowie einen höheren Anteil an fettiger Muskelinfiltration des Supraspinatus und Infraspinatus auf.25

Therapie von delaminierten Rotatorenmanschettenrupturen

Bislang lag der Fokus bei der Rotatorenmanschettenrekonstruktion hauptsächlich auf der Wiederbefestigung der nach medial retrahierten Sehne an ihren Footprint. Die Visualisierung und Rekonstruktion von beiden makroskopisch sichtbaren Sehnenschichten sind jedoch entscheidend für die strukturelle Integrität der Rotatorenmanschette.9,13 Moderne Rekonstruktionstechniken befassen sich daher mit der individuellen Rekonstruktion beider Sehnenschichten.7,8,11,19,30 Die zweischichtige, doppelreihige Rotatorenmanschettenrekonstruktion, bei welcher beide Sehnenschichten individuell und doppelreihig rekonstruiert werden, oder eine konventionelle „En masse“-Rekonstruktion, bei der die gesamte Sehnensubstanz in einer weniger anatomischen Art rekonstruiert wird, zeigen vergleichbare klinische Ergebnisse sowie Rerupturraten.13 Die moderne zweischichtige, doppelreihige Rekonstruktion führt jedoch postoperativ aufgrund der Vermeidung von nicht physiologischen Spannungsverhältnissen im Sehnengewebe zu signifikant weniger Schmerzen.13

Eine neue Operationstechnik für die individuelle Rekonstruktion beider Sehnenschichten mithilfe eines knotenlosen transossären Äquivalents (Abb.2) bietet biomechanische Vorteile gegenüber einer medial verknoteten Rekonstruktion und knotenlosen transossären Äquivalenten ohne Berücksichtigung der delaminierten Sehne.11,24 Diese biomechanischen Vorteile erklären sich durch die spezielle Konfiguration und die damit verbundenen selbstverstärkenden Eigenschaften.22,23,26,27 Diese neue Operationstechnik wurde kürzlich mit einem medial verknoteten transossären Äquivalent bei delaminierten Rotatorenmanschettenrupturen verglichen. Hierbei konnte nach zwei Jahren gezeigt werden, dass die moderne Operationstechnik einen signifikant höheren Constant Score sowie eine verbesserte Abduktion und Anteversion bei vergleichbaren Rerupturraten liefert.10

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Abb. 1: MRT einer linken Schulter, transmurale Ruptur der Supraspinatus- und Subscapularissehne, Ansatztendinopathie der Infraspinatussehne. A) Coronale Schichtung; die Delamination der Supraspinatussehne ist klar sichtbar. Die oberflächliche Sehnenschicht ist bis auf Höhe des Humeruskopfs retrahiert (roter Pfeil), die tiefe Sehnenschicht ist noch weiter nach medial retrahiert (rot gepunkteter Pfeil). B) Parasagittale Schichtung; der posteriore Anteil der oberflächlichen Sehnenschicht des Supraspinatus zeigt intratendinöse Teilrupturen (roter Pfeil). Die Infraspinatussehne zeigt eine Ansatztendinopathie mit Flüssigkeitseinlagerungen (blauer Pfeil). Die antero-superiore Rotatorenmanschette mit der anterioren Supraspinatussehne und der Subscapularissehne ist nicht erkennbar im Sinne einer kompletten Ruptur (gelbes Areal). C) Axiale Schichtung; der kraniale Anteil der Subscapularissehne ist zur Gänze rupturiert und bis auf Höhe der anterioren Glenoidkante nach medial retrahiert (gelbe Pfeile). Die Infraspinatussehne zeigt eine Ansatztendinopathie mit Flüssigkeitseinlagerungen (blaue Pfeile). D) Parasagittale Schichtung; fettige Infiltration des Supraspinatus entsprechend Goutallier III (rot gepunktetes Areal) mit positiven Tangentenzeichen (dunkelroter Strich), fettige Infiltration des Subscapularis entsprechend Goutallier IV (gelb gepunktetes Areal), fettige Infiltration des Infraspinatus entsprechend GoutallierI (blau gepunktetes Areal)

Abb. 2: Arthroskopie einer rechten Schulter, transmurale Ruptur der Supraspinatus- und Infraspinatussehne. A) Blick von lateral; der Humeruskopf (HK) mit dem Footprint (FP) der Supraspinatus- und Infraspinatussehne sowie das Glenoid (G) sind gut erkennbar. Es zeigt sich eine Delamination der postero-superioren Rotatorenmanschette wobei die tiefe Sehnenschicht (gelbe Sterne) weiter nach medial retrahiert ist als die darüber liegende oberflächliche Sehnenschicht (roter Stern). B) Blick von lateral; mit der Fasszange kann die tiefe Sehnenschicht (gelber Stern) an den FP reponiert werden und wird von der oberflächlichen Sehnenschicht (roter Stern) bedeckt. C) Blick von lateral; die lange Bizepssehne (grüner Stern) wurde als Augmentation am FP mittels spezieller Fadenankersysteme (schwarzer Pfeil) im Sinne einer modifizierten „superior capsule reconstruction“ fixiert. Um die Sehnenheilung zu fördern, wird mit einem 2mm-Bohrdraht (schwarzer Stern) der subchondrale Knochen angebohrt, um die Rekrutierung von stammzellhaltigem Knochenmark (blaues Dreieck) zu generieren. D) Blick von lateral; ein Fadenankersystem (schwarzer Stern) wurde im posterioren Anteil des Footprint (FP) eingebracht und zunächst die tiefer liegende Sehnenschicht (gelber Stern) mit einer Fadenschlinge (schwarzer Pfeil) armiert. Anterior ist die bereits zuvor fixierte lange Bizepssehne (grüner Stern) erkennbar. E) Blick von lateral; die zuvor durchgeführte Fadenschlinge (schwarzer Pfeil) des posterioren Fadenankers (schwarzer Stern) am Footprint (FP) des Humeruskopfs (HK) zur Armierung der tiefen Sehnenschicht (gelber Stern) wird in das Gelenk Richtung Glenoid (G) vorgelegt, um in weiterer Folge mit demselben Faden die oberflächliche Sehnenschicht (roter Stern) zu fixieren. F) Blick von posterior intraartikulär; der Humeruskopf (HK) ist zur Gänze mit der Rotatorenmanschette abgedeckt und die Ruptur verschlossen. Ein Faden (schwarzer Pfeil) ist im anterioren Anteil der Supraspinatussehne (SSP) erkennbar. Die lange Bizepssehne (grüner Stern) ist am oberen Glenoidrand sowie im anterioren Anteil des Humeruskopfs im Sinne einer modifizierten „superior capsule reconstruction“ fixiert

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© Moritz Nachtschatt

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